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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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nicht verfehlen, das übersättigte Auge eines rcisetrunkenen Touristen angenehm
zu fesseln, und ein Werber in einer Abzweigung des Maurersees mit seinem
reizenden Laubesgrün und seiner wunderbar hellen Abspiegelung entbehrt wol
nur des licht- und'dnftgesättigten italischen Himmels, um einen gleichen Zau¬
ber auszuüben wie die Landschaften, die unter jenen glücklichen Kreisen liegen.
Trotz dieser Schönheiten haben wir uns nicht gewundert, niemals eine masu-
rische Landschaft im Bilde angetroffen zu haben. Es müßte ein einheimischer
Maler sein, der einen solchen Gegenstand wählte; denn ein fremder wagt sich
wol kaum, selbst aus der Nähe nicht, in die Wildnisse, wo nach dem allge¬
meinen Glauben noch zahllose Wölfe und Bären Hausen; obwol die letzten
ziemlich ausgerottet sind, während die ersten allerdings als eine Mittheilung
des nahen polnischen Gebietes noch häufig erscheinen.

Einen Maler zu erzeugen, davon ist dieser Strich Landes noch weit ent¬
fernt. Der seine Sinn und das schöpfungahnende Leben eines echten Künstler-
gemüthes ist für einen geborenen Masuren, selbst für den gebildeter", ein
transscendentales Problem; denn was ihm von Bildungsmitteln zufließt, be¬
zieht sich nur auf seine Erziehung zum künftigen Broterwerber und Amts¬
verwalter, und in"in sollte nicht glauben, wie eng der Gesichtskreis der meisten
Jünglinge ist, die aus masurischen Provinzialstädten her die Universität be¬
ziehen. Jnstinctmäßig, so scheint es, haben sie sich angeeignet, was ihr nicht
erwählter, sondern anerzogener Beruf erfordert. Diesen füllen sie nach be¬
endeten Studien mit all ihrem Dasein, Dichten und Trachten aus, und jeder
Anspruch über diese Grenzen hinaus findet sie theilnahmlos und unbildsam.
Dieser Mangel an Humanität macht sich auch in sittlicher Beziehung bemerk¬
bar, indem die jugendliche Rohheit unter ihnen zügellos walten darf, ohne
durch den Anschluß an freundlichere Sitten sich in einer gewissen äußerlichen
Annehmlichkeit zu zeigen oder durch Einwirkung zarterer, geistiger Momente
eine Entschuldigung für sich zu gewinnen. Nicht selten finden wir unter ihnen
gute Köpfe, wie sie die ausgezeichneten preußischen Lehranstalten heranzubilden
nicht verfehlen; wir finden hier tüchtige Arbeitskräfte für subalterne Staats¬
ämter, Kräfte, die sich oft aus den Tiefen der Gesellschaft, aus den ungün¬
stigsten ' Umständen emporgearbeitet haben; und insofern belohnt die Ein¬
wohnerschaft dieser Gegenden wol die ersichtliche Mühe und die Opfer der
Regierung; doch ist uns kein Beispiel bekannt, daß ein Individuum aus Ma¬
suren sich nur auf eine besondere Höhe allgemeiner Nützlichkeit emporge¬
schwungen habe.

Wir lassen uns über den gebildetern Theil der Bevölkerung des Weitern
aus, um auf die Betrachtung der niedern Classe vorzubereiten. Man findet
wirklich kaum eine geeignetere Zufluchtstätte vor aller Cultur, als dieses Ma¬
suren, wo die natureinfältige Gemüthlichkeit mit ihren Blindekuhspielen und


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nicht verfehlen, das übersättigte Auge eines rcisetrunkenen Touristen angenehm
zu fesseln, und ein Werber in einer Abzweigung des Maurersees mit seinem
reizenden Laubesgrün und seiner wunderbar hellen Abspiegelung entbehrt wol
nur des licht- und'dnftgesättigten italischen Himmels, um einen gleichen Zau¬
ber auszuüben wie die Landschaften, die unter jenen glücklichen Kreisen liegen.
Trotz dieser Schönheiten haben wir uns nicht gewundert, niemals eine masu-
rische Landschaft im Bilde angetroffen zu haben. Es müßte ein einheimischer
Maler sein, der einen solchen Gegenstand wählte; denn ein fremder wagt sich
wol kaum, selbst aus der Nähe nicht, in die Wildnisse, wo nach dem allge¬
meinen Glauben noch zahllose Wölfe und Bären Hausen; obwol die letzten
ziemlich ausgerottet sind, während die ersten allerdings als eine Mittheilung
des nahen polnischen Gebietes noch häufig erscheinen.

