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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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ziehen sie die Hüte ab, mit mein Herr grüßt sie gnädig, und fragt, wo ihr
Herr wäre; da sagen sie, das wüßten sie nicht. Darauf antwortete mein Herr,
er wäre nicht als ein Feind gekommen, sondern als ein Bruder. "Ich habe
mir ein Fischfaß mitgenommen in der Meinung, wenn ich mit meinem Bruder
mich freundlich unterredet hätte, so würde er nicht unhöflich gewesen sein, und
mir ein Gericht Fische geschenkt habend Und weil ich fremde Gäste bekommen
werde, so will ich eine Mandel Haupthechte und drei Mandeln Zahlhechte
und ein Schock Hauptkarpfen nehmen." -- Die, welche fischen sollten, verloren
sich, und der von der Saale betheuerte noch, Sr. Fürstliche Gnaden sollten keine
Fische wegladen. Mein Herr aber fragte nichts danach, sondern zwang die
Bauern, welche herzugelaufen waren, in die Haller zu steigen und zu fischen.
Und Fürstliche Gnaden lud die Fische selbst in die Fässer und befahl den Junkern,
Herzog Friedrich zu sagen, er hätte vor ihm und seinem Kriegsvolk nicht
fliehen dürfen, er sei in freundlicher Meinung gekommen, aber man sehe wol,
ein böses Gewissen ließe sich nicht verbergen. Herzog Friedrich sollte morgen
auf den Gröditzberg kommen und die Fische essen helfen. "Wenn aber Euer
Herr nicht kommen will, so kommt Ihr, wenn Ihr redliche Leute seid; und
seid nicht mehr furchtsam, wie Euch heute geschehen." Hernach sagte Fürstliche
Gnaden zu mir: "Hans, habe ich dirs nicht zuvor gesagt, ich wollte meinen
Bruder jagen? Wie gefällt es dir? Ich will ihn auch so von Liegnitz weg¬
jagen, du wirst sehen, es wird nicht lange dauern." So zogen wir dem
Gröditzberg zu und hatten guten Muth. --

So weit Schweinichen. Der Leser wird ohne Mühe errathen, daß nie¬
mand daran dachte, dem Herzog auf seinem Schlosse anzugreifen. Er selbst
wurde, als der Winter herankam, dieser Caprice überdrüssig und beschloß, wie¬
der eine Reise durch Deutschland zu machen, was Schweinichen sehr verstän¬
dig widcrrieth, dann aber seinen Witz anstrengte, das Geld dafür zu schaffen.

Die ausführliche und behagliche Erzählung des Schweinichen gibt uns Ge¬
legenheit, die ganze Persönlichkeit des Herzogs und die nicht weniger belusti¬
gende des Biographen selbst zu erkelinen. Wenn es in dem zerfahrenen Wesen
des Herzogs Heinrich etwas Außerordentliches gab, so war es die völlige und souve¬
räne Freiheit von dem, was man gewöhnlich Pflicht, Gewissen und Rechtsgefühl
nennt. Er hat nicht den Leichtsinn seines Hofmeisters, der sich über seine Bedenken
wegsetzt, sondern ihm fehlt ganz entschieden das sittliche Gefühl. Und diese
bedenkliche Freiheit kommt ihm, dem vornehmen Herren, eine Zeitlang zu Gute.
Denn mit gefälliger Leichtigkeit schlüpft er über alle Bedenken und Schwierig¬
keiten hinweg, und mit einem Lächeln oder einer vornehmen Verwunderung
gleitet er durch solche Situationen, bei denen wenig andere eine brennende
Schamröthe von ihren Wangen ferngehalten hätten. Wie er zu Gelde kommt,
ist ihm ganz gleichgiltig; in der Noth schreibt er Bettelbriefe an alle Welt,


ziehen sie die Hüte ab, mit mein Herr grüßt sie gnädig, und fragt, wo ihr
Herr wäre; da sagen sie, das wüßten sie nicht. Darauf antwortete mein Herr,
er wäre nicht als ein Feind gekommen, sondern als ein Bruder. „Ich habe
mir ein Fischfaß mitgenommen in der Meinung, wenn ich mit meinem Bruder
mich freundlich unterredet hätte, so würde er nicht unhöflich gewesen sein, und
mir ein Gericht Fische geschenkt habend Und weil ich fremde Gäste bekommen
werde, so will ich eine Mandel Haupthechte und drei Mandeln Zahlhechte
und ein Schock Hauptkarpfen nehmen." — Die, welche fischen sollten, verloren
sich, und der von der Saale betheuerte noch, Sr. Fürstliche Gnaden sollten keine
Fische wegladen. Mein Herr aber fragte nichts danach, sondern zwang die
Bauern, welche herzugelaufen waren, in die Haller zu steigen und zu fischen.
Und Fürstliche Gnaden lud die Fische selbst in die Fässer und befahl den Junkern,
Herzog Friedrich zu sagen, er hätte vor ihm und seinem Kriegsvolk nicht
fliehen dürfen, er sei in freundlicher Meinung gekommen, aber man sehe wol,
ein böses Gewissen ließe sich nicht verbergen. Herzog Friedrich sollte morgen
auf den Gröditzberg kommen und die Fische essen helfen. „Wenn aber Euer
Herr nicht kommen will, so kommt Ihr, wenn Ihr redliche Leute seid; und
seid nicht mehr furchtsam, wie Euch heute geschehen." Hernach sagte Fürstliche
Gnaden zu mir: „Hans, habe ich dirs nicht zuvor gesagt, ich wollte meinen
Bruder jagen? Wie gefällt es dir? Ich will ihn auch so von Liegnitz weg¬
jagen, du wirst sehen, es wird nicht lange dauern." So zogen wir dem
Gröditzberg zu und hatten guten Muth. —

So weit Schweinichen. Der Leser wird ohne Mühe errathen, daß nie¬
mand daran dachte, dem Herzog auf seinem Schlosse anzugreifen. Er selbst
wurde, als der Winter herankam, dieser Caprice überdrüssig und beschloß, wie¬
der eine Reise durch Deutschland zu machen, was Schweinichen sehr verstän¬
dig widcrrieth, dann aber seinen Witz anstrengte, das Geld dafür zu schaffen.

