Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Weizen, mit dem er fast seinen ganzen Acker besSt, liefert ihm nur kärglichen
und unsicher" Ertrags denn auch er verträgt die glühenden, regenarmen
Sommer nicht, und außerdem wird der sanvige Acker oft durch heftige Regen¬
güsse sammt der darin versenkten Saat mit fortgeschwemmt. Weh einem solchen
Ackerbauer, den die Entfernung eines Sees verhindert, zugleich die Fischerei zu
betreiben! Er wird den Holzdiebstahl und die Wilddieberei zu Hilfe nehmen
müssen, um sein und seiner Familie kümmerliches Leben zu fristen, bis die
Vollendung seines Elendes hereinbricht.

Es ist schon ein Erlebniß, in diesen Wildnissen sich zu verirren und in der
Hütte eines masurischen Fischers oder abgebauten Landmanns Herberge suchen
zu müssen. Schon die Hütte selbst erregt uns Grauen. Neuerbaut war sie
wol schon ans verwitterten, halb verfaulten Planken und Pfählen mit hölzernen
Pflöcken zusammengenagelt und nothdürftig mit schlechtem Stroh gedeckt; die
Fäulniß hat seitdem ganze Planken aus den Wänden gezehrt, so daß Sturm,
Regen und Schnee in das Innere der Baracke zu gelangen vermögen. Zerfetzt
weht das Stroh des Daches umher, und der zusammenfaltende Rauchfang drückt
sichtbar auf seine morschen Sparren. Die Fensterhöhlen sind Tag und Nacht
durch Breter verschlossen, die man von außen angenagelt hat, und die zum
Sommer fortgenommen werden, im Winter aber genügendes Licht durch ihre
Löcher und Spalten schimmern lassen. Die Thür schlottert in ihren Angeln
, von Stricken oder Fischdärmen, vermittels deren sie, nothdürftig befestigt ist.
Nebengebäude gibt es wol nicht -- und wozu wären sie auch, da selten mehr
Vorräthe aufzuspeichern sind, als eine Kammer des Hauses zu fassen vermag,
deren Boden, mit Lehm gepflastert, zugleich als Tenne dient. -- Und gar das
Innere des Hauses! Tief, in Schmuz versinkt unser Fuß beim Eintritt; denn
der Boden ist keineswegs gedielt und dazu in einer fortwährenden Umwandlung
begriffen; denn dieser eine Raum schließt alles Leben und alle Verrichtungen
der Familie in sich. Diese, zu welcher innig vertraut einige Ferkel und einige
Hühner gehören, wohnt einträchtig um einen schwarzen Ofen und behält sich
Vor seinen grunzenden Stubengenossen, den Gespielen der Kinder, als einzige
Bequemlichkeit die breite Bank vor, welche durch die Ofenhitze halb verkohlt ist.
Der dicht daneben befindliche Herd dient als Tisch , als Schrank, kurz anstatt
jegliches Hausgeräthes; die obere Abplattung des Ofens aber ist die Ruhe¬
stätte der Armen, denen der Schlaf das einzige Glück ist.. Zur Winterzeit ver¬
schläft der Mann mit seinen schmutzigen Kindern hier auf dem Ofen Tag und
Nacht, wenn ihn das Fischerhandwerk nicht in Anspruch nimmt; und schläft er
nicht, so flickt er hier seine Netze, spießt hier die Fische zum Räuchern auf
lange, hölzerne Stäbe, läßt sich sein Tröglein Fischbrühe hier hinauf reichen.
Sein Tröglein, -- doch das ist selten; gewöhnlich speist die ganze Familie,
bisweilen, aber nicht immer vermittels langer hölzerner Löffel, aus einem und


Weizen, mit dem er fast seinen ganzen Acker besSt, liefert ihm nur kärglichen
und unsicher» Ertrags denn auch er verträgt die glühenden, regenarmen
Sommer nicht, und außerdem wird der sanvige Acker oft durch heftige Regen¬
güsse sammt der darin versenkten Saat mit fortgeschwemmt. Weh einem solchen
Ackerbauer, den die Entfernung eines Sees verhindert, zugleich die Fischerei zu
betreiben! Er wird den Holzdiebstahl und die Wilddieberei zu Hilfe nehmen
müssen, um sein und seiner Familie kümmerliches Leben zu fristen, bis die
Vollendung seines Elendes hereinbricht.

Es ist schon ein Erlebniß, in diesen Wildnissen sich zu verirren und in der
Hütte eines masurischen Fischers oder abgebauten Landmanns Herberge suchen
zu müssen. Schon die Hütte selbst erregt uns Grauen. Neuerbaut war sie
wol schon ans verwitterten, halb verfaulten Planken und Pfählen mit hölzernen
Pflöcken zusammengenagelt und nothdürftig mit schlechtem Stroh gedeckt; die
Fäulniß hat seitdem ganze Planken aus den Wänden gezehrt, so daß Sturm,
Regen und Schnee in das Innere der Baracke zu gelangen vermögen. Zerfetzt
weht das Stroh des Daches umher, und der zusammenfaltende Rauchfang drückt
sichtbar auf seine morschen Sparren. Die Fensterhöhlen sind Tag und Nacht
durch Breter verschlossen, die man von außen angenagelt hat, und die zum
Sommer fortgenommen werden, im Winter aber genügendes Licht durch ihre
Löcher und Spalten schimmern lassen. Die Thür schlottert in ihren Angeln
, von Stricken oder Fischdärmen, vermittels deren sie, nothdürftig befestigt ist.