Einen Maler zu erzeugen, davon ist dieser Strich Landes noch weit ent¬
fernt. Der seine Sinn und das schöpfungahnende Leben eines echten Künstler-
gemüthes ist für einen geborenen Masuren, selbst für den gebildeter», ein
transscendentales Problem; denn was ihm von Bildungsmitteln zufließt, be¬
zieht sich nur auf seine Erziehung zum künftigen Broterwerber und Amts¬
verwalter, und in«in sollte nicht glauben, wie eng der Gesichtskreis der meisten
Jünglinge ist, die aus masurischen Provinzialstädten her die Universität be¬
ziehen. Jnstinctmäßig, so scheint es, haben sie sich angeeignet, was ihr nicht
erwählter, sondern anerzogener Beruf erfordert. Diesen füllen sie nach be¬
endeten Studien mit all ihrem Dasein, Dichten und Trachten aus, und jeder
Anspruch über diese Grenzen hinaus findet sie theilnahmlos und unbildsam.
Dieser Mangel an Humanität macht sich auch in sittlicher Beziehung bemerk¬
bar, indem die jugendliche Rohheit unter ihnen zügellos walten darf, ohne
durch den Anschluß an freundlichere Sitten sich in einer gewissen äußerlichen
Annehmlichkeit zu zeigen oder durch Einwirkung zarterer, geistiger Momente
eine Entschuldigung für sich zu gewinnen. Nicht selten finden wir unter ihnen
gute Köpfe, wie sie die ausgezeichneten preußischen Lehranstalten heranzubilden
nicht verfehlen; wir finden hier tüchtige Arbeitskräfte für subalterne Staats¬
ämter, Kräfte, die sich oft aus den Tiefen der Gesellschaft, aus den ungün¬
stigsten ' Umständen emporgearbeitet haben; und insofern belohnt die Ein¬
wohnerschaft dieser Gegenden wol die ersichtliche Mühe und die Opfer der
Regierung; doch ist uns kein Beispiel bekannt, daß ein Individuum aus Ma¬
suren sich nur auf eine besondere Höhe allgemeiner Nützlichkeit emporge¬
schwungen habe.

Wir lassen uns über den gebildetern Theil der Bevölkerung des Weitern
aus, um auf die Betrachtung der niedern Classe vorzubereiten. Man findet
wirklich kaum eine geeignetere Zufluchtstätte vor aller Cultur, als dieses Ma¬
suren, wo die natureinfältige Gemüthlichkeit mit ihren Blindekuhspielen und


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[0435] nicht verfehlen, das übersättigte Auge eines rcisetrunkenen Touristen angenehm zu fesseln, und ein Werber in einer Abzweigung des Maurersees mit seinem reizenden Laubesgrün und seiner wunderbar hellen Abspiegelung entbehrt wol nur des licht- und'dnftgesättigten italischen Himmels, um einen gleichen Zau¬ ber auszuüben wie die Landschaften, die unter jenen glücklichen Kreisen liegen. Trotz dieser Schönheiten haben wir uns nicht gewundert, niemals eine masu- rische Landschaft im Bilde angetroffen zu haben. Es müßte ein einheimischer Maler sein, der einen solchen Gegenstand wählte; denn ein fremder wagt sich wol kaum, selbst aus der Nähe nicht, in die Wildnisse, wo nach dem allge¬ meinen Glauben noch zahllose Wölfe und Bären Hausen; obwol die letzten ziemlich ausgerottet sind, während die ersten allerdings als eine Mittheilung des nahen polnischen Gebietes noch häufig erscheinen. Einen Maler zu erzeugen, davon ist dieser Strich Landes noch weit ent¬ fernt. Der seine Sinn und das schöpfungahnende Leben eines echten Künstler- gemüthes ist für einen geborenen Masuren, selbst für den gebildeter», ein transscendentales Problem; denn was ihm von Bildungsmitteln zufließt, be¬ zieht sich nur auf seine Erziehung zum künftigen Broterwerber und Amts¬ verwalter, und in«in sollte nicht glauben, wie eng der Gesichtskreis der meisten Jünglinge ist, die aus masurischen Provinzialstädten her die Universität be¬ ziehen. Jnstinctmäßig, so scheint es, haben sie sich angeeignet, was ihr nicht erwählter, sondern anerzogener Beruf erfordert. Diesen füllen sie nach be¬ endeten Studien mit all ihrem Dasein, Dichten und Trachten aus, und jeder Anspruch über diese Grenzen hinaus findet sie theilnahmlos und unbildsam. Dieser Mangel an Humanität macht sich auch in sittlicher Beziehung bemerk¬ bar, indem die jugendliche Rohheit unter ihnen zügellos walten darf, ohne durch den Anschluß an freundlichere Sitten sich in einer gewissen äußerlichen Annehmlichkeit zu zeigen oder durch Einwirkung zarterer, geistiger Momente eine Entschuldigung für sich zu gewinnen. Nicht selten finden wir unter ihnen gute Köpfe, wie sie die ausgezeichneten preußischen Lehranstalten heranzubilden nicht verfehlen; wir finden hier tüchtige Arbeitskräfte für subalterne Staats¬ ämter, Kräfte, die sich oft aus den Tiefen der Gesellschaft, aus den ungün¬ stigsten ' Umständen emporgearbeitet haben; und insofern belohnt die Ein¬ wohnerschaft dieser Gegenden wol die ersichtliche Mühe und die Opfer der Regierung; doch ist uns kein Beispiel bekannt, daß ein Individuum aus Ma¬ suren sich nur auf eine besondere Höhe allgemeiner Nützlichkeit emporge¬ schwungen habe. Wir lassen uns über den gebildetern Theil der Bevölkerung des Weitern aus, um auf die Betrachtung der niedern Classe vorzubereiten. Man findet wirklich kaum eine geeignetere Zufluchtstätte vor aller Cultur, als dieses Ma¬ suren, wo die natureinfältige Gemüthlichkeit mit ihren Blindekuhspielen und 54*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/435>, abgerufen am 27.07.2024.