Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.nicht erwähnen, baß Stockhausen die Arie "Es ist genug!" rührend vortrug, Die wahrhaft plastische Kraft in Stockhausens musikalischen Bortrag be¬ nicht erwähnen, baß Stockhausen die Arie „Es ist genug!" rührend vortrug, Die wahrhaft plastische Kraft in Stockhausens musikalischen Bortrag be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102025"/> <p xml:id="ID_1363" prev="#ID_1362"> nicht erwähnen, baß Stockhausen die Arie „Es ist genug!" rührend vortrug,<lb/> denn hier hat der Componist ihm vollständig vorgearbeitet und es ist vielmehr<lb/> zu rühmen, daß er eher zurückhielt als weiter ging; aber auch die erste Arie:<lb/> „Herr Gott Abrahams!" wurde durch seinen Vortrag zu einem wahrhaft<lb/> erhebenden innigen Gebete.</p><lb/> <p xml:id="ID_1364"> Die wahrhaft plastische Kraft in Stockhausens musikalischen Bortrag be¬<lb/> währte sich auch da, wo er nur eine einzelne Situation darzustellen hatte; so<lb/> namentlich in der Arie: „Bacchus ewig jung und schön" im Alerander-<lb/> sest. Die Art, wie die Lust und Seligkeit des Trinkens in derselben dar¬<lb/> gestellt wird, ist von dem, was wir uns unter bacchisch orgiastischer Schwärmerei<lb/> im antiken Sinn denken, oder von der Weise, wie sich der ausgelassene Jubel<lb/> eines Trinkgelags heutzutage äußert, so sehr verschieden, daß es zum rechten<lb/> Verständniß derselben gewissermaßen einer Interpretation bedarf. Stockhausen<lb/> wußte die Feierlichkeit und den Pomp mit der unergründlichen Tiefe der<lb/> Trinklust zu einem so individuell lebendigen Bilde zu verschmelzen, daß man<lb/> einen der alten kriegserfahrnen Feldherrn Aleranders mit dem Becher in der<lb/> Hand vor sich zu sehen glaubte. Mit derselben Sicherheit und Schärfe<lb/> zeichnete er in der Arie des Seile schal aus Johann von Paris den<lb/> französischen Hofmann; und obgleich die komischen Pointen der Arie recht<lb/> eigentliche Bühneneffecte sind, so regte er doch durch seinen prägnanten Vor-<lb/> trag die Imagination so bestimmt an, daß sicherlich, auch wer mit der Situation<lb/> nicht näher bekannt war, die komische Wirkung ganz voll und rein empfunden<lb/> hat. Bei Leistungen der Art soll man eigentlich nicht fragen, welche besser<lb/> sei, denn jede ist an ihrem Ort und in ihrer Art das, was sie sein soll, wobei<lb/> man gern zugeben kann, daß dem einen dieses, dem andern jenes mehr<lb/> zusage und gefalle. Ich kann daher auch nicht sagen, daß von Stockhausens<lb/> Leistungen der Vortrag der Lieder 'das Höchste sei. Ich will damit gewiß<lb/> seinen Liedern nicht zu nahe treten, ich habe nur von Jenny Lind etwas<lb/> Aehnliches gehört und wünsche mir nichts Besseres, allein ich finde, daß<lb/> seine echt künstlerische Begabung und Bildung sich auch auf diesem Gebiet<lb/> in derselben Weise kund macht, wie auf anderen. Die knappere, leichter zu<lb/> übersehende und aufzunehmende Form, die concentrirte Kraft der Empfindung<lb/> und des Ausdrucks, die freiere Wahl solcher Stücke,, die seiner Stimme beson¬<lb/> ders günstig sind, erklären es wol, daß die Wirkung seiner Liedervorträge eine<lb/> schlagendere ist; für mich ist es am bewunvernSwerthesten, daß er diese auch<lb/> hier nur durch rein künstlerische Mittel hervorbringt; jedes seiner Lieder ist<lb/> ein Ganzes, von bestimmter Färbung, und doch mit einer ebenso freien als<lb/> feinen Nuancirung des Einzelnen; ein Ausdruck, wie er ihn in die Worte:<lb/> „Unten fängts schon an zu blühen" in Schumanns Frühling„f-<lb/> ranst zu legen weiß, ist allein ein Beweis künstlerischer Meisterschaft.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0498]
nicht erwähnen, baß Stockhausen die Arie „Es ist genug!" rührend vortrug,
denn hier hat der Componist ihm vollständig vorgearbeitet und es ist vielmehr
zu rühmen, daß er eher zurückhielt als weiter ging; aber auch die erste Arie:
„Herr Gott Abrahams!" wurde durch seinen Vortrag zu einem wahrhaft
erhebenden innigen Gebete.
