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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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HrieS, gegen die Astronomen, Philosophen und Dichter enthielt. Ganz so arg
finde ich bei genauerer Anschauung die Sache nicht. Der ganze Fr.es .se ,o
g-ordnet. daß jeder Theil desselben sich auf die darunterstehenden Wandgemälde,
die historischen wie die symbolischen, bezieht und die Stoffe, die in demselben
tragisch aufgefaßt werden. ironisch behandelt. Der Angabe nach null Kaul¬
bach mit jener Ironie nur die Uebertreibungen geißeln, in die auch eine be¬
rechtigte Richtung leicht verfällt, wenn sie nicht mit beständiger Selbstkritik ver.
knüpft ist. Eigentlich ist es aber die alte Manier der romantischen Schule
mit dem einen Auge Begeisterung, mit dem andern Spott auszudrücken und
die Gestalten. die man eben durch dichterische Synthese gewonnen, durch kriti¬
sche Analyse wieder auszulösen. Kaulbachs Natur ist recht zu dieser Manier
geschaffen, er ist ein feingebildeter Kopf, durch und durch restent.render Art
und besitzt neben einer mächtig begabten Einbildungskraft einen sprudelnden
Humor. Bei seinen ernsten und größeren Compositionen, wenn man von der
Hunnenschlacht absieht, findet man fast überall daS Nachdenken thätig; man
fühlt sich stets versucht, nach Gründen seines Verfahrens zu fragen und findet
sie auch bei reiflicher Ueberlegung. Die Macht der unmittelbaren Ueberzeugung,
die aus einem einfachen gläubigen Gemüth'hervorgeht, macht sich nur in den
seltensten Fällen geltend. Ganz anders in diesen humoristischen Figuren. Die
bestimmte historische oder symbolische Beziehung ist freilich nicht überall leicht
zu verfolgen und die Randnoten, die man jetzt unter dem Carton liest, sind
für das Verständniß wesentlich. Aber auch ohne daß wir diese Beziehungen
enträthseln, macht der kühne lebendige Humor der Gestalten auf uns einen
erfrischenden Eindruck. Es ist ein tolles, übermüthiges Spiel der Laune, die
sich vor nichts scheut, durch kein Bedenken gestört wird und im Grunde auch
an nichts glaubt. Wenn wir uns über das fratzenhafte Bild des alten Kant
ärgern und die verzerrte Auffassung der Naturforscher mißbilligen, so haben
die gläubigen Christen no'es vielmehr Veranlassung, sich über die Art, wie die
Kirche dargestellt ist. zu skandalisiren und wenn diese jetzt so sehr wachsame
Menschenclasse gegen den tollen Uebermuth des Künstlers nichts einzuwenden
gehabt hat, so können auch wir uns bescheiden. Es ist recht schade, daß
Kaulbach bei den Figuren Goethes, Grimms und Humboldts seine Ironie auf¬
gegeben und sie ganz ernsthaft dargestellt Hai. Daß sie über der symbolischen
Figur der Poesie angebracht sind, während Kant, Laplace u. s. w. einem andern
Giebelfelde angehören, ändert an der Sache nichts; denn Alexander v. Hum¬
boldt und Jacob Grimm sind zwar gewiß Männer, denen die unbedingteste
Verehrung des deutschen Volks gebührt, aber Dichter sind sie nicht und der
Maler hat also durch seine verschiedenartige Darstellung über den Werth wissen¬
schaftlicher Leistungen ein Gutachten abgegeben, das ihm nicht zukommt. Frei¬
lich ist nur um dieses falschen Contrastes willen die Zeichnung zu bedauern;


HrieS, gegen die Astronomen, Philosophen und Dichter enthielt. Ganz so arg
finde ich bei genauerer Anschauung die Sache nicht. Der ganze Fr.es .se ,o
g-ordnet. daß jeder Theil desselben sich auf die darunterstehenden Wandgemälde,
die historischen wie die symbolischen, bezieht und die Stoffe, die in demselben
tragisch aufgefaßt werden. ironisch behandelt. Der Angabe nach null Kaul¬
bach mit jener Ironie nur die Uebertreibungen geißeln, in die auch eine be¬
rechtigte Richtung leicht verfällt, wenn sie nicht mit beständiger Selbstkritik ver.
knüpft ist. Eigentlich ist es aber die alte Manier der romantischen Schule
mit dem einen Auge Begeisterung, mit dem andern Spott auszudrücken und
die Gestalten. die man eben durch dichterische Synthese gewonnen, durch kriti¬
sche Analyse wieder auszulösen. Kaulbachs Natur ist recht zu dieser Manier
geschaffen, er ist ein feingebildeter Kopf, durch und durch restent.render Art
und besitzt neben einer mächtig begabten Einbildungskraft einen sprudelnden
Humor. Bei seinen ernsten und größeren Compositionen, wenn man von der
Hunnenschlacht absieht, findet man fast überall daS Nachdenken thätig; man
fühlt sich stets versucht, nach Gründen seines Verfahrens zu fragen und findet
sie auch bei reiflicher Ueberlegung. Die Macht der unmittelbaren Ueberzeugung,
die aus einem einfachen gläubigen Gemüth'hervorgeht, macht sich nur in den
seltensten Fällen geltend. Ganz anders in diesen humoristischen Figuren. Die
bestimmte historische oder symbolische Beziehung ist freilich nicht überall leicht
zu verfolgen und die Randnoten, die man jetzt unter dem Carton liest, sind
für das Verständniß wesentlich. Aber auch ohne daß wir diese Beziehungen
enträthseln, macht der kühne lebendige Humor der Gestalten auf uns einen
erfrischenden Eindruck. Es ist ein tolles, übermüthiges Spiel der Laune, die
sich vor nichts scheut, durch kein Bedenken gestört wird und im Grunde auch
an nichts glaubt. Wenn wir uns über das fratzenhafte Bild des alten Kant
ärgern und die verzerrte Auffassung der Naturforscher mißbilligen, so haben
die gläubigen Christen no'es vielmehr Veranlassung, sich über die Art, wie die
Kirche dargestellt ist. zu skandalisiren und wenn diese jetzt so sehr wachsame
Menschenclasse gegen den tollen Uebermuth des Künstlers nichts einzuwenden
gehabt hat, so können auch wir uns bescheiden. Es ist recht schade, daß
Kaulbach bei den Figuren Goethes, Grimms und Humboldts seine Ironie auf¬
gegeben und sie ganz ernsthaft dargestellt Hai. Daß sie über der symbolischen
Figur der Poesie angebracht sind, während Kant, Laplace u. s. w. einem andern
Giebelfelde angehören, ändert an der Sache nichts; denn Alexander v. Hum¬
boldt und Jacob Grimm sind zwar gewiß Männer, denen die unbedingteste
Verehrung des deutschen Volks gebührt, aber Dichter sind sie nicht und der
Maler hat also durch seine verschiedenartige Darstellung über den Werth wissen¬
schaftlicher Leistungen ein Gutachten abgegeben, das ihm nicht zukommt. Frei¬
lich ist nur um dieses falschen Contrastes willen die Zeichnung zu bedauern;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/59>, abgerufen am 27.07.2024.