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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Tamerlan, so daß er sehr anerkannt gewesen sein muß; auch wissen wir, daß
angesehene Männer, wie Sir Thomas Walsingham (nicht der berühmte Sir
Francis W., sondern Manwords Schwiegersohn), sich seiner annahmen; aber
gewiß ist doch, daß die lockersten Vögel seine Freunde waren, und daß, als einer
von ihnen, Grame, im Jahr 1392 in Hunger und Kummer verkommen war, dieser
seinen überlebenden Gesellen eine klägliche Aufforderung zur Umkehr und Besserung
testamentarisch vermachte, welche dann sogleich von einem ähnlichen Dichter¬
ling (Chettle) unter dem Titel "Für einen Groschen Witz, erkauft mit
einer Million Groschen Neue" herausgegeben wurde. Ebenso scheint der
Vorwurf der Freigeisterei nicht unbegründet, wenn auch in dem harten Aus¬
druck Atheismus vielleicht eine Uebertreibung liegt. Denn nicht nur ermahnt ihn
der sterbende Greene aufs beweglichste, hiervon abzulassen, sondern ein Puritaner,
Namens Baue, gab sogar in Marlowes Todesjahre eine Klage auf Atheismus ge¬
gen diesen ein, welche noch unter alten Acten (von Ritson) aufgefunden worden ist.

Die Anklageschrift oder vielmehr Zeugenaussage, welche nach ihrem zweiten
(später geschriebenen) Titel 3 Tage vor des Beklagten plötzlichem Tode auf¬
genommen sein soll, enthält eine Masse der abscheulichsten Lästerungen, die
Marlowe gesagt haben soll, die gelindeste und mittheilbarste darunter ist die, daß
aile Religionen nur Erfindungen seien, um die Menschen bange zu machen,
auch mitten darunter die absurde Insinuation, als habe der Dichter das
Münzrecht als Regal- der Königin angefochten, und in Verbindung mit
einem Falschmünzer beabsichtigt, französische Kronen, Pistolen und englische
Schillinge zu verfertigen. Man hat allerdings allen Grund zu vermuthen,
daß der arme Poet die französischen Kronen und englischen Schillinge habe brauchen
können. Auch wurde dieser Rich. Baue oder. Bone schon im nächsten Jahre
aufgehängt. -- Die Worte GreeneS lauten:


"Den Herren quondam Bekannten, welche ihren Witz im Verfertiger
von Schauspielen üben, wünscht R. G. einen bessern Tummelplatz und Weis¬
heit, damit sie sein Elend vermeiden.

Wenn traurige Erfahrung euch bewegen kann, ihr Herren, euch zu hüten, oder
unerhörtes Elend euch dringend auffordern kann, euch in Acht zu nehmen, (diese
Parallelisirung der Wendungen ist das Wesentlichste des euphuistischen Stils) so
werdet ihr zweifelsohne mit Kummer auf eure Vergangenheit zurückblicken, und
streben, die zukünftige Zeit in Neue zu verbringen. Wundre Dich nicht, denn
bei Dir will ich zuerst anfangen, Du berühmter Anmuthspendcr unter den
Tragikern (d. i. Marlowe), daß Greene, der mit Dir gesagt hat, wie der Thor
in seinem Herzen: Es ist kein Gott, nun seiner Größe die Ehre gibt; denn
durchdringend ist seine Macht, seine Hand liegt schwer auf mir, er hat zu mir
geredet mit Donnerstimme, und ich habe erfahren, daß er ein Gott ist, der
Feinde strafen kann.' Warum sollte Dein erlesener Verstand, seine Gabe, so


Tamerlan, so daß er sehr anerkannt gewesen sein muß; auch wissen wir, daß
angesehene Männer, wie Sir Thomas Walsingham (nicht der berühmte Sir
Francis W., sondern Manwords Schwiegersohn), sich seiner annahmen; aber
gewiß ist doch, daß die lockersten Vögel seine Freunde waren, und daß, als einer
von ihnen, Grame, im Jahr 1392 in Hunger und Kummer verkommen war, dieser
seinen überlebenden Gesellen eine klägliche Aufforderung zur Umkehr und Besserung
testamentarisch vermachte, welche dann sogleich von einem ähnlichen Dichter¬
ling (Chettle) unter dem Titel „Für einen Groschen Witz, erkauft mit
einer Million Groschen Neue" herausgegeben wurde. Ebenso scheint der
Vorwurf der Freigeisterei nicht unbegründet, wenn auch in dem harten Aus¬
druck Atheismus vielleicht eine Uebertreibung liegt. Denn nicht nur ermahnt ihn
der sterbende Greene aufs beweglichste, hiervon abzulassen, sondern ein Puritaner,
Namens Baue, gab sogar in Marlowes Todesjahre eine Klage auf Atheismus ge¬
gen diesen ein, welche noch unter alten Acten (von Ritson) aufgefunden worden ist.

Die Anklageschrift oder vielmehr Zeugenaussage, welche nach ihrem zweiten
(später geschriebenen) Titel 3 Tage vor des Beklagten plötzlichem Tode auf¬
genommen sein soll, enthält eine Masse der abscheulichsten Lästerungen, die
Marlowe gesagt haben soll, die gelindeste und mittheilbarste darunter ist die, daß
aile Religionen nur Erfindungen seien, um die Menschen bange zu machen,
auch mitten darunter die absurde Insinuation, als habe der Dichter das
Münzrecht als Regal- der Königin angefochten, und in Verbindung mit
einem Falschmünzer beabsichtigt, französische Kronen, Pistolen und englische
Schillinge zu verfertigen. Man hat allerdings allen Grund zu vermuthen,
daß der arme Poet die französischen Kronen und englischen Schillinge habe brauchen
können. Auch wurde dieser Rich. Baue oder. Bone schon im nächsten Jahre
aufgehängt. — Die Worte GreeneS lauten:


„Den Herren quondam Bekannten, welche ihren Witz im Verfertiger
von Schauspielen üben, wünscht R. G. einen bessern Tummelplatz und Weis¬
heit, damit sie sein Elend vermeiden.

Wenn traurige Erfahrung euch bewegen kann, ihr Herren, euch zu hüten, oder
unerhörtes Elend euch dringend auffordern kann, euch in Acht zu nehmen, (diese
Parallelisirung der Wendungen ist das Wesentlichste des euphuistischen Stils) so
werdet ihr zweifelsohne mit Kummer auf eure Vergangenheit zurückblicken, und
streben, die zukünftige Zeit in Neue zu verbringen. Wundre Dich nicht, denn
bei Dir will ich zuerst anfangen, Du berühmter Anmuthspendcr unter den
Tragikern (d. i. Marlowe), daß Greene, der mit Dir gesagt hat, wie der Thor
in seinem Herzen: Es ist kein Gott, nun seiner Größe die Ehre gibt; denn
durchdringend ist seine Macht, seine Hand liegt schwer auf mir, er hat zu mir
geredet mit Donnerstimme, und ich habe erfahren, daß er ein Gott ist, der
Feinde strafen kann.' Warum sollte Dein erlesener Verstand, seine Gabe, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/79>, abgerufen am 27.07.2024.