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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Behandlung, sein Auftreten in der Gesellschaft, sein ganzer Charakter stehn in
vollem Einklang. Ueberall dieselbe Klarheit und Besonnenheit, Heiterkeit und
Einfachheit, Wahrhaftigkeit und Festigkeit. Einst gab er im Gymnasium
Stunde. Da klopft eS und Gesner sieht heraus. Sind Sie der Conrector
Gesner, fragt ein Herr. Der bin ich. Schön: ich bin Thomas Fritsch, wollen
Sie mit nach Leipzig fahren? Ja. Gut, in einer Stunde fahren wir. Und
Gesner ging nach Haus und in einer Stunde saß er mit dem berühmten
Buchhändler im Wagen, um über die Bearbeitung des faberschen Thesaurus
zu verhandeln und, ohne of damals zu wissen, seine Berufung nach Leipzig
vorzubereiten. Dieselbe rasche Entschlossenheit zeigte er in seinen Studien.
Jeden unnützen Apparat verschmähte er. Der Gedanke, den er darstellen
wollte, lag klar verarbeitet in seinem Geiste, und so ging er rasch an die Dar¬
stellung, leicht, schnell und ohne Aufenthalt ging die Arbeit von Statten. Fast
nie schrieb er eher, als bis eine Arbeit in den Druck kommen sollte. Jedes
Werk, sagte er, was mit großer Anstrengung gearbeitet sei, trage die uner¬
freulichen Spuren davon an sich.

Aber die nie versiegende Heiterkeit, die ihn zum stets willkommenen Ge¬
sellschafter machte, war nur die äußere Erscheinung des innern Friedens, der
über seinem ganzen Denken und Thun ruhte. In jeder Umgebung machte er
sich bald durch die weite Ausdehnung seiner Gelehrsamkeit, durch die Klarheit
seines Urtheils, durch den stets bereiten und treffenden Witz als eine bedeutende
und überlegene Erscheinung geltend. Der Fremde vermuthete in der würdigen
Gestalt, die sich sicher und anmuthig in jeder Verhandlung, jeder Gesellschaft
zu bewegen verstand, nicht den Gelehrten, nicht den Mann, der mehr als die
Hälfte seines Lebens im Schulamt zugebracht hatte.

Willig erkannte er jede fremde Leistung an, mit Freuden begrüßte er die
Berichtigung eignen Irrthums, unermüdlich war er andern zu helfen. Keine
größere Freude gab es für ihn, als wenn er hörte, daß es einem seiner Schü¬
ler gut gehe: oft traten ihm dann die Thränen in die Augen, während er in
der Erinnerung an ein früheres Erlebniß lächelnd sagte: das ist der Herr
Vetter. In Ansbach nämlich hatte er einst in einer Kirche einen, alten
Mann heftig weinend gefunden und dieser aus seine mitleidige Frage, was
ihm fehle, geantwortet, daß es Thränen freudiger Rührung seien, denn sein
Herr Vetter, der eben von der Universität zurückgekehrt sei, predige heute zum
ersten Mal.

Die Eigenthümlichkeit seines Wesens, klares und Helles Wissen zu suchen,
aber jede spitzfindige Grübelei zu fliehen, zeigte sich auch in seinen religiösen
Ansichten. Bei tiefer Frömmigkeit wies er jede subtile Erörterung über die
Grundwahrheiten der christlichen Lehre zurück und behauptete, daß eine
solche mehr schadete als nützte. Wem die Gewißheit des Glaubens nicht in


Behandlung, sein Auftreten in der Gesellschaft, sein ganzer Charakter stehn in
vollem Einklang. Ueberall dieselbe Klarheit und Besonnenheit, Heiterkeit und
Einfachheit, Wahrhaftigkeit und Festigkeit. Einst gab er im Gymnasium
Stunde. Da klopft eS und Gesner sieht heraus. Sind Sie der Conrector
Gesner, fragt ein Herr. Der bin ich. Schön: ich bin Thomas Fritsch, wollen
Sie mit nach Leipzig fahren? Ja. Gut, in einer Stunde fahren wir. Und
Gesner ging nach Haus und in einer Stunde saß er mit dem berühmten
Buchhändler im Wagen, um über die Bearbeitung des faberschen Thesaurus
zu verhandeln und, ohne of damals zu wissen, seine Berufung nach Leipzig
vorzubereiten. Dieselbe rasche Entschlossenheit zeigte er in seinen Studien.
Jeden unnützen Apparat verschmähte er. Der Gedanke, den er darstellen
wollte, lag klar verarbeitet in seinem Geiste, und so ging er rasch an die Dar¬
stellung, leicht, schnell und ohne Aufenthalt ging die Arbeit von Statten. Fast
nie schrieb er eher, als bis eine Arbeit in den Druck kommen sollte. Jedes
Werk, sagte er, was mit großer Anstrengung gearbeitet sei, trage die uner¬
freulichen Spuren davon an sich.

Aber die nie versiegende Heiterkeit, die ihn zum stets willkommenen Ge¬
sellschafter machte, war nur die äußere Erscheinung des innern Friedens, der
über seinem ganzen Denken und Thun ruhte. In jeder Umgebung machte er
sich bald durch die weite Ausdehnung seiner Gelehrsamkeit, durch die Klarheit
seines Urtheils, durch den stets bereiten und treffenden Witz als eine bedeutende
und überlegene Erscheinung geltend. Der Fremde vermuthete in der würdigen
Gestalt, die sich sicher und anmuthig in jeder Verhandlung, jeder Gesellschaft
zu bewegen verstand, nicht den Gelehrten, nicht den Mann, der mehr als die
Hälfte seines Lebens im Schulamt zugebracht hatte.

Willig erkannte er jede fremde Leistung an, mit Freuden begrüßte er die
Berichtigung eignen Irrthums, unermüdlich war er andern zu helfen. Keine
größere Freude gab es für ihn, als wenn er hörte, daß es einem seiner Schü¬
ler gut gehe: oft traten ihm dann die Thränen in die Augen, während er in
der Erinnerung an ein früheres Erlebniß lächelnd sagte: das ist der Herr
Vetter. In Ansbach nämlich hatte er einst in einer Kirche einen, alten
Mann heftig weinend gefunden und dieser aus seine mitleidige Frage, was
ihm fehle, geantwortet, daß es Thränen freudiger Rührung seien, denn sein
Herr Vetter, der eben von der Universität zurückgekehrt sei, predige heute zum
ersten Mal.

Die Eigenthümlichkeit seines Wesens, klares und Helles Wissen zu suchen,
aber jede spitzfindige Grübelei zu fliehen, zeigte sich auch in seinen religiösen
Ansichten. Bei tiefer Frömmigkeit wies er jede subtile Erörterung über die
Grundwahrheiten der christlichen Lehre zurück und behauptete, daß eine
solche mehr schadete als nützte. Wem die Gewißheit des Glaubens nicht in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/143>, abgerufen am 23.07.2024.