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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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. Im Aufgeben einer traurigen, tiefzerrissenen Gegenwart hatten sich in
Italien während des 14. und 15. Jahrhunderts die edleren Geister in das
Studium der lateinischen und griechischen Dichter geflüchtet, um hier im An¬
schauen der Ideale des antiken Lebens die Gedanken zu erfrischen und die
Kraft für die Verjüngung der Gegenwart zu schöpfen. Aus Italien war dieses
Studium im 16. Jahrhundert nach Deutschland herübergekommen und hatte
die Reformation vorbereitet und möglich gemacht. Die Reformatoren selbst
waren unermüdlich thätig,.die bestehenden Gymnasien zu verbessern und überall
die Gründung neuer zu ver.einlassen. Ausgezeichnete Pädagogen, vor allen
Johannes Sturm in Strasburg und Valentin Trotzendorf in Goldberg, machten
die Schulen, an deren Spitze sie standen, zu bewunderten Musteranstalten.
Dennoch entwickelte sich die Methodik des Gymnasialunterrichts und der ge-
sammten Jugendbildung nicht, sondern verknöcherte und vertrocknete mehr und
mehr. Der kühne Kampf, den Luther und Melanchthon gegen das Papstthum
und die Entartung der Kirche erhoben und bestanden hatten, artete nur zu
bald in die unerquicklichsten Dogmatischen Zänkereien zwischen Lutheranern und
Reformirten, zwischen verschiedenen Parteien der Lutheraner selbst aus. Wie
die religiöse Begeisterung der Reformation alles Leben erfüllt und getragen
hatte, so beanspruchten auch diese theologischen Streitigkeiten die gleiche Be¬
deutung, und die durch äußere Noth und Entbehrung aller Art ermatteten
Geister gestanden sie denselben zu. So wurde die gelehrte Jugendbildung die
Magd der Theologie, und statt der idealen Richtung, die Sturm seinen Schü¬
lern durch das vollendete Einleben in den Geist der Lateiner zu geben gesucht
hatte, zog in die Gymnasien ein pedantischer und vollkommen geisttötender
Mechanismus äußerlichen Gedächtnißwesens ein, der Einlernung unverstande¬
ner grammatischer Formen, der AnÜbung eines lateinischen Stils, der immer
barbarischer wurde. Der Jammer des dreißigjährigen Krieges folgte, und in
der äußersten Noth und Bedrängniß wurde ein Theil der'Schulen geschlossen,
ein anderer von den unermüdlich thätigen Jesuiten untergraben und vernichtet.
Nun glaubten freilich, wie fast immer in den Zeiten der Noth und Erniedri¬
gung, so manche, die an der Gegenwart verzweifelten, eine bessere Zukunft
von einer besseren Jugendbildung hoffen zu müssen, und es fehlte nicht an
Versuchen, die Methode des Unterrichts zu verbessern. Besonders hatten der
Holsteiner Wolfgang Radies und der Mähre Johann Amos Comenius, jener
indem er eine praktischere Methode des lateinischen Unterrichts einzuführen,
dieser indem er mit dem lateinischen Unterrichte und vermöge desselben eine
Fülle von Sachkenntnissen zu geben suchte, anerkennenswerthe, aber ziemlich
vergebliche Anstrengungen gemacht, bessernd einzuwirken. Der unselige Einfluß
französischer Bildung hatte das Unwesen in den Gymnasien nur gesteigert und
neben den mechanischen und deshalb ungenügenden lateinischen Unterricht ein


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. Im Aufgeben einer traurigen, tiefzerrissenen Gegenwart hatten sich in
Italien während des 14. und 15. Jahrhunderts die edleren Geister in das
Studium der lateinischen und griechischen Dichter geflüchtet, um hier im An¬
schauen der Ideale des antiken Lebens die Gedanken zu erfrischen und die
Kraft für die Verjüngung der Gegenwart zu schöpfen. Aus Italien war dieses
Studium im 16. Jahrhundert nach Deutschland herübergekommen und hatte
die Reformation vorbereitet und möglich gemacht. Die Reformatoren selbst
waren unermüdlich thätig,.die bestehenden Gymnasien zu verbessern und überall
die Gründung neuer zu ver.einlassen. Ausgezeichnete Pädagogen, vor allen
Johannes Sturm in Strasburg und Valentin Trotzendorf in Goldberg, machten
die Schulen, an deren Spitze sie standen, zu bewunderten Musteranstalten.
Dennoch entwickelte sich die Methodik des Gymnasialunterrichts und der ge-
sammten Jugendbildung nicht, sondern verknöcherte und vertrocknete mehr und
mehr. Der kühne Kampf, den Luther und Melanchthon gegen das Papstthum
und die Entartung der Kirche erhoben und bestanden hatten, artete nur zu
bald in die unerquicklichsten Dogmatischen Zänkereien zwischen Lutheranern und
Reformirten, zwischen verschiedenen Parteien der Lutheraner selbst aus. Wie
die religiöse Begeisterung der Reformation alles Leben erfüllt und getragen
hatte, so beanspruchten auch diese theologischen Streitigkeiten die gleiche Be¬
deutung, und die durch äußere Noth und Entbehrung aller Art ermatteten
Geister gestanden sie denselben zu. So wurde die gelehrte Jugendbildung die
Magd der Theologie, und statt der idealen Richtung, die Sturm seinen Schü¬
lern durch das vollendete Einleben in den Geist der Lateiner zu geben gesucht
hatte, zog in die Gymnasien ein pedantischer und vollkommen geisttötender
Mechanismus äußerlichen Gedächtnißwesens ein, der Einlernung unverstande¬
ner grammatischer Formen, der AnÜbung eines lateinischen Stils, der immer
barbarischer wurde. Der Jammer des dreißigjährigen Krieges folgte, und in
der äußersten Noth und Bedrängniß wurde ein Theil der'Schulen geschlossen,
ein anderer von den unermüdlich thätigen Jesuiten untergraben und vernichtet.
Nun glaubten freilich, wie fast immer in den Zeiten der Noth und Erniedri¬
gung, so manche, die an der Gegenwart verzweifelten, eine bessere Zukunft
von einer besseren Jugendbildung hoffen zu müssen, und es fehlte nicht an
Versuchen, die Methode des Unterrichts zu verbessern. Besonders hatten der
Holsteiner Wolfgang Radies und der Mähre Johann Amos Comenius, jener
indem er eine praktischere Methode des lateinischen Unterrichts einzuführen,
dieser indem er mit dem lateinischen Unterrichte und vermöge desselben eine
Fülle von Sachkenntnissen zu geben suchte, anerkennenswerthe, aber ziemlich
vergebliche Anstrengungen gemacht, bessernd einzuwirken. Der unselige Einfluß
französischer Bildung hatte das Unwesen in den Gymnasien nur gesteigert und
neben den mechanischen und deshalb ungenügenden lateinischen Unterricht ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/139>, abgerufen am 23.07.2024.