Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihr ist mit alten theefarbenen Schnürleibern und Bündeln hölzerner Blank¬
scheite, so wie kleinen Stückchen Fischbein belegt, während neben ihr auf der
Bank ein Häuschen alter Sonnenschirme liegt, die zusammengebunden'sind und
wie ein Köcher voll Pfeile aussehen. Im Winter sieht man dieses Frauen¬
zimmer mit Haufen von HasenseUen umgeben, von denen einige so alt und
steif sind, daß sie gefroren zu sein scheinen. Dann weiter trifft das Auge auf
einen Mann mit einem Vorrath von Stiefeln, von denen einige ohne Sohlen
sind, andere mit zerrissenen Drähten wie ein Rachen mit gelben Zähnen gähnen,
einige, lange der Wichse entbehrend, wie rostiges Metall aussehen und andere
wieder über und über mit weißen Moderflecken bedeckt sind. Neben einem
andern Trödler begegnen wir einem Hügel von ausgewaschenen. Westen, alter;
baumwollenen Unterbeinkleidern und Strohhüten, die sich zur Hälfte in die
Elemente ihrer Existenz aufgelöst haben. Dann sieht man einen Judenknaben
die Rudera eines Theateranzugö emporhalten, der aus einem schwarzsammtnen
Wamms mit unechter Goldstickerei besteht und dem jungen Jsraeliten augen¬
scheinlich irgend ein rührendes Melodrama in die Seele zurückruft, welches er
an einem Sabbatabend im Paviliomheater aufführen sah.

Noch ein paar Schritte weiter bläst einer der Kaufleute in einen alten ge¬
färbten Muff, dessen Haare so fuchsig geworden sind, wie der Backenbart eines
Schotten. Auf der nächsten Bank treffen wir einen schwarzbärtigen, aus¬
gemergelten Knochensammler, der in schmuzige, von Fett starrende Lumpen ge¬
kleidet ist. Er hat seinen Sack aus das Pflaster ausgeleert und die Knochen,
die alten Nägel und Hufeisen und die Tuch- und Leinwandfetzen, die er ge¬
sammelt, jede Waare auf ein bestimmtes Häuschen sortirt und während er so
dasitzt und begierig auf einen Käufer dieser Kostbarkeiten wartet, kaut er an
einem Stück verschimmelter Pastetenrinbe, die man "ihm bei seinem Umzüge
irgend wo gegeben.

In einem Theile der "Börse" bemerkt man das rauchgeschwärzte Gesicht
eines wohlbekannten herumziehenden Kesselflickers, der eine Gesichtsfarbe wie
Eurrvpulver und Hände so brayn, als ob sie frisch gethcert wären, hat; vor
ihm steht eine Pvramvde alter, verbogener Theekannen und Brühnäpfe von
Neusilber, und sein Nachbar ist ein Negenschirmflicker, vor welchem eine Menge
Fischdeinrippen und mit Zwingen versehene Stöcke mit scharfzugespitzten Knvchen-
griffcn liegen. .

Die Käufer sind ein ebenso malerisches und wunderliches Geschlecht als
die Verkäufer. Sie gehören allen Nationen an und tragen allerlei Trachten.
Einige sind Schweizer, andere Griechen, noch andere Deutsche. Einige kommen
hierher, um "für den irischen Markt" abgetragene Kleider, wie sie von wohl¬
thätigen Anstalten an die Armen vertheilt werden und alle Soldatenmäntel zu
erkaufen. Ein wohlbekannter Alter, mit einem langen Barte und einem zer-


ihr ist mit alten theefarbenen Schnürleibern und Bündeln hölzerner Blank¬
scheite, so wie kleinen Stückchen Fischbein belegt, während neben ihr auf der
Bank ein Häuschen alter Sonnenschirme liegt, die zusammengebunden'sind und
wie ein Köcher voll Pfeile aussehen. Im Winter sieht man dieses Frauen¬
zimmer mit Haufen von HasenseUen umgeben, von denen einige so alt und
steif sind, daß sie gefroren zu sein scheinen. Dann weiter trifft das Auge auf
einen Mann mit einem Vorrath von Stiefeln, von denen einige ohne Sohlen
sind, andere mit zerrissenen Drähten wie ein Rachen mit gelben Zähnen gähnen,
einige, lange der Wichse entbehrend, wie rostiges Metall aussehen und andere
wieder über und über mit weißen Moderflecken bedeckt sind. Neben einem
andern Trödler begegnen wir einem Hügel von ausgewaschenen. Westen, alter;
baumwollenen Unterbeinkleidern und Strohhüten, die sich zur Hälfte in die
Elemente ihrer Existenz aufgelöst haben. Dann sieht man einen Judenknaben
die Rudera eines Theateranzugö emporhalten, der aus einem schwarzsammtnen
Wamms mit unechter Goldstickerei besteht und dem jungen Jsraeliten augen¬
scheinlich irgend ein rührendes Melodrama in die Seele zurückruft, welches er
an einem Sabbatabend im Paviliomheater aufführen sah.

