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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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von Schreckensscenen, die Jahre hindurch zwischen den Philipponen und den im
tiefern Wald von aller Hilfe entfernten Forstbeamten vorgefallen > sind und in
denen der Grund zu der Furcht liegt, die man noch heutzutage vor jener
Menschenclasse hegt, haben für sie den Forstdiebstahl gleichsam zum Privilegium
gemacht, indem der Forstbeamte in diesen ungeheuern holz- und wildreichen
Waldungen für den Staat lieber eine verhältnißmäßig geringe Einbuße zu¬
lassen, als sein Leben bei ver Überwachung so gefährlicher Waldfrevler aufs
Spiel setzen mag. Die Philipponen, wegen der Dürftigkeit ihres Landbesitzes
und wegen der Entfernung der Seen einmal auf den Forstbiebstahl angewiesen,
haben ihre Widersetzlichkeit gegen die Forstbeamten so lange zu einem fort¬
währenden Kampfe ausgedehnt, bis diese und selbst auch die Negierung müde
geworden sind, den mannigfachen Schädigungen durch Einsetzung von Menschen¬
leben Einhalt zu thun. ES wird in Masuren ein Fall erzählt, wie jene
Kämpfe mit den Forstbeamten, durch Blutrache verursacht, von dem Aeltervater
bis aus den Urenkel fortgeführt worden sind. Nunmehr hat sich dieses düstre
unheimliche Wesen aus der Wildnsß verloren, und ohne sonderliche Besorgniß
läßt der Philippone, wenn ihn der tiefe Schnee des Winters verhindert, andre
Wege einzuschlagen, seinen mit gestohlenen Holz beladenen Schlitten dem Ge¬
höfte deS Oberförsters und der minder pflichtgetreuen Förster 'nahe Vorbei¬
gleiten; erschrickt auch nicht im mindesten, wenn in der Stadt ihn einer von
den Grünröcken beim Verhandeln des Holzes trifft und mit halb zornigen, halb
ängstlichen Blicken beobachtet, ohne zu wagen, die Obrigkeit in Anspruch zu
nehmen. In vielen Fällen mag die Feindseligkeit zwischen Philipponen und
Forstbeamten sich jetzt schon zu einem gewissen Einverständniß verwandelt haben,
das vermöge gewisser Uebereinkommen und Abmachungen beide Theile die Seg¬
nungen der Eintracht genießen läßt. Wo dies nicht der Fall ist, da haben
nur die Beamten Ursache, vor den im Walde umherschleichenven Philipponen
ZU zittern; jeder andre dürste wol ungefährdet ihnen gegenüber und in ihre
Hütte treten. Freilich sind von der Beschäftigung mit Focstdiebstahl, der in¬
dessen bei so manchem eine Entschuldigung findet, die Neigungen zur Plün¬
derung von Fremden wol nicht sehr weit entfernt. Gewiß aber schreibt vie
vor den Philipponen allgemein gehegte Furcht, die manche Mutter für ihr vom
heimathlichen Gut zum Schluß der Ferien nach der Stadt entsandtes Söhnchen
iUtern macht, sich großentheils von dem ernsten, düstern Benehmen her, womit
diese Menschen auftreten. ^

In Betracht der von der Art der übrigen Einwohner Masurens bedeutend
abweichenden Erscheinung der Philipponen und in Betracht des Umstandes,
daß sie fast jede andre Beschäftigung, als die für sie gefahrvollen der Jagd und
des Holzdiebstahls vermeiden, auch hierin von den friedlichen, sogar indolenten,


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von Schreckensscenen, die Jahre hindurch zwischen den Philipponen und den im
tiefern Wald von aller Hilfe entfernten Forstbeamten vorgefallen > sind und in
denen der Grund zu der Furcht liegt, die man noch heutzutage vor jener
Menschenclasse hegt, haben für sie den Forstdiebstahl gleichsam zum Privilegium
gemacht, indem der Forstbeamte in diesen ungeheuern holz- und wildreichen
Waldungen für den Staat lieber eine verhältnißmäßig geringe Einbuße zu¬
lassen, als sein Leben bei ver Überwachung so gefährlicher Waldfrevler aufs
Spiel setzen mag. Die Philipponen, wegen der Dürftigkeit ihres Landbesitzes
und wegen der Entfernung der Seen einmal auf den Forstbiebstahl angewiesen,
haben ihre Widersetzlichkeit gegen die Forstbeamten so lange zu einem fort¬
währenden Kampfe ausgedehnt, bis diese und selbst auch die Negierung müde
geworden sind, den mannigfachen Schädigungen durch Einsetzung von Menschen¬
leben Einhalt zu thun. ES wird in Masuren ein Fall erzählt, wie jene
Kämpfe mit den Forstbeamten, durch Blutrache verursacht, von dem Aeltervater
bis aus den Urenkel fortgeführt worden sind. Nunmehr hat sich dieses düstre
unheimliche Wesen aus der Wildnsß verloren, und ohne sonderliche Besorgniß
läßt der Philippone, wenn ihn der tiefe Schnee des Winters verhindert, andre
Wege einzuschlagen, seinen mit gestohlenen Holz beladenen Schlitten dem Ge¬
höfte deS Oberförsters und der minder pflichtgetreuen Förster 'nahe Vorbei¬
gleiten; erschrickt auch nicht im mindesten, wenn in der Stadt ihn einer von
den Grünröcken beim Verhandeln des Holzes trifft und mit halb zornigen, halb
ängstlichen Blicken beobachtet, ohne zu wagen, die Obrigkeit in Anspruch zu
nehmen. In vielen Fällen mag die Feindseligkeit zwischen Philipponen und
Forstbeamten sich jetzt schon zu einem gewissen Einverständniß verwandelt haben,
das vermöge gewisser Uebereinkommen und Abmachungen beide Theile die Seg¬
nungen der Eintracht genießen läßt. Wo dies nicht der Fall ist, da haben
nur die Beamten Ursache, vor den im Walde umherschleichenven Philipponen
ZU zittern; jeder andre dürste wol ungefährdet ihnen gegenüber und in ihre
Hütte treten. Freilich sind von der Beschäftigung mit Focstdiebstahl, der in¬
dessen bei so manchem eine Entschuldigung findet, die Neigungen zur Plün¬
derung von Fremden wol nicht sehr weit entfernt. Gewiß aber schreibt vie
vor den Philipponen allgemein gehegte Furcht, die manche Mutter für ihr vom
heimathlichen Gut zum Schluß der Ferien nach der Stadt entsandtes Söhnchen
iUtern macht, sich großentheils von dem ernsten, düstern Benehmen her, womit
diese Menschen auftreten. ^

