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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Gast aufgetreten ist, für lange Zeit verbannt, da ja daS Puhu'cum in seiner
gewöhnlichen Laßheit für die allmälige Fortbildung seiner Künstler sich nicht
interessirt, sondern stets nach Neuem haschmd lieber willig jedes fremde Ge¬
sicht aufnimmt, als durch Theilnahme an den eignen Künstlern dieselben anzu¬
feuern sucht.

Das ungefähr sind die Hauptgefahren, die das Gastspielunwesen in seinem
Gefolge führt, Gefahren, die abzuwenden vor der Hand freilich gar keine
Aussicht da ist, zumal da das leidige Virtuosenthum auch in die darstellende
Kunst gedrungen ist, und sich daselbst fest eingenistet hat. Immerhin schadet
es nicht, auf diese Mängel aufmerksam zu machen, die sich ja nur an den
Mißbrauch der besprochenen Sitte heften. Denn wir sind, wir sagen eS
nochmals, weit davon entfernt, die Gastspiele ganz zu verurtheilen. Mit Maß
und steter Wahrung der höhern Gesetze ter Kunst, werden sie den Vortheil
bieten, den Jffland ihnen zuschrieb, wenn er sagt: "Das Vergnügen, das ein
Künstler einem neuen Publicum gibt und von ihm empfängt, verleiht frisches
Blut, neue Aussichten, erhöhte Kraft."

Gewiß, mehr wie ein andrer, bedarf der Künstler nothwendig einer freiern,
frischern Anregung, als er zu Hause empfängt, er bedarf eines anders den¬
kenden, anders fühlenden Publicums, wenn er seine ganze geistige Kraft er¬
halten und nicht in hergebrachte Formeln und Routine verfallen will. Aber
der Künstler soll vor allem kein Makler sein, der Werth seiner Darstellung
soll nicht nach der Höhe des Honorars bemessen werden, und ebensowenig soll
er die nothwendige Anregung, die er bei wohlvorbereiteten Gastspielen an ei¬
nigen Bühnen'finden kann, verwechseln mit der vernichtenden Aufregung, die
eine Kurierreise über die verschiedensten Bühnen und durch die verschiedensten
Geschmacksrichtungen mit sich bringen muß, und die den Künstler stets tiefer
in das Getriebe der Cffeethascherei und in drü tollen Strudel einer Ehrsucht
reißen muß, die sich zuletzt nur um das Beifallsgebrüll und Toben der Gale¬
rien bekümmert.

Alle' Vortheile der Gastspiele blieben aber, während ihre Nachtheile sehr
schwinden würden, wenn die Sitte der Gesammtgastspiele mehr auskäme. Wenn
eine ganze Gesellschaft, oder wenigstens mehre Mitglieder derselben, die schon
den Stamm der verschiedenen Aufführungen bilden, sich vereinigen, um aus¬
wärts eine Reihe von Vorstellungen zu geben, so kann dies in den meisten
Fällen nur von Nutzen sein. Für die Künstler ist das fremde Publieum da
und somit die neue Anregung, ihre Kräfte anzuspannen; die Zuschauer wie¬
derum haben Gelegenheit, fremde Künstler und ihre Art zu würdigen, und
doch zugleich sich eines abgerundeten Zusammenspiels, also einer wahrhaften
Schauspieldarstellung zu erfreuen. Ja, diese Sitte hätte für die Mittellhectter
noch den Vorzug, daß die Gesellschaft, die zu Hause die meisten Stücke nur


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Gast aufgetreten ist, für lange Zeit verbannt, da ja daS Puhu'cum in seiner
gewöhnlichen Laßheit für die allmälige Fortbildung seiner Künstler sich nicht
interessirt, sondern stets nach Neuem haschmd lieber willig jedes fremde Ge¬
sicht aufnimmt, als durch Theilnahme an den eignen Künstlern dieselben anzu¬
feuern sucht.

Das ungefähr sind die Hauptgefahren, die das Gastspielunwesen in seinem
Gefolge führt, Gefahren, die abzuwenden vor der Hand freilich gar keine
Aussicht da ist, zumal da das leidige Virtuosenthum auch in die darstellende
Kunst gedrungen ist, und sich daselbst fest eingenistet hat. Immerhin schadet
es nicht, auf diese Mängel aufmerksam zu machen, die sich ja nur an den
Mißbrauch der besprochenen Sitte heften. Denn wir sind, wir sagen eS
nochmals, weit davon entfernt, die Gastspiele ganz zu verurtheilen. Mit Maß
und steter Wahrung der höhern Gesetze ter Kunst, werden sie den Vortheil
bieten, den Jffland ihnen zuschrieb, wenn er sagt: „Das Vergnügen, das ein
Künstler einem neuen Publicum gibt und von ihm empfängt, verleiht frisches
Blut, neue Aussichten, erhöhte Kraft."