Noch ein paar Schritte weiter bläst einer der Kaufleute in einen alten ge¬
färbten Muff, dessen Haare so fuchsig geworden sind, wie der Backenbart eines
Schotten. Auf der nächsten Bank treffen wir einen schwarzbärtigen, aus¬
gemergelten Knochensammler, der in schmuzige, von Fett starrende Lumpen ge¬
kleidet ist. Er hat seinen Sack aus das Pflaster ausgeleert und die Knochen,
die alten Nägel und Hufeisen und die Tuch- und Leinwandfetzen, die er ge¬
sammelt, jede Waare auf ein bestimmtes Häuschen sortirt und während er so
dasitzt und begierig auf einen Käufer dieser Kostbarkeiten wartet, kaut er an
einem Stück verschimmelter Pastetenrinbe, die man "ihm bei seinem Umzüge
irgend wo gegeben.

In einem Theile der „Börse" bemerkt man das rauchgeschwärzte Gesicht
eines wohlbekannten herumziehenden Kesselflickers, der eine Gesichtsfarbe wie
Eurrvpulver und Hände so brayn, als ob sie frisch gethcert wären, hat; vor
ihm steht eine Pvramvde alter, verbogener Theekannen und Brühnäpfe von
Neusilber, und sein Nachbar ist ein Negenschirmflicker, vor welchem eine Menge
Fischdeinrippen und mit Zwingen versehene Stöcke mit scharfzugespitzten Knvchen-
griffcn liegen. .