Die ausführliche und behagliche Erzählung des Schweinichen gibt uns Ge¬
legenheit, die ganze Persönlichkeit des Herzogs und die nicht weniger belusti¬
gende des Biographen selbst zu erkelinen. Wenn es in dem zerfahrenen Wesen
des Herzogs Heinrich etwas Außerordentliches gab, so war es die völlige und souve¬
räne Freiheit von dem, was man gewöhnlich Pflicht, Gewissen und Rechtsgefühl
nennt. Er hat nicht den Leichtsinn seines Hofmeisters, der sich über seine Bedenken
wegsetzt, sondern ihm fehlt ganz entschieden das sittliche Gefühl. Und diese
bedenkliche Freiheit kommt ihm, dem vornehmen Herren, eine Zeitlang zu Gute.
Denn mit gefälliger Leichtigkeit schlüpft er über alle Bedenken und Schwierig¬
keiten hinweg, und mit einem Lächeln oder einer vornehmen Verwunderung
gleitet er durch solche Situationen, bei denen wenig andere eine brennende
Schamröthe von ihren Wangen ferngehalten hätten. Wie er zu Gelde kommt,
ist ihm ganz gleichgiltig; in der Noth schreibt er Bettelbriefe an alle Welt,


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[0122] ziehen sie die Hüte ab, mit mein Herr grüßt sie gnädig, und fragt, wo ihr Herr wäre; da sagen sie, das wüßten sie nicht. Darauf antwortete mein Herr, er wäre nicht als ein Feind gekommen, sondern als ein Bruder. „Ich habe mir ein Fischfaß mitgenommen in der Meinung, wenn ich mit meinem Bruder mich freundlich unterredet hätte, so würde er nicht unhöflich gewesen sein, und mir ein Gericht Fische geschenkt habend Und weil ich fremde Gäste bekommen werde, so will ich eine Mandel Haupthechte und drei Mandeln Zahlhechte und ein Schock Hauptkarpfen nehmen." — Die, welche fischen sollten, verloren sich, und der von der Saale betheuerte noch, Sr. Fürstliche Gnaden sollten keine Fische wegladen. Mein Herr aber fragte nichts danach, sondern zwang die Bauern, welche herzugelaufen waren, in die Haller zu steigen und zu fischen. Und Fürstliche Gnaden lud die Fische selbst in die Fässer und befahl den Junkern, Herzog Friedrich zu sagen, er hätte vor ihm und seinem Kriegsvolk nicht fliehen dürfen, er sei in freundlicher Meinung gekommen, aber man sehe wol, ein böses Gewissen ließe sich nicht verbergen. Herzog Friedrich sollte morgen auf den Gröditzberg kommen und die Fische essen helfen. „Wenn aber Euer Herr nicht kommen will, so kommt Ihr, wenn Ihr redliche Leute seid; und seid nicht mehr furchtsam, wie Euch heute geschehen." Hernach sagte Fürstliche Gnaden zu mir: „Hans, habe ich dirs nicht zuvor gesagt, ich wollte meinen Bruder jagen? Wie gefällt es dir? Ich will ihn auch so von Liegnitz weg¬ jagen, du wirst sehen, es wird nicht lange dauern." So zogen wir dem Gröditzberg zu und hatten guten Muth. — So weit Schweinichen. Der Leser wird ohne Mühe errathen, daß nie¬ mand daran dachte, dem Herzog auf seinem Schlosse anzugreifen. Er selbst wurde, als der Winter herankam, dieser Caprice überdrüssig und beschloß, wie¬ der eine Reise durch Deutschland zu machen, was Schweinichen sehr verstän¬ dig widcrrieth, dann aber seinen Witz anstrengte, das Geld dafür zu schaffen. Die ausführliche und behagliche Erzählung des Schweinichen gibt uns Ge¬ legenheit, die ganze Persönlichkeit des Herzogs und die nicht weniger belusti¬ gende des Biographen selbst zu erkelinen. Wenn es in dem zerfahrenen Wesen des Herzogs Heinrich etwas Außerordentliches gab, so war es die völlige und souve¬ räne Freiheit von dem, was man gewöhnlich Pflicht, Gewissen und Rechtsgefühl nennt. Er hat nicht den Leichtsinn seines Hofmeisters, der sich über seine Bedenken wegsetzt, sondern ihm fehlt ganz entschieden das sittliche Gefühl. Und diese bedenkliche Freiheit kommt ihm, dem vornehmen Herren, eine Zeitlang zu Gute. Denn mit gefälliger Leichtigkeit schlüpft er über alle Bedenken und Schwierig¬ keiten hinweg, und mit einem Lächeln oder einer vornehmen Verwunderung gleitet er durch solche Situationen, bei denen wenig andere eine brennende Schamröthe von ihren Wangen ferngehalten hätten. Wie er zu Gelde kommt, ist ihm ganz gleichgiltig; in der Noth schreibt er Bettelbriefe an alle Welt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/122>, abgerufen am 23.07.2024.