Gewiß, mehr wie ein andrer, bedarf der Künstler nothwendig einer freiern,
frischern Anregung, als er zu Hause empfängt, er bedarf eines anders den¬
kenden, anders fühlenden Publicums, wenn er seine ganze geistige Kraft er¬
halten und nicht in hergebrachte Formeln und Routine verfallen will. Aber
der Künstler soll vor allem kein Makler sein, der Werth seiner Darstellung
soll nicht nach der Höhe des Honorars bemessen werden, und ebensowenig soll
er die nothwendige Anregung, die er bei wohlvorbereiteten Gastspielen an ei¬
nigen Bühnen'finden kann, verwechseln mit der vernichtenden Aufregung, die
eine Kurierreise über die verschiedensten Bühnen und durch die verschiedensten
Geschmacksrichtungen mit sich bringen muß, und die den Künstler stets tiefer
in das Getriebe der Cffeethascherei und in drü tollen Strudel einer Ehrsucht
reißen muß, die sich zuletzt nur um das Beifallsgebrüll und Toben der Gale¬
rien bekümmert.

Alle' Vortheile der Gastspiele blieben aber, während ihre Nachtheile sehr
schwinden würden, wenn die Sitte der Gesammtgastspiele mehr auskäme. Wenn
eine ganze Gesellschaft, oder wenigstens mehre Mitglieder derselben, die schon
den Stamm der verschiedenen Aufführungen bilden, sich vereinigen, um aus¬
wärts eine Reihe von Vorstellungen zu geben, so kann dies in den meisten
Fällen nur von Nutzen sein. Für die Künstler ist das fremde Publieum da
und somit die neue Anregung, ihre Kräfte anzuspannen; die Zuschauer wie¬
derum haben Gelegenheit, fremde Künstler und ihre Art zu würdigen, und
doch zugleich sich eines abgerundeten Zusammenspiels, also einer wahrhaften
Schauspieldarstellung zu erfreuen. Ja, diese Sitte hätte für die Mittellhectter
noch den Vorzug, daß die Gesellschaft, die zu Hause die meisten Stücke nur


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[0475] Gast aufgetreten ist, für lange Zeit verbannt, da ja daS Puhu'cum in seiner gewöhnlichen Laßheit für die allmälige Fortbildung seiner Künstler sich nicht interessirt, sondern stets nach Neuem haschmd lieber willig jedes fremde Ge¬ sicht aufnimmt, als durch Theilnahme an den eignen Künstlern dieselben anzu¬ feuern sucht. Das ungefähr sind die Hauptgefahren, die das Gastspielunwesen in seinem Gefolge führt, Gefahren, die abzuwenden vor der Hand freilich gar keine Aussicht da ist, zumal da das leidige Virtuosenthum auch in die darstellende Kunst gedrungen ist, und sich daselbst fest eingenistet hat. Immerhin schadet es nicht, auf diese Mängel aufmerksam zu machen, die sich ja nur an den Mißbrauch der besprochenen Sitte heften. Denn wir sind, wir sagen eS nochmals, weit davon entfernt, die Gastspiele ganz zu verurtheilen. Mit Maß und steter Wahrung der höhern Gesetze ter Kunst, werden sie den Vortheil bieten, den Jffland ihnen zuschrieb, wenn er sagt: „Das Vergnügen, das ein Künstler einem neuen Publicum gibt und von ihm empfängt, verleiht frisches Blut, neue Aussichten, erhöhte Kraft." Gewiß, mehr wie ein andrer, bedarf der Künstler nothwendig einer freiern, frischern Anregung, als er zu Hause empfängt, er bedarf eines anders den¬ kenden, anders fühlenden Publicums, wenn er seine ganze geistige Kraft er¬ halten und nicht in hergebrachte Formeln und Routine verfallen will. Aber der Künstler soll vor allem kein Makler sein, der Werth seiner Darstellung soll nicht nach der Höhe des Honorars bemessen werden, und ebensowenig soll er die nothwendige Anregung, die er bei wohlvorbereiteten Gastspielen an ei¬ nigen Bühnen'finden kann, verwechseln mit der vernichtenden Aufregung, die eine Kurierreise über die verschiedensten Bühnen und durch die verschiedensten Geschmacksrichtungen mit sich bringen muß, und die den Künstler stets tiefer in das Getriebe der Cffeethascherei und in drü tollen Strudel einer Ehrsucht reißen muß, die sich zuletzt nur um das Beifallsgebrüll und Toben der Gale¬ rien bekümmert. Alle' Vortheile der Gastspiele blieben aber, während ihre Nachtheile sehr schwinden würden, wenn die Sitte der Gesammtgastspiele mehr auskäme. Wenn eine ganze Gesellschaft, oder wenigstens mehre Mitglieder derselben, die schon den Stamm der verschiedenen Aufführungen bilden, sich vereinigen, um aus¬ wärts eine Reihe von Vorstellungen zu geben, so kann dies in den meisten Fällen nur von Nutzen sein. Für die Künstler ist das fremde Publieum da und somit die neue Anregung, ihre Kräfte anzuspannen; die Zuschauer wie¬ derum haben Gelegenheit, fremde Künstler und ihre Art zu würdigen, und doch zugleich sich eines abgerundeten Zusammenspiels, also einer wahrhaften Schauspieldarstellung zu erfreuen. Ja, diese Sitte hätte für die Mittellhectter noch den Vorzug, daß die Gesellschaft, die zu Hause die meisten Stücke nur 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/475>, abgerufen am 05.07.2024.