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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Eine Demlncmtion.

Der Materialismus undtzdieZchristl ich c Volksschule/ Ein Aufruf an das
deutsche Volk und seine Obrigkeiten von Theodor Weber. Prediger der
reformirten Gemeinde zu Stendal. Stendal, Franzen ki Große. --

Was wir schon lange erwartet und gefürchtet haben, daß der Lärm, mit
dem die gegenwärtigen Naturforscher ihre materialistischen Ansichten verkündigen,
zu einer öffentlichen Anklage Veranlassung geben würde, ist jetzt wirklich eingetroffen,
und zwar tritt die Anklage mit all den gehässigen und widerwärtigen Formen
auf, die mit einer Denunciation in der Regel verbunden sind. Im Anfang
scheint sich der Verfasser ganz auf dem Gebiet der Pädagogik halten zu wollen
und spricht dasselbe aus, was auch wir bereits häufig entwickelt haben, daß die Natur-
wissenschaft zwar vollkommen im Recht ist, wenn sie erklärt, auf dem Wege der
Astronomie, Chemie und Physiologie weder die Existenz Gottes, noch die
Existenz der Seele finden zu können, daß sie aber die Schranken der Wissen¬
schaft überschreitet, wenn sie die Möglichkeit leugnet, auf irgend einem andern
Wege zu diesen Ideen zu gelangen. Wir haben ausgeführt, daß das beste
Heilmittel gegen den Materialismus, d. h. gegen die Leugnung der Ideen,
ein consequent durchgeführter Idealismus ist, denn wenn man in der Geschichte,
in der Philosophie, in der Dichtkunst u. s. w. die Ideen in ihrer offenbaren
Kraft und Wirkung verfolgt, so wird man nicht daran denken wollen, ihre
Existenz in Frage zu stellen. Wer wahrhaft an die Ideen glaubt, kann auch
diesem Materialismus gegenüber keine Furcht empfinden. -- Diese Zuversicht
scheint den theologischen Idealisten zu fehlen. Daß Herr Pastor Weber die
landüblichen Schimpfwörter gebraucht, daß er den Materialismus ein Evan¬
gelium des Teufels nennt, daß er in Bezug auf Moleschott sagt: "Dessen bin
ich mir bewußt, daß, wenn ich nur ein Wort zu seinem Lobe sagte, ich dann
meinen Namen in den Schmuz getreten und mein eignes, Angesicht geschändet
hätte;" daß er von Bunsen, der doch wol kein Materialist ist, behauptet, er
habe sich so weit herabgelassen, "den alten knochendürren Rationalismus, der
allerdings noch keineswegs todt, aber malhonett geworden war, und wie
eine alte abgestandene Mähre von seinen-Liebhabern im Stall gehalten
wurde, so weit aufzuzäumen und zu stutzen, daß ein reputirlicher Mann,
allenfalls auch ein Geheimerratl), sich wieder mit ihm vor Leuten sehen
lassen kann", -- das alles sind wir von den Vorfechtern der kirchlichen Recht¬
gläubigkeit gegen die Ketzer schon so gewöhnt , daß es uns nicht weiter be¬
fremdet. -- Aber der Herr Pastor bleibt bei den kirchlichen Bannflüchen nicht
stehen; er wendet sich an die Regierungen. "Sind sie denn," fragt er, "so
ganz kurzsichtig geworden, daß sie die Gefahr, die über unsern Häuptern
schwebt, die mit Riesenschritten immer näherkommt, nicht erkennen?" "Und so


Eine Demlncmtion.

Der Materialismus undtzdieZchristl ich c Volksschule/ Ein Aufruf an das
deutsche Volk und seine Obrigkeiten von Theodor Weber. Prediger der
reformirten Gemeinde zu Stendal. Stendal, Franzen ki Große. —

