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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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heit erkennen lasse, ins Bett und an magere Kost, zeigte sich aber dann, wenn
sich das Unwohlsein als wirkliches erwies, um so liebevoller besorgt. Die
Folge war, daß schon nach dem ersten Jahre der Stadtrath Gesner dafür
dankte, daß er 3S0 Thaler weniger an die Apotheke zu zahlen gehabt habe.
Während neue Schulgesetze die Zucht begründeten, erweckten Gesner und mit
ihm der jugendliche Johann August Ernesti, den er, den 23jährigen, sich zum
Conrector erbeten hatte, durch ihren Unterricht wissenschaftliche Theilnahme
und rege Lust in den Schülern, deren Selbstthätigkeit er mit Feuer und
fast stürmischer Lebendigkeit rege zu erhalten wußte. -- Endlich im Jahr 173L
ging Gesner als Professor der Poesie und Beredtsamkeit nach der neugegrün-
deten Universität Göttingen, und von ihm durch Schrift und Rede verkündet
ward die Universität eröffnet. Obgleich sein Einkommen nur 700 Thaler betrug
und er mehr als einmal glänzende Anerbietungen von anderen Orten her erhielt,
so die Oberleitung des ganzen Schulwesens der brandenburgisch-preußischen
Lande zu übernehmen, so blieb Gesner doch der Georgia August" bis an sein
Ende getreu, sein Name und Wirken trugen neben Haller und Mosheim am
meisten zu dem Glänze bei, den die junge Universität in kurzer Zeit gewann.

Seine Thätigkeit als akademischer Lehrer wie als Gelehrter in den 27
Jahren seiner göttinger Professur ist unglaublich.

Münchhausen, Gründer der Universität, zog ihn in allen Universitäts-
angelegenheiten mit unbegrenztem Vertrauen zu Rathe, seine Amtsgenossen achte¬
ten ihn hoch und vertrauten ihm, die Studenten liebten und verehrten ihn. So
begreifen wir die Ruhe, mit welcher der Greis die Ankündigung seines nahen
Todes aufnahm. Gut, sagte er zu einem Freunde, der ihm die Befürchtung
der Aerzte mitzutheilen übernommen hatte, gut, ich bin bereit zu sterben.
Was ich mit Gott zu verhandeln habe, das hab ich nicht aus
heute verschoben, mit den Meinigen hab ich das Meiste, wie ich
will, geordnet; was.übrig, ist bald vollendet. Seine treue Lebens¬
gefährtin war wenige Monate zuvor gestorben, und er hatte sich über ihren
tiefempfundenen Verlust mit den schönen Worten getröstet: Eines mußte
allein bleiben; da will ich lieber der Verlassene sein, als daß sie
es wäre. Ihr folgte er am 3. August 1761.

So verlief das einfache, aus drückender Armuth aufstrebende, in ange¬
strengter Arbeit still dahingleitende Leben eines Gelehrten, aber dieser stille
Sämann hat eine Saat gestreut, die später in schwellender Fülle emporge¬
schossen ist und goldne Frucht getragen hat. Sein Leben ist nicht das in sich
abgeschlossene eines Einzelnen, es greift ein in die großen Systeme concentri-
scher Kreise, die in ihrer Schreibung und Verschlingung den Gang der Ge¬
schichte ausmachen. Gesner hat die große Blütezeit der deutschen Poesie und
Wissenschaft vorbereitet.


heit erkennen lasse, ins Bett und an magere Kost, zeigte sich aber dann, wenn
sich das Unwohlsein als wirkliches erwies, um so liebevoller besorgt. Die
Folge war, daß schon nach dem ersten Jahre der Stadtrath Gesner dafür
dankte, daß er 3S0 Thaler weniger an die Apotheke zu zahlen gehabt habe.
Während neue Schulgesetze die Zucht begründeten, erweckten Gesner und mit
ihm der jugendliche Johann August Ernesti, den er, den 23jährigen, sich zum
Conrector erbeten hatte, durch ihren Unterricht wissenschaftliche Theilnahme
und rege Lust in den Schülern, deren Selbstthätigkeit er mit Feuer und
fast stürmischer Lebendigkeit rege zu erhalten wußte. — Endlich im Jahr 173L
ging Gesner als Professor der Poesie und Beredtsamkeit nach der neugegrün-
deten Universität Göttingen, und von ihm durch Schrift und Rede verkündet
ward die Universität eröffnet. Obgleich sein Einkommen nur 700 Thaler betrug
und er mehr als einmal glänzende Anerbietungen von anderen Orten her erhielt,
so die Oberleitung des ganzen Schulwesens der brandenburgisch-preußischen
Lande zu übernehmen, so blieb Gesner doch der Georgia August» bis an sein
Ende getreu, sein Name und Wirken trugen neben Haller und Mosheim am
meisten zu dem Glänze bei, den die junge Universität in kurzer Zeit gewann.

Seine Thätigkeit als akademischer Lehrer wie als Gelehrter in den 27
Jahren seiner göttinger Professur ist unglaublich.

Münchhausen, Gründer der Universität, zog ihn in allen Universitäts-
angelegenheiten mit unbegrenztem Vertrauen zu Rathe, seine Amtsgenossen achte¬
ten ihn hoch und vertrauten ihm, die Studenten liebten und verehrten ihn. So
begreifen wir die Ruhe, mit welcher der Greis die Ankündigung seines nahen
Todes aufnahm. Gut, sagte er zu einem Freunde, der ihm die Befürchtung
der Aerzte mitzutheilen übernommen hatte, gut, ich bin bereit zu sterben.
Was ich mit Gott zu verhandeln habe, das hab ich nicht aus
heute verschoben, mit den Meinigen hab ich das Meiste, wie ich
will, geordnet; was.übrig, ist bald vollendet. Seine treue Lebens¬
gefährtin war wenige Monate zuvor gestorben, und er hatte sich über ihren
tiefempfundenen Verlust mit den schönen Worten getröstet: Eines mußte
allein bleiben; da will ich lieber der Verlassene sein, als daß sie
es wäre. Ihr folgte er am 3. August 1761.

So verlief das einfache, aus drückender Armuth aufstrebende, in ange¬
strengter Arbeit still dahingleitende Leben eines Gelehrten, aber dieser stille
Sämann hat eine Saat gestreut, die später in schwellender Fülle emporge¬
schossen ist und goldne Frucht getragen hat. Sein Leben ist nicht das in sich
abgeschlossene eines Einzelnen, es greift ein in die großen Systeme concentri-
scher Kreise, die in ihrer Schreibung und Verschlingung den Gang der Ge¬
schichte ausmachen. Gesner hat die große Blütezeit der deutschen Poesie und
Wissenschaft vorbereitet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/138>, abgerufen am 23.07.2024.