Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.konnte Stephan mit dem von den Lichudas eingeführten Studienplan nicht In dieser Weise erhielt die Wissenschaft in Nußland vom Anfang an konnte Stephan mit dem von den Lichudas eingeführten Studienplan nicht In dieser Weise erhielt die Wissenschaft in Nußland vom Anfang an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102009"/> <p xml:id="ID_1327" prev="#ID_1326"> konnte Stephan mit dem von den Lichudas eingeführten Studienplan nicht<lb/> einverstanden sein; ihm galten die in den Schulen von Kiew, Lemberg uno<lb/> Posen herrschenden Normen für maßgebend, und er riech daher dem Zaren,<lb/> die moskaner Akademie nach dem Muster der kiewer zu reorganisiren. Peter<lb/> selbst hatte auf seinen Reisen durch Europa überall nur Pflanzstätten der la¬<lb/> teinischen Bildung gesehen; indem er has staatliche Leben Rußlands umgestal¬<lb/> tete, wollte er auch die Wissenschaft in me allgemein üblichen Formen kleiven,<lb/> und durch einen Ukas vom 7. Juni 4 70-1 wurde die Einführung der latei¬<lb/> nischen Lehrmethode in der Akademie beschlossen. In Folge dieses Ukas berief<lb/> nun Jaworskji Lehrer aus Kiew, welche die moskauer Akademie auf den Fuß<lb/> ihrer heimathlichen Hochschule einrichteten. Es scheint sogar, daß die kiewer<lb/> Professoren zur Beschleunigung der Reform ihre vorgeschrittenen Zöglinge mu<lb/> nach Moskau brachten; wenigstens simpel man in bem Verzeichnisse der Stu¬<lb/> denten der Philosophie vom Jahr 1704 nur drei Großrussen — alle andern,<lb/> einunddreißig an der Zahl, haben kleinrussische und polnische Namen. Alle<lb/> Collegia wurden in lateinischer Sprache gehalten, alle Dissertationen in der¬<lb/> selben abgefaßt; die Akademie verlor ihren frühern Namen einer griechischen<lb/> Schule und hieß in den officiellen Acten gewöhnlich nur die lateinische ober<lb/> slawisch-lateinische. Es verdient Bemerkung, daß man in jener Zeit der latei¬<lb/> nischen Sprache eine besondere politische Bedeutung zu geben suchte, indem man<lb/> sie vie Sprache der Autokratie nannte, eine Sprache, bie an die blühenden<lb/> Tage des römischen Reichs erinnere."</p><lb/> <p xml:id="ID_1328" next="#ID_1329"> In dieser Weise erhielt die Wissenschaft in Nußland vom Anfang an<lb/> einen scholastischen Charakter, der sich von der einzigen damals evisiirenden<lb/> hoher» Lehranstalt über alle in der Folge errrichteten Jnstuule verbreitete.<lb/> Aber wie wenig Theilnahme fand auch diese von dem Muchlfpruch Peters ins<lb/> Leben gerufene Anstalt! Ihre besten, eifrigsten Lehrer (und bereu gab es leider<lb/> nicht viele) gingen als Opfer ver Unwissenheit, des Neides u»o ber Kabale<lb/> zu Grunde. Ein solches Schicksal halte namentlich der geehrte und verständige<lb/> Theophilakt Lopatinökji, der erst von dem Metropoliten Tevphan Prokopowirsch,<lb/> bann von Biron verfolgt wurde. Es fehlte auch nicht an a ivern Opfern,<lb/> und die übrigen dachten daher hauptsächlich an ihre eigne Sicherheit, während<lb/> die in Barbarei versunkenen Zeitgenossen allen Schulunterricht hartnäckig voll<lb/> sich wiesen. Umsonst verkündete Peter, baß „eine gute und gründliche Bil¬<lb/> dung die Wurzel, ver Same und die Grundlage alles Nützlichen, sowol für<lb/> den Staat als die Kirche" sei: die Stimme deS Zaren verhallte in der Wüste.<lb/> Man hing noch allzusehr an der alten Ignoranz, dem allen Müßiggang.<lb/> Wie Peter selbst bemerkte, hielten die Eltern die Aufforderung, ihre Kinder<lb/> in die Schule zu schicken, für eine gewaltsame Neerutenaushebung; sie verwei¬<lb/> gerten den Gehorsam, unb wenn sie nachgeben mußten, so lUunlerten sie die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
