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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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allmälig an, das Treiben seines Herrn weniger lustig zu finden. jDas ewige
Versetzen, das Zanken mit Juden und Christen, die Sorge um den täglichen
Wein wurden ihm endlich zu unordentlich. Immer hatte er über sein eignes
Leben Buch geführt, selten hatte er vergessen anzumerken, daß er am vergan¬
genen Abend "voll" gewesen; am Ende jedes Jahres, welches zuweilen nichts
enthielt, als eine Reihe von behaglichen Saufgelagen und schlechten Geldge¬
schäften, hatte er seine Seele Gott befohlen und dahinter die Getreidepreise des
vergangenen Jahres notirt. Alles was er für seinen Herrn versetzt hatte, findet
sich in seinem Tagebuche mit ebenso genauer als überflüssiger Angabe des
wahren Silberwerthes bemerkt. Nachdem er so ziemlich alles versetzt hatte,
erlebte er das Herzeleid, daß sein Herzog in kaiserliches Gefängniß kam, da
schied er von ihm nicht ohne Wehmuth, wie man von einer Jugendliebe scheidet.
Aber sein deutscher Verstand sagte ihm, daß diese Trennung sür ihn selbst ein
Glück war. -- Nun kamen Jahre, wo er nur mit seinen Nachbarn trank, wo
er sich mit dem Herzog Friedrich versöhnte, und sogar dessen Marschall wurde,,
wo er heirathete, ein kleines Gut pachtete und halb als Landwirth, halb als
Hofmann schlecht und recht lebte, wie die andern auch. Darauf kam wieder
ein anderer Fürst in das Land, Schweinichen wurde fürstlicher Rath und thä¬
tiges Mitglied der Regierung, er bekam die Gicht, er verlor seine Frau durch den
Tod und heirathete sofort eine andere. Noch immer zog er unruhig in der
Landschaft umher, schlichtete die Händel der Edelleute und Bauern, betrank
sich noch zuweilen mit guten Kameraden, bezahlte Schulden, erwarb Grund¬
besitz, wurde immer älter und respectcibler, und starb endlich in Ehren. Seine
acht Wappenschilder glänzten sicherlich beim Begräbniß an den schwarzen Trauer¬
pferden, wie einst bei. dem Begräbniß, das er seinem seligen Herrn Vater
ausgerichtet hatte, er wurde auf seinem Grabe in Stein gehauen, und darüber
sein Banner in der Dorfkirche ausgehängt, während der Sarg seines unglück¬
lichen Fürsten noch ungeweiht über der Erde stand, von eifrigen krakauer Mön¬
chen als Ketzersarg in einer verfallenen Kapelle vermauert.

Schweinichen starb dreißig Jahre nach seinem Herzog, zu rechter Zeit,
zwei Jahre vor Beginn des dreißigjährigen Krieges. Diese furchtbare Zeil
verzehrte mit der Kraft des Landes auch die noch übrige Lebenskraft der Piaster.
Die letzten Häuser sanken schnell zusammen.

Es war im Fahr 1673, hundert Jahr, seitdem Herzog Heinrich und sein
treuer Hans die erste wilde Fahrt nach Deutschland unternommen, da ließ sich
auf der großen Haide von Kotzenau, die seit dem Kriege wieder wüst und öde
dalag, ein fremdartiges, unheimliches Thier sehen, von der Art, welche in
grauer Vorzeit mit ihrem Geweihe die schlestschen Büsche zerrissen hatte, da¬
mals als die ersten Piaster mit dem Jagdspieß und Federpfeil durch die Wäl¬
der zogen. Und oben im Fürstenschlosse zu Liegnitz feierte der letzte Piastenherzog,


allmälig an, das Treiben seines Herrn weniger lustig zu finden. jDas ewige
Versetzen, das Zanken mit Juden und Christen, die Sorge um den täglichen
Wein wurden ihm endlich zu unordentlich. Immer hatte er über sein eignes
Leben Buch geführt, selten hatte er vergessen anzumerken, daß er am vergan¬
genen Abend „voll" gewesen; am Ende jedes Jahres, welches zuweilen nichts
enthielt, als eine Reihe von behaglichen Saufgelagen und schlechten Geldge¬
schäften, hatte er seine Seele Gott befohlen und dahinter die Getreidepreise des
vergangenen Jahres notirt. Alles was er für seinen Herrn versetzt hatte, findet
sich in seinem Tagebuche mit ebenso genauer als überflüssiger Angabe des
wahren Silberwerthes bemerkt. Nachdem er so ziemlich alles versetzt hatte,
erlebte er das Herzeleid, daß sein Herzog in kaiserliches Gefängniß kam, da
schied er von ihm nicht ohne Wehmuth, wie man von einer Jugendliebe scheidet.
Aber sein deutscher Verstand sagte ihm, daß diese Trennung sür ihn selbst ein
Glück war. — Nun kamen Jahre, wo er nur mit seinen Nachbarn trank, wo
er sich mit dem Herzog Friedrich versöhnte, und sogar dessen Marschall wurde,,
wo er heirathete, ein kleines Gut pachtete und halb als Landwirth, halb als
Hofmann schlecht und recht lebte, wie die andern auch. Darauf kam wieder
ein anderer Fürst in das Land, Schweinichen wurde fürstlicher Rath und thä¬
tiges Mitglied der Regierung, er bekam die Gicht, er verlor seine Frau durch den
Tod und heirathete sofort eine andere. Noch immer zog er unruhig in der
Landschaft umher, schlichtete die Händel der Edelleute und Bauern, betrank
sich noch zuweilen mit guten Kameraden, bezahlte Schulden, erwarb Grund¬
besitz, wurde immer älter und respectcibler, und starb endlich in Ehren. Seine
acht Wappenschilder glänzten sicherlich beim Begräbniß an den schwarzen Trauer¬
pferden, wie einst bei. dem Begräbniß, das er seinem seligen Herrn Vater
ausgerichtet hatte, er wurde auf seinem Grabe in Stein gehauen, und darüber
sein Banner in der Dorfkirche ausgehängt, während der Sarg seines unglück¬
lichen Fürsten noch ungeweiht über der Erde stand, von eifrigen krakauer Mön¬
chen als Ketzersarg in einer verfallenen Kapelle vermauert.

Schweinichen starb dreißig Jahre nach seinem Herzog, zu rechter Zeit,
zwei Jahre vor Beginn des dreißigjährigen Krieges. Diese furchtbare Zeil
verzehrte mit der Kraft des Landes auch die noch übrige Lebenskraft der Piaster.
Die letzten Häuser sanken schnell zusammen.

Es war im Fahr 1673, hundert Jahr, seitdem Herzog Heinrich und sein
treuer Hans die erste wilde Fahrt nach Deutschland unternommen, da ließ sich
auf der großen Haide von Kotzenau, die seit dem Kriege wieder wüst und öde
dalag, ein fremdartiges, unheimliches Thier sehen, von der Art, welche in
grauer Vorzeit mit ihrem Geweihe die schlestschen Büsche zerrissen hatte, da¬
mals als die ersten Piaster mit dem Jagdspieß und Federpfeil durch die Wäl¬
der zogen. Und oben im Fürstenschlosse zu Liegnitz feierte der letzte Piastenherzog,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/125>, abgerufen am 23.07.2024.