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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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allegorischen Leidtragenden an Anhängern verloren. Canvvas Grabmal in
Venedig (nach seinem Entwurf für Tizians^Grabmal bestimmt und später dem¬
jenigen Canovas selbst zugeeignet) wird wol das letzte Bildwerk in diesem Ge¬
schmacke sein. Nachdem Thorwaldsen in seinem Grabmal des Papstes Pius VII.
ein Beispiel aufgestellt hatte, wie man den würdigen, aber mißbrauchten Ge¬
danken: den Verstorbenen selbst zur Hauptsache zu erheben und tiefer unten
rechts und links durch allegorische Gestalten seine Eigenschaften zu verherr-
lichen, wieder zu Ehren bringen könne, hat man hin und wieder versucht, den
nämlichen Weg zu gehen, doch hat sich eine bestimmte Stilart bis jetzt nicht
Bahn gebrochen, und der einzige Zug, in welchem alle neuern Arbeiten dieser
Art übereinstimmen, ist der einer gewissen Scheu vor Ueberschwenglichkeit im
alten Sinne. '

Es ist belehrend, die Entwicklung der monumentalen Sculptur in Italiens
Kirchen zu verfolgen, um sich über die Wirkung und die Mittel klar zu werden,
welche hier übersichtlich beisammen sind.

Wir wollen Einzelnes anführen, wie es uns in Erinnerung geblieben ist.

Dahin gehört zuerst Antonio Pvllajuolos Grabmal des Papstes Sirtus IV.
in Se. Peter, eine ringsum freie Bronzearbeit; der Verstorbene ruht erhaben
über den acht allegorischen Figuren der Tugenden und den noch tiefer an¬
gebrachten zehn wissenschaftlichen Allegorien. Diese sämmtlichen Allegorien sind
Hautrelief gearbeitet und beeinträchtigen nicht die Hauptfigur. Die Wirkung
ist ernst. Die Arbeit stammt aus den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts.

Andrea Sansovino, einige Jahrzehnte später, ging in seinen beiden Grab¬
mälern in Se. Maria del Popolo von der gestreckten Lage der Todten ab, wie
sie die alten Grabmäler in unsern Kirchen noch ausweisen, und gab ihnen eine
mehr schlummerrechte Lage. So ruht auch Julius II. auf dem bekannten
Mosesgrabmal deö Michel Angelo.

Sitzend dargestellt sind u. a. der Lorenzo des Michel Angel" in
Florenz, gleichsam in sinnender Stellung und zwar in einer Nische hinter dem
Sarkophag, auf welchem zwei ruhende allegorische Gestalten: Morgen und
Abend; ferner die zwei angeblich nach Ant. da Sangallvs Entwurf ausge¬
führten päpstlichen Monumente in der Kirche Sta. Maria sopra Minerva
in Rom, der Pvntifer erhaben in einer Nische, rechts und links vor ihm
stehende Evangelisten; beide Grabmäler des Sangallo sind einfach und von
der ernstesten Wirkung; auch Paul III. von Guglielmo della Porta sitzt; das
Postament ist schon höher und mächtiger, auch die beiden ruhenden Figuren
tief unter ihnen sind in kolossalen Verhältnissen.

Der spätern Zeit waren indessen diese Art Monumente nicht mehr bedeut¬
sam genug; um der eignen Thätigkeit der Phantasie auch nicht das Mindeste
mehr zu überlassen, mußten Gestalten in bunter Menge alle erdenkbaren Be-


allegorischen Leidtragenden an Anhängern verloren. Canvvas Grabmal in
Venedig (nach seinem Entwurf für Tizians^Grabmal bestimmt und später dem¬
jenigen Canovas selbst zugeeignet) wird wol das letzte Bildwerk in diesem Ge¬
schmacke sein. Nachdem Thorwaldsen in seinem Grabmal des Papstes Pius VII.
ein Beispiel aufgestellt hatte, wie man den würdigen, aber mißbrauchten Ge¬
danken: den Verstorbenen selbst zur Hauptsache zu erheben und tiefer unten
rechts und links durch allegorische Gestalten seine Eigenschaften zu verherr-
lichen, wieder zu Ehren bringen könne, hat man hin und wieder versucht, den
nämlichen Weg zu gehen, doch hat sich eine bestimmte Stilart bis jetzt nicht
Bahn gebrochen, und der einzige Zug, in welchem alle neuern Arbeiten dieser
Art übereinstimmen, ist der einer gewissen Scheu vor Ueberschwenglichkeit im
alten Sinne. '

Es ist belehrend, die Entwicklung der monumentalen Sculptur in Italiens
Kirchen zu verfolgen, um sich über die Wirkung und die Mittel klar zu werden,
welche hier übersichtlich beisammen sind.

Wir wollen Einzelnes anführen, wie es uns in Erinnerung geblieben ist.

Dahin gehört zuerst Antonio Pvllajuolos Grabmal des Papstes Sirtus IV.
in Se. Peter, eine ringsum freie Bronzearbeit; der Verstorbene ruht erhaben
über den acht allegorischen Figuren der Tugenden und den noch tiefer an¬
gebrachten zehn wissenschaftlichen Allegorien. Diese sämmtlichen Allegorien sind
Hautrelief gearbeitet und beeinträchtigen nicht die Hauptfigur. Die Wirkung
ist ernst. Die Arbeit stammt aus den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts.

Andrea Sansovino, einige Jahrzehnte später, ging in seinen beiden Grab¬
mälern in Se. Maria del Popolo von der gestreckten Lage der Todten ab, wie
sie die alten Grabmäler in unsern Kirchen noch ausweisen, und gab ihnen eine
mehr schlummerrechte Lage. So ruht auch Julius II. auf dem bekannten
Mosesgrabmal deö Michel Angelo.

Sitzend dargestellt sind u. a. der Lorenzo des Michel Angel» in
Florenz, gleichsam in sinnender Stellung und zwar in einer Nische hinter dem
Sarkophag, auf welchem zwei ruhende allegorische Gestalten: Morgen und
Abend; ferner die zwei angeblich nach Ant. da Sangallvs Entwurf ausge¬
führten päpstlichen Monumente in der Kirche Sta. Maria sopra Minerva
in Rom, der Pvntifer erhaben in einer Nische, rechts und links vor ihm
stehende Evangelisten; beide Grabmäler des Sangallo sind einfach und von
der ernstesten Wirkung; auch Paul III. von Guglielmo della Porta sitzt; das
Postament ist schon höher und mächtiger, auch die beiden ruhenden Figuren
tief unter ihnen sind in kolossalen Verhältnissen.

Der spätern Zeit waren indessen diese Art Monumente nicht mehr bedeut¬
sam genug; um der eignen Thätigkeit der Phantasie auch nicht das Mindeste
mehr zu überlassen, mußten Gestalten in bunter Menge alle erdenkbaren Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/106>, abgerufen am 23.07.2024.