Nebengebäude gibt es wol nicht — und wozu wären sie auch, da selten mehr
Vorräthe aufzuspeichern sind, als eine Kammer des Hauses zu fassen vermag,
deren Boden, mit Lehm gepflastert, zugleich als Tenne dient. — Und gar das
Innere des Hauses! Tief, in Schmuz versinkt unser Fuß beim Eintritt; denn
der Boden ist keineswegs gedielt und dazu in einer fortwährenden Umwandlung
begriffen; denn dieser eine Raum schließt alles Leben und alle Verrichtungen
der Familie in sich. Diese, zu welcher innig vertraut einige Ferkel und einige
Hühner gehören, wohnt einträchtig um einen schwarzen Ofen und behält sich
Vor seinen grunzenden Stubengenossen, den Gespielen der Kinder, als einzige
Bequemlichkeit die breite Bank vor, welche durch die Ofenhitze halb verkohlt ist.
Der dicht daneben befindliche Herd dient als Tisch , als Schrank, kurz anstatt
jegliches Hausgeräthes; die obere Abplattung des Ofens aber ist die Ruhe¬
stätte der Armen, denen der Schlaf das einzige Glück ist.. Zur Winterzeit ver¬
schläft der Mann mit seinen schmutzigen Kindern hier auf dem Ofen Tag und
Nacht, wenn ihn das Fischerhandwerk nicht in Anspruch nimmt; und schläft er
nicht, so flickt er hier seine Netze, spießt hier die Fische zum Räuchern auf
lange, hölzerne Stäbe, läßt sich sein Tröglein Fischbrühe hier hinauf reichen.
Sein Tröglein, — doch das ist selten; gewöhnlich speist die ganze Familie,
bisweilen, aber nicht immer vermittels langer hölzerner Löffel, aus einem und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101964"/>
            <p xml:id="ID_1176" prev="#ID_1175"> Weizen, mit dem er fast seinen ganzen Acker besSt, liefert ihm nur kärglichen<lb/>
und unsicher» Ertrags denn auch er verträgt die glühenden, regenarmen<lb/>
Sommer nicht, und außerdem wird der sanvige Acker oft durch heftige Regen¬<lb/>
güsse sammt der darin versenkten Saat mit fortgeschwemmt. Weh einem solchen<lb/>
Ackerbauer, den die Entfernung eines Sees verhindert, zugleich die Fischerei zu<lb/>
betreiben! Er wird den Holzdiebstahl und die Wilddieberei zu Hilfe nehmen<lb/>
müssen, um sein und seiner Familie kümmerliches Leben zu fristen, bis die<lb/>
Vollendung seines Elendes hereinbricht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1177" next="#ID_1178"> Es ist schon ein Erlebniß, in diesen Wildnissen sich zu verirren und in der<lb/>
Hütte eines masurischen Fischers oder abgebauten Landmanns Herberge suchen<lb/>
zu müssen. Schon die Hütte selbst erregt uns Grauen. Neuerbaut war sie<lb/>
wol schon ans verwitterten, halb verfaulten Planken und Pfählen mit hölzernen<lb/>
Pflöcken zusammengenagelt und nothdürftig mit schlechtem Stroh gedeckt; die<lb/>
Fäulniß hat seitdem ganze Planken aus den Wänden gezehrt, so daß Sturm,<lb/>
Regen und Schnee in das Innere der Baracke zu gelangen vermögen. Zerfetzt<lb/>
weht das Stroh des Daches umher, und der zusammenfaltende Rauchfang drückt<lb/>
sichtbar auf seine morschen Sparren. Die Fensterhöhlen sind Tag und Nacht<lb/>
durch Breter verschlossen, die man von außen angenagelt hat, und die zum<lb/>
Sommer fortgenommen werden, im Winter aber genügendes Licht durch ihre<lb/>
Löcher und Spalten schimmern lassen. Die Thür schlottert in ihren Angeln<lb/>
, von Stricken oder Fischdärmen, vermittels deren sie, nothdürftig befestigt ist.<lb/>
Nebengebäude gibt es wol nicht &#x2014; und wozu wären sie auch, da selten mehr<lb/>
Vorräthe aufzuspeichern sind, als eine Kammer des Hauses zu fassen vermag,<lb/>
deren Boden, mit Lehm gepflastert, zugleich als Tenne dient. &#x2014; Und gar das<lb/>
Innere des Hauses! Tief, in Schmuz versinkt unser Fuß beim Eintritt; denn<lb/>
der Boden ist keineswegs gedielt und dazu in einer fortwährenden Umwandlung<lb/>
begriffen; denn dieser eine Raum schließt alles Leben und alle Verrichtungen<lb/>
der Familie in sich. Diese, zu welcher innig vertraut einige Ferkel und einige<lb/>
Hühner gehören, wohnt einträchtig um einen schwarzen Ofen und behält sich<lb/>
Vor seinen grunzenden Stubengenossen, den Gespielen der Kinder, als einzige<lb/>