In Betracht der von der Art der übrigen Einwohner Masurens bedeutend
abweichenden Erscheinung der Philipponen und in Betracht des Umstandes,
daß sie fast jede andre Beschäftigung, als die für sie gefahrvollen der Jagd und
des Holzdiebstahls vermeiden, auch hierin von den friedlichen, sogar indolenten,


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[0441] von Schreckensscenen, die Jahre hindurch zwischen den Philipponen und den im tiefern Wald von aller Hilfe entfernten Forstbeamten vorgefallen > sind und in denen der Grund zu der Furcht liegt, die man noch heutzutage vor jener Menschenclasse hegt, haben für sie den Forstdiebstahl gleichsam zum Privilegium gemacht, indem der Forstbeamte in diesen ungeheuern holz- und wildreichen Waldungen für den Staat lieber eine verhältnißmäßig geringe Einbuße zu¬ lassen, als sein Leben bei ver Überwachung so gefährlicher Waldfrevler aufs Spiel setzen mag. Die Philipponen, wegen der Dürftigkeit ihres Landbesitzes und wegen der Entfernung der Seen einmal auf den Forstbiebstahl angewiesen, haben ihre Widersetzlichkeit gegen die Forstbeamten so lange zu einem fort¬ währenden Kampfe ausgedehnt, bis diese und selbst auch die Negierung müde geworden sind, den mannigfachen Schädigungen durch Einsetzung von Menschen¬ leben Einhalt zu thun. ES wird in Masuren ein Fall erzählt, wie jene Kämpfe mit den Forstbeamten, durch Blutrache verursacht, von dem Aeltervater bis aus den Urenkel fortgeführt worden sind. Nunmehr hat sich dieses düstre unheimliche Wesen aus der Wildnsß verloren, und ohne sonderliche Besorgniß läßt der Philippone, wenn ihn der tiefe Schnee des Winters verhindert, andre Wege einzuschlagen, seinen mit gestohlenen Holz beladenen Schlitten dem Ge¬ höfte deS Oberförsters und der minder pflichtgetreuen Förster 'nahe Vorbei¬ gleiten; erschrickt auch nicht im mindesten, wenn in der Stadt ihn einer von den Grünröcken beim Verhandeln des Holzes trifft und mit halb zornigen, halb ängstlichen Blicken beobachtet, ohne zu wagen, die Obrigkeit in Anspruch zu nehmen. In vielen Fällen mag die Feindseligkeit zwischen Philipponen und Forstbeamten sich jetzt schon zu einem gewissen Einverständniß verwandelt haben, das vermöge gewisser Uebereinkommen und Abmachungen beide Theile die Seg¬ nungen der Eintracht genießen läßt. Wo dies nicht der Fall ist, da haben nur die Beamten Ursache, vor den im Walde umherschleichenven Philipponen ZU zittern; jeder andre dürste wol ungefährdet ihnen gegenüber und in ihre Hütte treten. Freilich sind von der Beschäftigung mit Focstdiebstahl, der in¬ dessen bei so manchem eine Entschuldigung findet, die Neigungen zur Plün¬ derung von Fremden wol nicht sehr weit entfernt. Gewiß aber schreibt vie vor den Philipponen allgemein gehegte Furcht, die manche Mutter für ihr vom heimathlichen Gut zum Schluß der Ferien nach der Stadt entsandtes Söhnchen iUtern macht, sich großentheils von dem ernsten, düstern Benehmen her, womit diese Menschen auftreten. ^ In Betracht der von der Art der übrigen Einwohner Masurens bedeutend abweichenden Erscheinung der Philipponen und in Betracht des Umstandes, daß sie fast jede andre Beschäftigung, als die für sie gefahrvollen der Jagd und des Holzdiebstahls vermeiden, auch hierin von den friedlichen, sogar indolenten, Grenzboten. II. -I8LL. ' os

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/441>, abgerufen am 05.07.2024.