Die Käufer sind ein ebenso malerisches und wunderliches Geschlecht als
die Verkäufer. Sie gehören allen Nationen an und tragen allerlei Trachten.
Einige sind Schweizer, andere Griechen, noch andere Deutsche. Einige kommen
hierher, um „für den irischen Markt" abgetragene Kleider, wie sie von wohl¬
thätigen Anstalten an die Armen vertheilt werden und alle Soldatenmäntel zu
erkaufen. Ein wohlbekannter Alter, mit einem langen Barte und einem zer-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101958"/>
            <p xml:id="ID_1155" prev="#ID_1154"> ihr ist mit alten theefarbenen Schnürleibern und Bündeln hölzerner Blank¬<lb/>
scheite, so wie kleinen Stückchen Fischbein belegt, während neben ihr auf der<lb/>
Bank ein Häuschen alter Sonnenschirme liegt, die zusammengebunden'sind und<lb/>
wie ein Köcher voll Pfeile aussehen. Im Winter sieht man dieses Frauen¬<lb/>
zimmer mit Haufen von HasenseUen umgeben, von denen einige so alt und<lb/>
steif sind, daß sie gefroren zu sein scheinen. Dann weiter trifft das Auge auf<lb/>
einen Mann mit einem Vorrath von Stiefeln, von denen einige ohne Sohlen<lb/>
sind, andere mit zerrissenen Drähten wie ein Rachen mit gelben Zähnen gähnen,<lb/>
einige, lange der Wichse entbehrend, wie rostiges Metall aussehen und andere<lb/>
wieder über und über mit weißen Moderflecken bedeckt sind. Neben einem<lb/>
andern Trödler begegnen wir einem Hügel von ausgewaschenen. Westen, alter;<lb/>
baumwollenen Unterbeinkleidern und Strohhüten, die sich zur Hälfte in die<lb/>
Elemente ihrer Existenz aufgelöst haben. Dann sieht man einen Judenknaben<lb/>
die Rudera eines Theateranzugö emporhalten, der aus einem schwarzsammtnen<lb/>
Wamms mit unechter Goldstickerei besteht und dem jungen Jsraeliten augen¬<lb/>
scheinlich irgend ein rührendes Melodrama in die Seele zurückruft, welches er<lb/>
an einem Sabbatabend im Paviliomheater aufführen sah.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1156"> Noch ein paar Schritte weiter bläst einer der Kaufleute in einen alten ge¬<lb/>
färbten Muff, dessen Haare so fuchsig geworden sind, wie der Backenbart eines<lb/>
Schotten. Auf der nächsten Bank treffen wir einen schwarzbärtigen, aus¬<lb/>
gemergelten Knochensammler, der in schmuzige, von Fett starrende Lumpen ge¬<lb/>
kleidet ist. Er hat seinen Sack aus das Pflaster ausgeleert und die Knochen,<lb/>
die alten Nägel und Hufeisen und die Tuch- und Leinwandfetzen, die er ge¬<lb/>
sammelt, jede Waare auf ein bestimmtes Häuschen sortirt und während er so<lb/>
dasitzt und begierig auf einen Käufer dieser Kostbarkeiten wartet, kaut er an<lb/>
einem Stück verschimmelter Pastetenrinbe, die man "ihm bei seinem Umzüge<lb/>
irgend wo gegeben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1157"> In einem Theile der &#x201E;Börse" bemerkt man das rauchgeschwärzte Gesicht<lb/>
eines wohlbekannten herumziehenden Kesselflickers, der eine Gesichtsfarbe wie<lb/>
Eurrvpulver und Hände so brayn, als ob sie frisch gethcert wären, hat; vor<lb/>
ihm steht eine Pvramvde alter, verbogener Theekannen und Brühnäpfe von<lb/>
Neusilber, und sein Nachbar ist ein Negenschirmflicker, vor welchem eine Menge<lb/>
Fischdeinrippen und mit Zwingen versehene Stöcke mit scharfzugespitzten Knvchen-<lb/>
griffcn liegen. .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1158" next="#ID_1159"> Die Käufer sind ein ebenso malerisches und wunderliches Geschlecht als<lb/>
die Verkäufer. Sie gehören allen Nationen an und tragen allerlei Trachten.<lb/>
Einige sind Schweizer, andere Griechen, noch andere Deutsche. Einige kommen<lb/>
hierher, um &#x201E;für den irischen Markt" abgetragene Kleider, wie sie von wohl¬<lb/>
thätigen Anstalten an die Armen vertheilt werden und alle Soldatenmäntel zu<lb/>
erkaufen.  Ein wohlbekannter Alter, mit einem langen Barte und einem zer-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0431] ihr ist mit alten theefarbenen Schnürleibern und Bündeln hölzerner Blank¬ scheite, so wie kleinen Stückchen Fischbein belegt, während neben ihr auf der Bank ein Häuschen alter Sonnenschirme liegt, die zusammengebunden'sind und wie ein Köcher voll Pfeile aussehen. Im Winter sieht man dieses Frauen¬ zimmer mit Haufen von HasenseUen umgeben, von denen einige so alt und steif sind, daß sie gefroren zu sein scheinen. Dann weiter trifft das Auge auf einen Mann mit einem Vorrath von Stiefeln, von denen einige ohne Sohlen sind, andere mit zerrissenen Drähten wie ein Rachen mit gelben Zähnen gähnen, einige, lange der Wichse entbehrend, wie rostiges Metall aussehen und andere wieder über und über mit weißen Moderflecken bedeckt sind. Neben einem andern Trödler begegnen wir einem Hügel von ausgewaschenen. Westen, alter; baumwollenen Unterbeinkleidern und Strohhüten, die sich zur Hälfte in die Elemente ihrer Existenz aufgelöst haben. Dann sieht man einen Judenknaben die Rudera eines Theateranzugö emporhalten, der aus einem schwarzsammtnen Wamms mit unechter Goldstickerei besteht und dem jungen Jsraeliten augen¬ scheinlich irgend ein rührendes Melodrama in die Seele zurückruft, welches er an einem Sabbatabend im Paviliomheater aufführen sah. Noch ein paar Schritte weiter bläst einer der Kaufleute in einen alten ge¬ färbten Muff, dessen Haare so fuchsig geworden sind, wie der Backenbart eines Schotten. Auf der nächsten Bank treffen wir einen schwarzbärtigen, aus¬ gemergelten Knochensammler, der in schmuzige, von Fett starrende Lumpen ge¬ kleidet ist. Er hat seinen Sack aus das Pflaster ausgeleert und die Knochen, die alten Nägel und Hufeisen und die Tuch- und Leinwandfetzen, die er ge¬ sammelt, jede Waare auf ein bestimmtes Häuschen sortirt und während er so dasitzt und begierig auf einen Käufer dieser Kostbarkeiten wartet, kaut er an einem Stück verschimmelter Pastetenrinbe, die man "ihm bei seinem Umzüge irgend wo gegeben. In einem Theile der „Börse" bemerkt man das rauchgeschwärzte Gesicht eines wohlbekannten herumziehenden Kesselflickers, der eine Gesichtsfarbe wie Eurrvpulver und Hände so brayn, als ob sie frisch gethcert wären, hat; vor ihm steht eine Pvramvde alter, verbogener Theekannen und Brühnäpfe von Neusilber, und sein Nachbar ist ein Negenschirmflicker, vor welchem eine Menge Fischdeinrippen und mit Zwingen versehene Stöcke mit scharfzugespitzten Knvchen- griffcn liegen. . Die Käufer sind ein ebenso malerisches und wunderliches Geschlecht als die Verkäufer. Sie gehören allen Nationen an und tragen allerlei Trachten. Einige sind Schweizer, andere Griechen, noch andere Deutsche. Einige kommen hierher, um „für den irischen Markt" abgetragene Kleider, wie sie von wohl¬ thätigen Anstalten an die Armen vertheilt werden und alle Soldatenmäntel zu erkaufen. Ein wohlbekannter Alter, mit einem langen Barte und einem zer-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/431
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/431>, abgerufen am 27.07.2024.