Die wahrhaft plastische Kraft in Stockhausens musikalischen Bortrag be¬
währte sich auch da, wo er nur eine einzelne Situation darzustellen hatte; so
namentlich in der Arie: „Bacchus ewig jung und schön" im Alerander-
sest. Die Art, wie die Lust und Seligkeit des Trinkens in derselben dar¬
gestellt wird, ist von dem, was wir uns unter bacchisch orgiastischer Schwärmerei
im antiken Sinn denken, oder von der Weise, wie sich der ausgelassene Jubel
eines Trinkgelags heutzutage äußert, so sehr verschieden, daß es zum rechten
Verständniß derselben gewissermaßen einer Interpretation bedarf. Stockhausen
wußte die Feierlichkeit und den Pomp mit der unergründlichen Tiefe der
Trinklust zu einem so individuell lebendigen Bilde zu verschmelzen, daß man
einen der alten kriegserfahrnen Feldherrn Aleranders mit dem Becher in der
Hand vor sich zu sehen glaubte. Mit derselben Sicherheit und Schärfe
zeichnete er in der Arie des Seile schal aus Johann von Paris den
französischen Hofmann; und obgleich die komischen Pointen der Arie recht
eigentliche Bühneneffecte sind, so regte er doch durch seinen prägnanten Vor-
trag die Imagination so bestimmt an, daß sicherlich, auch wer mit der Situation
nicht näher bekannt war, die komische Wirkung ganz voll und rein empfunden
hat. Bei Leistungen der Art soll man eigentlich nicht fragen, welche besser
sei, denn jede ist an ihrem Ort und in ihrer Art das, was sie sein soll, wobei
man gern zugeben kann, daß dem einen dieses, dem andern jenes mehr
zusage und gefalle. Ich kann daher auch nicht sagen, daß von Stockhausens
Leistungen der Vortrag der Lieder 'das Höchste sei. Ich will damit gewiß
seinen Liedern nicht zu nahe treten, ich habe nur von Jenny Lind etwas
Aehnliches gehört und wünsche mir nichts Besseres, allein ich finde, daß
seine echt künstlerische Begabung und Bildung sich auch auf diesem Gebiet
in derselben Weise kund macht, wie auf anderen. Die knappere, leichter zu
übersehende und aufzunehmende Form, die concentrirte Kraft der Empfindung
und des Ausdrucks, die freiere Wahl solcher Stücke,, die seiner Stimme beson¬
ders günstig sind, erklären es wol, daß die Wirkung seiner Liedervorträge eine
schlagendere ist; für mich ist es am bewunvernSwerthesten, daß er diese auch
hier nur durch rein künstlerische Mittel hervorbringt; jedes seiner Lieder ist
ein Ganzes, von bestimmter Färbung, und doch mit einer ebenso freien als
feinen Nuancirung des Einzelnen; ein Ausdruck, wie er ihn in die Worte:
„Unten fängts schon an zu blühen" in Schumanns Frühling„f-
ranst zu legen weiß, ist allein ein Beweis künstlerischer Meisterschaft.
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