Bequemlichkeit die breite Bank vor, welche durch die Ofenhitze halb verkohlt ist.<lb/>
Der dicht daneben befindliche Herd dient als Tisch , als Schrank, kurz anstatt<lb/>
jegliches Hausgeräthes; die obere Abplattung des Ofens aber ist die Ruhe¬<lb/>
stätte der Armen, denen der Schlaf das einzige Glück ist.. Zur Winterzeit ver¬<lb/>
schläft der Mann mit seinen schmutzigen Kindern hier auf dem Ofen Tag und<lb/>
Nacht, wenn ihn das Fischerhandwerk nicht in Anspruch nimmt; und schläft er<lb/>
nicht, so flickt er hier seine Netze, spießt hier die Fische zum Räuchern auf<lb/>
lange, hölzerne Stäbe, läßt sich sein Tröglein Fischbrühe hier hinauf reichen.<lb/>
Sein Tröglein, &#x2014; doch das ist selten; gewöhnlich speist die ganze Familie,<lb/>
bisweilen, aber nicht immer vermittels langer hölzerner Löffel, aus einem und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437] Weizen, mit dem er fast seinen ganzen Acker besSt, liefert ihm nur kärglichen und unsicher» Ertrags denn auch er verträgt die glühenden, regenarmen Sommer nicht, und außerdem wird der sanvige Acker oft durch heftige Regen¬ güsse sammt der darin versenkten Saat mit fortgeschwemmt. Weh einem solchen Ackerbauer, den die Entfernung eines Sees verhindert, zugleich die Fischerei zu betreiben! Er wird den Holzdiebstahl und die Wilddieberei zu Hilfe nehmen müssen, um sein und seiner Familie kümmerliches Leben zu fristen, bis die Vollendung seines Elendes hereinbricht. Es ist schon ein Erlebniß, in diesen Wildnissen sich zu verirren und in der Hütte eines masurischen Fischers oder abgebauten Landmanns Herberge suchen zu müssen. Schon die Hütte selbst erregt uns Grauen. Neuerbaut war sie wol schon ans verwitterten, halb verfaulten Planken und Pfählen mit hölzernen Pflöcken zusammengenagelt und nothdürftig mit schlechtem Stroh gedeckt; die Fäulniß hat seitdem ganze Planken aus den Wänden gezehrt, so daß Sturm, Regen und Schnee in das Innere der Baracke zu gelangen vermögen. Zerfetzt weht das Stroh des Daches umher, und der zusammenfaltende Rauchfang drückt sichtbar auf seine morschen Sparren. Die Fensterhöhlen sind Tag und Nacht durch Breter verschlossen, die man von außen angenagelt hat, und die zum Sommer fortgenommen werden, im Winter aber genügendes Licht durch ihre Löcher und Spalten schimmern lassen. Die Thür schlottert in ihren Angeln , von Stricken oder Fischdärmen, vermittels deren sie, nothdürftig befestigt ist. Nebengebäude gibt es wol nicht — und wozu wären sie auch, da selten mehr Vorräthe aufzuspeichern sind, als eine Kammer des Hauses zu fassen vermag, deren Boden, mit Lehm gepflastert, zugleich als Tenne dient. — Und gar das Innere des Hauses! Tief, in Schmuz versinkt unser Fuß beim Eintritt; denn der Boden ist keineswegs gedielt und dazu in einer fortwährenden Umwandlung begriffen; denn dieser eine Raum schließt alles Leben und alle Verrichtungen der Familie in sich. Diese, zu welcher innig vertraut einige Ferkel und einige Hühner gehören, wohnt einträchtig um einen schwarzen Ofen und behält sich Vor seinen grunzenden Stubengenossen, den Gespielen der Kinder, als einzige Bequemlichkeit die breite Bank vor, welche durch die Ofenhitze halb verkohlt ist. Der dicht daneben befindliche Herd dient als Tisch , als Schrank, kurz anstatt jegliches Hausgeräthes; die obere Abplattung des Ofens aber ist die Ruhe¬ stätte der Armen, denen der Schlaf das einzige Glück ist.. Zur Winterzeit ver¬ schläft der Mann mit seinen schmutzigen Kindern hier auf dem Ofen Tag und Nacht, wenn ihn das Fischerhandwerk nicht in Anspruch nimmt; und schläft er nicht, so flickt er hier seine Netze, spießt hier die Fische zum Räuchern auf lange, hölzerne Stäbe, läßt sich sein Tröglein Fischbrühe hier hinauf reichen. Sein Tröglein, — doch das ist selten; gewöhnlich speist die ganze Familie, bisweilen, aber nicht immer vermittels langer hölzerner Löffel, aus einem und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/437
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/437>, abgerufen am 28.07.2024.