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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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bittrer Scham an die Pflichten, welche die deutschen Staaten so eifrig über¬
nommen und so sehr vernachlässigt haben.

Möge das Werk und der es schrieb dem deutschen Publicum lieb werden.
Was er jetzt darbietet, ist eine Parteischrist im besten Sinne des Wortes,
d. h. ein Werk, das mit Verstand und Gewissen in deutschem Interesse gegen
die uns feindselige Herrschaft ver dänischen Regierung geschrieben ist. Und es
steht zu hoffen, daß es gegenwärtig nur wenig Deutsche gibt, welche eine
andere Auffassung loben, ja nur lesen möchten. Nur zu lange haben wir von
Historikern und Publicisten hohle Vielseitigkeit des Urtheils ertragen, welche
jeden Standpunkt zu würdigen wußte und sür alles eine Erklärung und Recht¬
fertigung fand, bis in solcher heillosen Unbefangenheit der Unterschied zwischen
Böse und Gut, zwischen Ehre und Schande verloren ging. Erst in schweren
Jahren hat der Deutsche den Muth gefunden, aus ganzer Seele zu lieben,
was unser ist, und zu hassen, was des Feindes ist. Es steht nicht zu be¬
fürchten, daß wir deshalb in Liebe und Haß blind werden, und unser Urtheil
im übergroßen Eifer borniren. Lange noch wird die alte Gemüthlichkeit in
einer Ecke der deutschen Seele sitzen, und sich mit hellen Farbenstrichen auch
die dunkelsten Gestalten unsrer Gegner behaglich machen. Sollte aber ein
politischer Schriftsteller unserer Gegenwart ja einmal in großem Eiser der
Wahrheit wehe thun, so wollen wir ihm lieber hundertmal verzeihen, wenn
sein Haß zu feurig und seine Liebe zu duldsam ist, als wenn er mit kühler
Unparteilichkeit über Thatsachen schreibt, welche man ohne Empörung des
Gemüths nicht hören und nicht lesen soll.




Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Eine deutsche Kammerfrau und die ungarische Krone.
14i0.

Daß ein fürstlicher Haushalt vor 600 Jahren sehr viel anders aussah,
als ein Fürstenhof der Gegenwart, weiß jedermann. Aber wenige von den
Herren und Damen, welche jetzt das friedliche Glück einer Hoscharge genießen,
mögen in dem lebhaften Bewußtsein leben, um wie viel behaglicher, sicherer
und anständiger ihr Amt ist, als der Dienst ihrer Vorgänger es war, denen Kai¬
ser Wenzel seine Stiefeln an den Kopf warf, oder Margarethe Maultasch mit
festgeschlossener Fürstenhand das verlieh, was unedle Schulknaben jetzt eine Kopf¬
nuß nennen, Ja bei ernsthafter Betrachtung werden grade unsere Hofleute
die gute alle Zeit abscheulich, unerträglich und verächtlich finden. Herren
und Damen vom Hofe mußten in früheren Jahrhunderten vor allem starke


bittrer Scham an die Pflichten, welche die deutschen Staaten so eifrig über¬
nommen und so sehr vernachlässigt haben.

Möge das Werk und der es schrieb dem deutschen Publicum lieb werden.
Was er jetzt darbietet, ist eine Parteischrist im besten Sinne des Wortes,
d. h. ein Werk, das mit Verstand und Gewissen in deutschem Interesse gegen
die uns feindselige Herrschaft ver dänischen Regierung geschrieben ist. Und es
steht zu hoffen, daß es gegenwärtig nur wenig Deutsche gibt, welche eine
andere Auffassung loben, ja nur lesen möchten. Nur zu lange haben wir von
Historikern und Publicisten hohle Vielseitigkeit des Urtheils ertragen, welche
jeden Standpunkt zu würdigen wußte und sür alles eine Erklärung und Recht¬
fertigung fand, bis in solcher heillosen Unbefangenheit der Unterschied zwischen
Böse und Gut, zwischen Ehre und Schande verloren ging. Erst in schweren
Jahren hat der Deutsche den Muth gefunden, aus ganzer Seele zu lieben,
was unser ist, und zu hassen, was des Feindes ist. Es steht nicht zu be¬
fürchten, daß wir deshalb in Liebe und Haß blind werden, und unser Urtheil
im übergroßen Eifer borniren. Lange noch wird die alte Gemüthlichkeit in
einer Ecke der deutschen Seele sitzen, und sich mit hellen Farbenstrichen auch
die dunkelsten Gestalten unsrer Gegner behaglich machen. Sollte aber ein
politischer Schriftsteller unserer Gegenwart ja einmal in großem Eiser der
Wahrheit wehe thun, so wollen wir ihm lieber hundertmal verzeihen, wenn
sein Haß zu feurig und seine Liebe zu duldsam ist, als wenn er mit kühler
Unparteilichkeit über Thatsachen schreibt, welche man ohne Empörung des
Gemüths nicht hören und nicht lesen soll.




Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Eine deutsche Kammerfrau und die ungarische Krone.
14i0.

Daß ein fürstlicher Haushalt vor 600 Jahren sehr viel anders aussah,
als ein Fürstenhof der Gegenwart, weiß jedermann. Aber wenige von den
Herren und Damen, welche jetzt das friedliche Glück einer Hoscharge genießen,
mögen in dem lebhaften Bewußtsein leben, um wie viel behaglicher, sicherer
und anständiger ihr Amt ist, als der Dienst ihrer Vorgänger es war, denen Kai¬
ser Wenzel seine Stiefeln an den Kopf warf, oder Margarethe Maultasch mit
festgeschlossener Fürstenhand das verlieh, was unedle Schulknaben jetzt eine Kopf¬
nuß nennen, Ja bei ernsthafter Betrachtung werden grade unsere Hofleute
die gute alle Zeit abscheulich, unerträglich und verächtlich finden. Herren
und Damen vom Hofe mußten in früheren Jahrhunderten vor allem starke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/15>, abgerufen am 03.07.2024.