konnte Stephan mit dem von den Lichudas eingeführten Studienplan nicht
einverstanden sein; ihm galten die in den Schulen von Kiew, Lemberg uno
Posen herrschenden Normen für maßgebend, und er riech daher dem Zaren,
die moskaner Akademie nach dem Muster der kiewer zu reorganisiren. Peter
selbst hatte auf seinen Reisen durch Europa überall nur Pflanzstätten der la¬
teinischen Bildung gesehen; indem er has staatliche Leben Rußlands umgestal¬
tete, wollte er auch die Wissenschaft in me allgemein üblichen Formen kleiven,
und durch einen Ukas vom 7. Juni 4 70-1 wurde die Einführung der latei¬
nischen Lehrmethode in der Akademie beschlossen. In Folge dieses Ukas berief
nun Jaworskji Lehrer aus Kiew, welche die moskauer Akademie auf den Fuß
ihrer heimathlichen Hochschule einrichteten. Es scheint sogar, daß die kiewer
Professoren zur Beschleunigung der Reform ihre vorgeschrittenen Zöglinge mu
nach Moskau brachten; wenigstens simpel man in bem Verzeichnisse der Stu¬
denten der Philosophie vom Jahr 1704 nur drei Großrussen — alle andern,
einunddreißig an der Zahl, haben kleinrussische und polnische Namen. Alle
Collegia wurden in lateinischer Sprache gehalten, alle Dissertationen in der¬
selben abgefaßt; die Akademie verlor ihren frühern Namen einer griechischen
Schule und hieß in den officiellen Acten gewöhnlich nur die lateinische ober
slawisch-lateinische. Es verdient Bemerkung, daß man in jener Zeit der latei¬
nischen Sprache eine besondere politische Bedeutung zu geben suchte, indem man
sie vie Sprache der Autokratie nannte, eine Sprache, bie an die blühenden
Tage des römischen Reichs erinnere."
In dieser Weise erhielt die Wissenschaft in Nußland vom Anfang an
einen scholastischen Charakter, der sich von der einzigen damals evisiirenden
hoher» Lehranstalt über alle in der Folge errrichteten Jnstuule verbreitete.
Aber wie wenig Theilnahme fand auch diese von dem Muchlfpruch Peters ins
Leben gerufene Anstalt! Ihre besten, eifrigsten Lehrer (und bereu gab es leider
nicht viele) gingen als Opfer ver Unwissenheit, des Neides u»o ber Kabale
zu Grunde. Ein solches Schicksal halte namentlich der geehrte und verständige
Theophilakt Lopatinökji, der erst von dem Metropoliten Tevphan Prokopowirsch,
bann von Biron verfolgt wurde. Es fehlte auch nicht an a ivern Opfern,
und die übrigen dachten daher hauptsächlich an ihre eigne Sicherheit, während
die in Barbarei versunkenen Zeitgenossen allen Schulunterricht hartnäckig voll
sich wiesen. Umsonst verkündete Peter, baß „eine gute und gründliche Bil¬
dung die Wurzel, ver Same und die Grundlage alles Nützlichen, sowol für
den Staat als die Kirche" sei: die Stimme deS Zaren verhallte in der Wüste.
Man hing noch allzusehr an der alten Ignoranz, dem allen Müßiggang.
Wie Peter selbst bemerkte, hielten die Eltern die Aufforderung, ihre Kinder
in die Schule zu schicken, für eine gewaltsame Neerutenaushebung; sie verwei¬
gerten den Gehorsam, unb wenn sie nachgeben mußten, so lUunlerten sie die
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