Was wir schon lange erwartet und gefürchtet haben, daß der Lärm, mit
dem die gegenwärtigen Naturforscher ihre materialistischen Ansichten verkündigen,
zu einer öffentlichen Anklage Veranlassung geben würde, ist jetzt wirklich eingetroffen,
und zwar tritt die Anklage mit all den gehässigen und widerwärtigen Formen
auf, die mit einer Denunciation in der Regel verbunden sind. Im Anfang
scheint sich der Verfasser ganz auf dem Gebiet der Pädagogik halten zu wollen
und spricht dasselbe aus, was auch wir bereits häufig entwickelt haben, daß die Natur-
wissenschaft zwar vollkommen im Recht ist, wenn sie erklärt, auf dem Wege der
Astronomie, Chemie und Physiologie weder die Existenz Gottes, noch die
Existenz der Seele finden zu können, daß sie aber die Schranken der Wissen¬
schaft überschreitet, wenn sie die Möglichkeit leugnet, auf irgend einem andern
Wege zu diesen Ideen zu gelangen. Wir haben ausgeführt, daß das beste
Heilmittel gegen den Materialismus, d. h. gegen die Leugnung der Ideen,
ein consequent durchgeführter Idealismus ist, denn wenn man in der Geschichte,
in der Philosophie, in der Dichtkunst u. s. w. die Ideen in ihrer offenbaren
Kraft und Wirkung verfolgt, so wird man nicht daran denken wollen, ihre
Existenz in Frage zu stellen. Wer wahrhaft an die Ideen glaubt, kann auch
diesem Materialismus gegenüber keine Furcht empfinden. — Diese Zuversicht
scheint den theologischen Idealisten zu fehlen. Daß Herr Pastor Weber die
landüblichen Schimpfwörter gebraucht, daß er den Materialismus ein Evan¬
gelium des Teufels nennt, daß er in Bezug auf Moleschott sagt: „Dessen bin
ich mir bewußt, daß, wenn ich nur ein Wort zu seinem Lobe sagte, ich dann
meinen Namen in den Schmuz getreten und mein eignes, Angesicht geschändet
hätte;" daß er von Bunsen, der doch wol kein Materialist ist, behauptet, er
habe sich so weit herabgelassen, „den alten knochendürren Rationalismus, der
allerdings noch keineswegs todt, aber malhonett geworden war, und wie
eine alte abgestandene Mähre von seinen-Liebhabern im Stall gehalten
wurde, so weit aufzuzäumen und zu stutzen, daß ein reputirlicher Mann,
allenfalls auch ein Geheimerratl), sich wieder mit ihm vor Leuten sehen
lassen kann", — das alles sind wir von den Vorfechtern der kirchlichen Recht¬
gläubigkeit gegen die Ketzer schon so gewöhnt , daß es uns nicht weiter be¬
fremdet. — Aber der Herr Pastor bleibt bei den kirchlichen Bannflüchen nicht
stehen; er wendet sich an die Regierungen. „Sind sie denn," fragt er, „so
ganz kurzsichtig geworden, daß sie die Gefahr, die über unsern Häuptern
schwebt, die mit Riesenschritten immer näherkommt, nicht erkennen?" „Und so


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[0074] Eine Demlncmtion. Der Materialismus undtzdieZchristl ich c Volksschule/ Ein Aufruf an das deutsche Volk und seine Obrigkeiten von Theodor Weber. Prediger der reformirten Gemeinde zu Stendal. Stendal, Franzen ki Große. — Was wir schon lange erwartet und gefürchtet haben, daß der Lärm, mit dem die gegenwärtigen Naturforscher ihre materialistischen Ansichten verkündigen, zu einer öffentlichen Anklage Veranlassung geben würde, ist jetzt wirklich eingetroffen, und zwar tritt die Anklage mit all den gehässigen und widerwärtigen Formen auf, die mit einer Denunciation in der Regel verbunden sind. Im Anfang scheint sich der Verfasser ganz auf dem Gebiet der Pädagogik halten zu wollen und spricht dasselbe aus, was auch wir bereits häufig entwickelt haben, daß die Natur- wissenschaft zwar vollkommen im Recht ist, wenn sie erklärt, auf dem Wege der Astronomie, Chemie und Physiologie weder die Existenz Gottes, noch die Existenz der Seele finden zu können, daß sie aber die Schranken der Wissen¬ schaft überschreitet, wenn sie die Möglichkeit leugnet, auf irgend einem andern Wege zu diesen Ideen zu gelangen. Wir haben ausgeführt, daß das beste Heilmittel gegen den Materialismus, d. h. gegen die Leugnung der Ideen, ein consequent durchgeführter Idealismus ist, denn wenn man in der Geschichte, in der Philosophie, in der Dichtkunst u. s. w. die Ideen in ihrer offenbaren Kraft und Wirkung verfolgt, so wird man nicht daran denken wollen, ihre Existenz in Frage zu stellen. Wer wahrhaft an die Ideen glaubt, kann auch diesem Materialismus gegenüber keine Furcht empfinden. — Diese Zuversicht scheint den theologischen Idealisten zu fehlen. Daß Herr Pastor Weber die landüblichen Schimpfwörter gebraucht, daß er den Materialismus ein Evan¬ gelium des Teufels nennt, daß er in Bezug auf Moleschott sagt: „Dessen bin ich mir bewußt, daß, wenn ich nur ein Wort zu seinem Lobe sagte, ich dann meinen Namen in den Schmuz getreten und mein eignes, Angesicht geschändet hätte;" daß er von Bunsen, der doch wol kein Materialist ist, behauptet, er habe sich so weit herabgelassen, „den alten knochendürren Rationalismus, der allerdings noch keineswegs todt, aber malhonett geworden war, und wie eine alte abgestandene Mähre von seinen-Liebhabern im Stall gehalten wurde, so weit aufzuzäumen und zu stutzen, daß ein reputirlicher Mann, allenfalls auch ein Geheimerratl), sich wieder mit ihm vor Leuten sehen lassen kann", — das alles sind wir von den Vorfechtern der kirchlichen Recht¬ gläubigkeit gegen die Ketzer schon so gewöhnt , daß es uns nicht weiter be¬ fremdet. — Aber der Herr Pastor bleibt bei den kirchlichen Bannflüchen nicht stehen; er wendet sich an die Regierungen. „Sind sie denn," fragt er, „so ganz kurzsichtig geworden, daß sie die Gefahr, die über unsern Häuptern schwebt, die mit Riesenschritten immer näherkommt, nicht erkennen?" „Und so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/74>, abgerufen am 26.07.2024.