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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Nerven und eine feste Gesundheit haben, sie mußten Hitze und Kälte, im
Winter den Zug der schlecht verwahrten Wohnungen, im Sommer den tage¬
langem Ritt auf schweren Neisekleppern mit lächelndem Munde ertragen; waren
sie Herren, so mußten sie stark trinken, und die Fertigkeit besitzen, ihre Be¬
sinnung später zu verlieren, als der gnädigste Herr, wenn sie nicht von diesem
und'andern Gönnern begossen, mit Kohle bemalt und endlich mit Füßen ge¬
treten werden wollten; wer den Vorzug hatte, Dame zu sein, mußte es nicht
unbehaglich finden, mit Haufen stark betrunkener Herren von unternehmenden
Wesen zu scherzen, oder die Nachtruhe durch das Geklirre bloßer Schwerter und '
das Geschrei einer empörten Volksmenge gestört zu finden. Es begegnete wol
auch am Kaiserhofe, daß einmal kein Geld auf neue Schuhe in der Kasse war
und daß die ehrlichen Bürger müde wurden, dem Hofe ihres Gebieters den
nöthigsten Bedarf an Fleisch und Brot zu liefern. Fast alle größern Höfe
führten noch ein Wanderleben, und ans der Reise waren schlechte Herbergen,
grundlose Wege und zuletzt gar dürftige Kost nicht die größten Unbequemlich¬
keiten. Oft waren die Straßen unsicher, nicht selten die gute Aufnahme an
dem Ziel der Reise zweifelhaft.

So roh aber und unbehilflich das Hofleben früherer Jahrhunderte uns
erscheinen muß, es war im 13. Jahrhundert doch bereits in fortschreitender
Ausbildung begriffen. Die Macht der Souveräne gegenüber den großen
Vasallen war im Ganzen betrachtet im Steigen. Schon gab es eine Hof-
luft mit sehr eigenthümlichem Parfüm, schon damals gab eS eine feurige Loya¬
lität und den starren Stolz hochadligen Blutes; schon damals waren zwischen
den Regierenden und ihrer nächsten Umgebung dieselben gemüthlichen Beziehungen
vorhanden, welche lange ein Lieblingsstvff für unsere Dichter waren; von oben
zartes Vertrauen, von unten schrankenlose Hingebung, und im Gegenbild oben,
und unten perfider Egoismus und gegenseitige Verachtung, die sich hinter gnä¬
digem Lächeln und unterwürfigem Wesen zu verbergen wußten.

Schon im 1ü. Jahrhundert begannen Sprache-und Etikette Einzelnes von
der Devotion zu zeigen, welche durch den Servilismus des 17. und 18. Jahr¬
hunderts volle Ausbildung erfuhr, und welche endlich bewirkte, daß die Un¬
glücklichen, welche sich der Majestät nahten, vor tiefster Untertänigkeit erstar¬
ken, also, wie wir schließen dürfen, auf recht schmerzliche Weise umkamen.

Zwar sind es Bilder vom ungarischen Königshofe, welche hier vorgeführt
werden, aber das Königsgeschlecht selbst und vie Erzählerin sind Deutsche. Es
ist der Hof der Königin Elisabeth, Tochter Kaiser SigiSmunts, Witwe Al¬
brechts von Oestreich, des im Jahre 1439 verstorbenen Königs der Ungarn.
Das deutsche Kaisergeschlecht der Luxemburger ist das unrühmlichste von allen,
welche über Mitteleuropa geherrscht haben. In der Übergangszeit aus der
rohen Politik des Mittelalters zu der verfeinerten der Neuzeit vereinigte das


Nerven und eine feste Gesundheit haben, sie mußten Hitze und Kälte, im
Winter den Zug der schlecht verwahrten Wohnungen, im Sommer den tage¬
langem Ritt auf schweren Neisekleppern mit lächelndem Munde ertragen; waren
sie Herren, so mußten sie stark trinken, und die Fertigkeit besitzen, ihre Be¬
sinnung später zu verlieren, als der gnädigste Herr, wenn sie nicht von diesem
und'andern Gönnern begossen, mit Kohle bemalt und endlich mit Füßen ge¬
treten werden wollten; wer den Vorzug hatte, Dame zu sein, mußte es nicht
unbehaglich finden, mit Haufen stark betrunkener Herren von unternehmenden
Wesen zu scherzen, oder die Nachtruhe durch das Geklirre bloßer Schwerter und '
das Geschrei einer empörten Volksmenge gestört zu finden. Es begegnete wol
auch am Kaiserhofe, daß einmal kein Geld auf neue Schuhe in der Kasse war
und daß die ehrlichen Bürger müde wurden, dem Hofe ihres Gebieters den
nöthigsten Bedarf an Fleisch und Brot zu liefern. Fast alle größern Höfe
führten noch ein Wanderleben, und ans der Reise waren schlechte Herbergen,
grundlose Wege und zuletzt gar dürftige Kost nicht die größten Unbequemlich¬
keiten. Oft waren die Straßen unsicher, nicht selten die gute Aufnahme an
dem Ziel der Reise zweifelhaft.

So roh aber und unbehilflich das Hofleben früherer Jahrhunderte uns
erscheinen muß, es war im 13. Jahrhundert doch bereits in fortschreitender
Ausbildung begriffen. Die Macht der Souveräne gegenüber den großen
Vasallen war im Ganzen betrachtet im Steigen. Schon gab es eine Hof-
luft mit sehr eigenthümlichem Parfüm, schon damals gab eS eine feurige Loya¬
lität und den starren Stolz hochadligen Blutes; schon damals waren zwischen
den Regierenden und ihrer nächsten Umgebung dieselben gemüthlichen Beziehungen
vorhanden, welche lange ein Lieblingsstvff für unsere Dichter waren; von oben
zartes Vertrauen, von unten schrankenlose Hingebung, und im Gegenbild oben,
und unten perfider Egoismus und gegenseitige Verachtung, die sich hinter gnä¬
digem Lächeln und unterwürfigem Wesen zu verbergen wußten.

Schon im 1ü. Jahrhundert begannen Sprache-und Etikette Einzelnes von
der Devotion zu zeigen, welche durch den Servilismus des 17. und 18. Jahr¬
hunderts volle Ausbildung erfuhr, und welche endlich bewirkte, daß die Un¬
glücklichen, welche sich der Majestät nahten, vor tiefster Untertänigkeit erstar¬
ken, also, wie wir schließen dürfen, auf recht schmerzliche Weise umkamen.

Zwar sind es Bilder vom ungarischen Königshofe, welche hier vorgeführt
werden, aber das Königsgeschlecht selbst und vie Erzählerin sind Deutsche. Es
ist der Hof der Königin Elisabeth, Tochter Kaiser SigiSmunts, Witwe Al¬
brechts von Oestreich, des im Jahre 1439 verstorbenen Königs der Ungarn.
Das deutsche Kaisergeschlecht der Luxemburger ist das unrühmlichste von allen,
welche über Mitteleuropa geherrscht haben. In der Übergangszeit aus der
rohen Politik des Mittelalters zu der verfeinerten der Neuzeit vereinigte das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/16>, abgerufen am 23.07.2024.