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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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denn an und für sich' betrachtet sind jene drei Kindergcsichter mit der Andeu¬
tung der Physiognomie großer Männer so lieblich und reizend, daß man auch
an dem Gemüth des Künstlers nicht zweifeln darf. Ungerechtfertigt ist vor allen
Dingen der Schluß, daß Kaulbach der herrschenden Richtung unsrer Zeit Con¬
cessionen gemacht haben sollte. Wer so dreist wie er die Uebertreibungen des
religiösen Eifers verspottet, der darf auch wol die vermeintlichen Uebertrei¬
bungen der Philosophie und der Wissenschaft im Allgemeinen geißeln, ohne
deshalb dem Verdacht des Servilismus zu verfallen. Die beiden Theologen,
die mit den Köpfen gegeneinander rennen, die christliche Figur, die mit dem
Kreuz in der einen, mit dem Schwert in der andern Hand den Heiden ent¬
gegentritt, der Papst, der seine Blitze schleudert und nehmliche Figuren, sind
würdige und gehaltreiche Gegenstücke zu den Himmelsstürmern, die mit dem
Kopf gegen das verschlossene Thor der überirdischen Welt rennen und im Eifer
des Angriffs ihre Schlafmütze verlieren. Kaulbach ist ein arger Schelm, aber
kein Tropfen Servilismus ist in seinem Blut.

Ob die ironische Malerei, ob daS Negative in der Kunst überhaupt seine
Berechtigung hat--diese Frage möchte im Allgemeinen schwer zu beantworten
sein. An und sür sich hat das Ächöne wol immer seine Berechtigung und die
Schönheit dieser ironischen Bilder drängt sich so unwiderstehlich auf, daß man
sie zugeben muß, auch wenn man sich darüber ärgert. Es kommt auf den
Ort an, sür den sie gedacht sind. Kaulbach hat sie so in die Ferne gerückt
und durch die graue Farbe so verwischt, daß man besonders darauf aufmerksam
gemacht sein muß, wenn man sie überhaupt sehen will und daß man sie auch
dann nicht so genau unterscheidet, wie es die Feinheit der Zeichnung verlangt.

Dieser humoristische Fries ist so vertheilt, daß regelmäßig über einem
historischen Gemälde, welches eine Phase der menschlichen Culturentwicklung
ernsthaft behandelt, sich das graue ironische Zerrbild desselben ausbreitet. Es
ist aber nicht der Humor allein, der die fortlaufende Einheit des Treppenhauses
darstellt, das Ganze strotzt von Symbolik, um nach der Absicht des Künstlers
die Gesammtheit der menschlichen Entwicklung darzustellen. Zwischen den großen
Wandgemälden bemerken wir einige Bruststücke und ganze Figuren männlichen
und weiblichen Geschlechts, die symmetrisch geordnet theils durch ihre Attribute,
theils durch den Ausdruck ihrer Gestchtszüge eine bestimmte Richtung repräsen-
tiren und so gewissermaßen eine vollständige weltliche Mythologie herstellen.
ES sind vier Cyklusse von Figuren, von denen freilich noch nicht alle aus¬
geführt sind: 1) Sage, Geschichte, Wissenschaft und Poesie, 2) Isis, Venus,
Italien und Deutschland (warum nicht lieber die Madonna oder sonst etwas
der Art?), 3) Moses, Solon, Karl der Große und Friedrich Barbarossa,
4) Architektur, Bildhauerei, Malerei und Musik. Die Bilder haben vielen
Beifall gefunden, und sowol ihre Stellungen wie ihre Gestchtszüge sind in der


denn an und für sich' betrachtet sind jene drei Kindergcsichter mit der Andeu¬
tung der Physiognomie großer Männer so lieblich und reizend, daß man auch
an dem Gemüth des Künstlers nicht zweifeln darf. Ungerechtfertigt ist vor allen
Dingen der Schluß, daß Kaulbach der herrschenden Richtung unsrer Zeit Con¬
cessionen gemacht haben sollte. Wer so dreist wie er die Uebertreibungen des
religiösen Eifers verspottet, der darf auch wol die vermeintlichen Uebertrei¬
bungen der Philosophie und der Wissenschaft im Allgemeinen geißeln, ohne
deshalb dem Verdacht des Servilismus zu verfallen. Die beiden Theologen,
die mit den Köpfen gegeneinander rennen, die christliche Figur, die mit dem
Kreuz in der einen, mit dem Schwert in der andern Hand den Heiden ent¬
gegentritt, der Papst, der seine Blitze schleudert und nehmliche Figuren, sind
würdige und gehaltreiche Gegenstücke zu den Himmelsstürmern, die mit dem
Kopf gegen das verschlossene Thor der überirdischen Welt rennen und im Eifer
des Angriffs ihre Schlafmütze verlieren. Kaulbach ist ein arger Schelm, aber
kein Tropfen Servilismus ist in seinem Blut.

Ob die ironische Malerei, ob daS Negative in der Kunst überhaupt seine
Berechtigung hat—diese Frage möchte im Allgemeinen schwer zu beantworten
sein. An und sür sich hat das Ächöne wol immer seine Berechtigung und die
Schönheit dieser ironischen Bilder drängt sich so unwiderstehlich auf, daß man
sie zugeben muß, auch wenn man sich darüber ärgert. Es kommt auf den
Ort an, sür den sie gedacht sind. Kaulbach hat sie so in die Ferne gerückt
und durch die graue Farbe so verwischt, daß man besonders darauf aufmerksam
gemacht sein muß, wenn man sie überhaupt sehen will und daß man sie auch
dann nicht so genau unterscheidet, wie es die Feinheit der Zeichnung verlangt.

Dieser humoristische Fries ist so vertheilt, daß regelmäßig über einem
historischen Gemälde, welches eine Phase der menschlichen Culturentwicklung
ernsthaft behandelt, sich das graue ironische Zerrbild desselben ausbreitet. Es
ist aber nicht der Humor allein, der die fortlaufende Einheit des Treppenhauses
darstellt, das Ganze strotzt von Symbolik, um nach der Absicht des Künstlers
die Gesammtheit der menschlichen Entwicklung darzustellen. Zwischen den großen
Wandgemälden bemerken wir einige Bruststücke und ganze Figuren männlichen
und weiblichen Geschlechts, die symmetrisch geordnet theils durch ihre Attribute,
theils durch den Ausdruck ihrer Gestchtszüge eine bestimmte Richtung repräsen-
tiren und so gewissermaßen eine vollständige weltliche Mythologie herstellen.
ES sind vier Cyklusse von Figuren, von denen freilich noch nicht alle aus¬
geführt sind: 1) Sage, Geschichte, Wissenschaft und Poesie, 2) Isis, Venus,
Italien und Deutschland (warum nicht lieber die Madonna oder sonst etwas
der Art?), 3) Moses, Solon, Karl der Große und Friedrich Barbarossa,
4) Architektur, Bildhauerei, Malerei und Musik. Die Bilder haben vielen
Beifall gefunden, und sowol ihre Stellungen wie ihre Gestchtszüge sind in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/60>, abgerufen am 27.07.2024.