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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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sen sei. Nichts häufiger in den Briefen wie in den Sonetten, als daß er die
Macht des Willens verherrlicht. Er rühmt sich, daß er ihn fort und fort ge¬
stählt, um sich Muth und Geduld eigen zu machen. Er erzählt, wie er sich
früh gewöhnt habe, hart gegen sich selbst zu sein. Er habe, sagt er, damit
angefangen, sich selbst zu kennen und sich selbst zu beherrschen; kein Mensch
könne sich klarer durchschauen, keiner sich mehr in der Gewalt haben. Grade
bei einem solchen Zusammenstimmen aber von Naturanlage und grundsätzlichen
Bemühen muß das Alter als die eigentlich vollendete Lebenszeit erscheinen.
Keine Beleuchtung, welche diesem Charakter zuträglicher und günstiger wäre
als die Abendbeleuchtung. Er selbst, wenn er durch einen Zauberstab machen
könnte, daß er den Rest seiner Jahre in jugendlicher Kraft und Frische ver¬
leben könnte, würde von dem Zauber keinen Gebrauch machen. Mit Recht.
Denn nun erst, ganz so wie der Stagirit es fordert, ist die aus dem Grunde
der Natur erwachsene Tugend von der hellsten Einsicht begleitet, nun erst ist
sie durch Gewohnheit und Uebung zur bleibenden Haltung geworden. Allezeit
war mehr vom Nestor als vom Achilleus in ihm."

In dieser Zeit des Alters kam in ihm zur Reife, was seinen Namen für ewig
verbunden hat mit dem der großen Eroberer im Reiche des Geistes. Es reiften
seine Untersuchungen über Ursprung und Wesen der Sprache. Wenn aber
jemand fragen sollte, wie denn eine langathmige Abhandlung über einen ver¬
kümmerten Dialekt in den baskischen Gebirgen, oder über eine untergegangene -
Priestersprache auf der Insel Java, oder ,,über vier ägyptische löwenköpsige
Bildsäulen", oder "über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pro¬
nomen" tiefere Einwirkung auf das Leben unsrer Nation haben könne, so sei
hier die Antwort wenigstens kurz angedeutet. Zunächst wurde Humboldt durch
diese Studien der Mitbegründer einer neuen Wissenschaft, der vergleichenden
Sprachkunde, und noch jetzt, zwanzig Jahre nach seinem Tode, wo diese Wissen¬
schaft durch eine große Menge von Detailstudien die weiteste Ausdehnung
gewonnen hat, hat sich niemand gefunden, der weit über Humboldt hinaus¬
zugehen wagte, noch immer stehn die Hauptresultate seiner wissenschaftlichen
Thätigkeit als die Grundmauern eines riesigen Gebäudes, zu denen seine Nach¬
folger mit ungeheurem Fleiß eine große Masse neuer Bausteine beHauen haben,
aber nur hier und da ist eine einzelne Mauer zu größerer Höhe geführt. Ferner
aber haben die Methode seiner Wissenschaft sowol, als die Resultate derselben
seinen Namen mit den Namen Wolf, Niebuhr, Grimm. Lachmann, Strauß
und mit andern noch lebender Gelehrten für alle Zukunft verbunden, und diese
Namen zusammen haben sür uns eine Bedeutung, welche sich nur mit der
unsrer großen Reformatoren vor 300 Jahren, oder, wenn ein solcher Vergleich
nicht mißverstanden wird, mit der von Aposteln einer neuen Weltlehre ver¬
gleichen läßt. ES ist der engste Zusammenhang zwischen den Untersuchungen


sen sei. Nichts häufiger in den Briefen wie in den Sonetten, als daß er die
Macht des Willens verherrlicht. Er rühmt sich, daß er ihn fort und fort ge¬
stählt, um sich Muth und Geduld eigen zu machen. Er erzählt, wie er sich
früh gewöhnt habe, hart gegen sich selbst zu sein. Er habe, sagt er, damit
angefangen, sich selbst zu kennen und sich selbst zu beherrschen; kein Mensch
könne sich klarer durchschauen, keiner sich mehr in der Gewalt haben. Grade
bei einem solchen Zusammenstimmen aber von Naturanlage und grundsätzlichen
Bemühen muß das Alter als die eigentlich vollendete Lebenszeit erscheinen.
Keine Beleuchtung, welche diesem Charakter zuträglicher und günstiger wäre
als die Abendbeleuchtung. Er selbst, wenn er durch einen Zauberstab machen
könnte, daß er den Rest seiner Jahre in jugendlicher Kraft und Frische ver¬
leben könnte, würde von dem Zauber keinen Gebrauch machen. Mit Recht.
Denn nun erst, ganz so wie der Stagirit es fordert, ist die aus dem Grunde
der Natur erwachsene Tugend von der hellsten Einsicht begleitet, nun erst ist
sie durch Gewohnheit und Uebung zur bleibenden Haltung geworden. Allezeit
war mehr vom Nestor als vom Achilleus in ihm."

In dieser Zeit des Alters kam in ihm zur Reife, was seinen Namen für ewig
verbunden hat mit dem der großen Eroberer im Reiche des Geistes. Es reiften
seine Untersuchungen über Ursprung und Wesen der Sprache. Wenn aber
jemand fragen sollte, wie denn eine langathmige Abhandlung über einen ver¬
kümmerten Dialekt in den baskischen Gebirgen, oder über eine untergegangene -
Priestersprache auf der Insel Java, oder ,,über vier ägyptische löwenköpsige
Bildsäulen", oder „über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pro¬
nomen" tiefere Einwirkung auf das Leben unsrer Nation haben könne, so sei
hier die Antwort wenigstens kurz angedeutet. Zunächst wurde Humboldt durch
diese Studien der Mitbegründer einer neuen Wissenschaft, der vergleichenden
Sprachkunde, und noch jetzt, zwanzig Jahre nach seinem Tode, wo diese Wissen¬
schaft durch eine große Menge von Detailstudien die weiteste Ausdehnung
gewonnen hat, hat sich niemand gefunden, der weit über Humboldt hinaus¬
zugehen wagte, noch immer stehn die Hauptresultate seiner wissenschaftlichen
Thätigkeit als die Grundmauern eines riesigen Gebäudes, zu denen seine Nach¬
folger mit ungeheurem Fleiß eine große Masse neuer Bausteine beHauen haben,
aber nur hier und da ist eine einzelne Mauer zu größerer Höhe geführt. Ferner
aber haben die Methode seiner Wissenschaft sowol, als die Resultate derselben
seinen Namen mit den Namen Wolf, Niebuhr, Grimm. Lachmann, Strauß
und mit andern noch lebender Gelehrten für alle Zukunft verbunden, und diese
Namen zusammen haben sür uns eine Bedeutung, welche sich nur mit der
unsrer großen Reformatoren vor 300 Jahren, oder, wenn ein solcher Vergleich
nicht mißverstanden wird, mit der von Aposteln einer neuen Weltlehre ver¬
gleichen läßt. ES ist der engste Zusammenhang zwischen den Untersuchungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/100>, abgerufen am 23.07.2024.