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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Zlmschen Himmel und Erde.

Erzählung von Otto Ludwig. Frankfurt a. M. Meidinger Sohn u. Como.
1836. --

Der Dichter des "Erbsörster" und der "Makkabäer" gehört zu der kleinen
Zahl von Schriftstellern, welche in Methode und Tendenz ihres Schaffens die¬
selben Grundsätze darstellen, welche die Kritik d. Bl. vertritt. Wenn man in
der deutschen Poesie bereits von einer Schule der Realisten sprechen kann, so
ist Otto Ludwig einer ihrer begabtesten Vertreter. Schon in seinen Dramen
hat er die seltenste Eigenschaft deutscher Dichter in hohem Grade gezeigt:
die Fähigkeit, menschliche Leidenschaft mit intensiver Kraft zu schildern und
durch einen merkwürdigen Reichthum an Detail wirksam zu machen. Was die
Schönheit seiner Stücke beeinträchtigte, war der Umstand, daß er nicht mit
derselben souveränen Kraft, mit welcher er das Detail der einzelnen Leidenschaft
zeichnete, auch den verständigen Zusammenhang der Individuen und der
Situationen untereinander regierte, es trat zuweilen, und grade an verhängniß-,
vollen Stellen, ein MißverhÄltniß zwischen Ursachen und Wirkungen,
zwischen Schuld und Strafe, ein; oder wie man dies auch ausdrücken kann, dem
Bau seines Kunstwerks fehlte etwas von der innern Nothwendigkeit.

Zwei Eigenthümlichkeiten des Dichters sind es, nach denen man vorzugs¬
weise die Größe seiner Kraft beurtheilt: zunächst nach der Energie, mit
welcher er die einzelnen Momente seines Stoffes für uns wirksam zu machen
weiß, und zweitens nach seiner Auffassung des Lebens, welche wir überall als
den Hintergrund seiner Formen und Bilder durchleuchten sehen. Dies letztere
aber ist, was man den künstlerischen Charakter des Schaffenden nennen wird.
Dieser künstlerische Charakter des Dichters hängt ab von dem Grad seiner
menschlichen Bildung, von dem Adel und der Reinheit seiner idealen Empfin¬
dungen, und nicht am wenigsten von der Freiheit seiner Seele während
dem Processe des Schaffens. Daß die Bildung des Dichters und seine
ethische Kraft in jedem Augenblick des Schaffens bestimmenden Einfluß


Grenzboten. IV. 1866. 16
Zlmschen Himmel und Erde.

Erzählung von Otto Ludwig. Frankfurt a. M. Meidinger Sohn u. Como.
1836. —

Der Dichter des „Erbsörster" und der „Makkabäer" gehört zu der kleinen
Zahl von Schriftstellern, welche in Methode und Tendenz ihres Schaffens die¬
selben Grundsätze darstellen, welche die Kritik d. Bl. vertritt. Wenn man in
der deutschen Poesie bereits von einer Schule der Realisten sprechen kann, so
ist Otto Ludwig einer ihrer begabtesten Vertreter. Schon in seinen Dramen
hat er die seltenste Eigenschaft deutscher Dichter in hohem Grade gezeigt:
die Fähigkeit, menschliche Leidenschaft mit intensiver Kraft zu schildern und
durch einen merkwürdigen Reichthum an Detail wirksam zu machen. Was die
Schönheit seiner Stücke beeinträchtigte, war der Umstand, daß er nicht mit
derselben souveränen Kraft, mit welcher er das Detail der einzelnen Leidenschaft
zeichnete, auch den verständigen Zusammenhang der Individuen und der
Situationen untereinander regierte, es trat zuweilen, und grade an verhängniß-,
vollen Stellen, ein MißverhÄltniß zwischen Ursachen und Wirkungen,
zwischen Schuld und Strafe, ein; oder wie man dies auch ausdrücken kann, dem
Bau seines Kunstwerks fehlte etwas von der innern Nothwendigkeit.

Zwei Eigenthümlichkeiten des Dichters sind es, nach denen man vorzugs¬
weise die Größe seiner Kraft beurtheilt: zunächst nach der Energie, mit
welcher er die einzelnen Momente seines Stoffes für uns wirksam zu machen
weiß, und zweitens nach seiner Auffassung des Lebens, welche wir überall als
den Hintergrund seiner Formen und Bilder durchleuchten sehen. Dies letztere
aber ist, was man den künstlerischen Charakter des Schaffenden nennen wird.
Dieser künstlerische Charakter des Dichters hängt ab von dem Grad seiner
menschlichen Bildung, von dem Adel und der Reinheit seiner idealen Empfin¬
dungen, und nicht am wenigsten von der Freiheit seiner Seele während
dem Processe des Schaffens. Daß die Bildung des Dichters und seine
ethische Kraft in jedem Augenblick des Schaffens bestimmenden Einfluß


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[0129] Zlmschen Himmel und Erde. Erzählung von Otto Ludwig. Frankfurt a. M. Meidinger Sohn u. Como. 1836. — Der Dichter des „Erbsörster" und der „Makkabäer" gehört zu der kleinen Zahl von Schriftstellern, welche in Methode und Tendenz ihres Schaffens die¬ selben Grundsätze darstellen, welche die Kritik d. Bl. vertritt. Wenn man in der deutschen Poesie bereits von einer Schule der Realisten sprechen kann, so ist Otto Ludwig einer ihrer begabtesten Vertreter. Schon in seinen Dramen hat er die seltenste Eigenschaft deutscher Dichter in hohem Grade gezeigt: die Fähigkeit, menschliche Leidenschaft mit intensiver Kraft zu schildern und durch einen merkwürdigen Reichthum an Detail wirksam zu machen. Was die Schönheit seiner Stücke beeinträchtigte, war der Umstand, daß er nicht mit derselben souveränen Kraft, mit welcher er das Detail der einzelnen Leidenschaft zeichnete, auch den verständigen Zusammenhang der Individuen und der Situationen untereinander regierte, es trat zuweilen, und grade an verhängniß-, vollen Stellen, ein MißverhÄltniß zwischen Ursachen und Wirkungen, zwischen Schuld und Strafe, ein; oder wie man dies auch ausdrücken kann, dem Bau seines Kunstwerks fehlte etwas von der innern Nothwendigkeit. Zwei Eigenthümlichkeiten des Dichters sind es, nach denen man vorzugs¬ weise die Größe seiner Kraft beurtheilt: zunächst nach der Energie, mit welcher er die einzelnen Momente seines Stoffes für uns wirksam zu machen weiß, und zweitens nach seiner Auffassung des Lebens, welche wir überall als den Hintergrund seiner Formen und Bilder durchleuchten sehen. Dies letztere aber ist, was man den künstlerischen Charakter des Schaffenden nennen wird. Dieser künstlerische Charakter des Dichters hängt ab von dem Grad seiner menschlichen Bildung, von dem Adel und der Reinheit seiner idealen Empfin¬ dungen, und nicht am wenigsten von der Freiheit seiner Seele während dem Processe des Schaffens. Daß die Bildung des Dichters und seine ethische Kraft in jedem Augenblick des Schaffens bestimmenden Einfluß Grenzboten. IV. 1866. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/129>, abgerufen am 23.07.2024.