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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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lassen, damit die Londoner wissey, wie weit sich London wirklich ins Land hinein
erstreckt, und die Größe der Stadt gesetzliche Grenzen habe.

Dies ist indeß ein Seitenstück zu dem bekannten gesetzgeberischen Acte
König Kanuts; denn es ist ganz ebenso absurd, zu den Ziegeln und dem
Mörtel Londons zu sagen: "Bis hierher und nicht weiter!" als es von
jenem den Fortschritt hassenden Herrscher war, dies zu den Wogen der See
zu sagen.

Im Jahre 1603 z.B., finden wir, waren die gesetzlichen Grenzen Londons,
"in- und außerhalb der Mauern" der Art, daß sie nicht viel mehr als
1300 Acres umschlossen. Allein schon im nächsten Jahrhundert war die Stadt
"ÄLovräinä to lap" bis zu einer Ausdehnung von 20,000 Acres angeschwollen.
Dann zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde der Flächenraum wieder erweitert
bis zu 30,000, ferner im Jahr 1837 abermals bis zu 46,000 Acres, während
die letzte Parlamentsacte der Stadt einen Raum von nicht weniger als 78,000 Acres
zu bedecken erlaubt hat.

In der That, das Wachsthum der hauptstädtischen Bevölkerung innerhalb
der letzten zehn Jahre zeigt uns, daß in London alle zwölf Monate für
40,000 neue Ankömmlinge weiterer Platz besorgt werden muß. Von diesen
sind etwa die Hälfte Fremde -- eine Einwanderung, die etwa so groß ist, als
ob die ganze Bevölkerung der Insel Guernsey sich nach der Hauptstadt auf- >
machte, uni dort zu bleiben -- oder, können wir hinzufügen, als ob alljährlich
eine Stadt von der Einwohnerzahl Karlsruhes sich London anfügte.

Diese Angabe beweist sich durch folgendes Exempel:


[Beginn Spaltensatz]
2,362,236 Einwohnerzahl Londons im
Jahre 1831
1,948,417 ., " 1841
413,819 Wachsthum der Bevölkerung i"
zehn Jahren.
- ---------___
41,381.9 Jährliches Wachsthum

[Spaltenumbruch]
84,944 Geburten in London während des
Jahres 1833.
61.306 Todesfälle
23,438 Jährliches Uebersteigen der Todes¬
' Me durch die Geburten.
17,943 Jährliche Einwanderung.
IlM3 Jährl. Anwachsen d.Bevölkerung.

[Ende Spaltensatz]

M Kein Wunder also, daß die Berichte zeigen, wie fortwährend 4000 neue
Häuser im Bau begriffen sind, und es kann dreist behauptet werden, daß London
sich jährlich durch den Anschluß einer Stadt von beträchtlicher Ausdehnung
vergrößert. Daher fährt London, obschon es, wie Maitland sagt, schon vor hun¬
dert Jahren eine Stadt, einen Burgflecken und dreiundvierzig Dörfer in sich auf¬
genommen hatte, immer noch fort, Tag für Tag Vorstädte zu verzehren und Felder
auf F^per zu verschlingen, und die Baumeister lassen unablässig Häuser aufsprie¬
ßen, wo kurz vorher die Marktgärtner noch Kohlköpfe aufsprießen ließen. Die
Metropole streckt ihre zahllosen Straßensibern gleich den tausend Wurzeln eines
alten Baumes aus, und es ist mit Gewißheit anzunehmen, daß auch die letzte


lassen, damit die Londoner wissey, wie weit sich London wirklich ins Land hinein
erstreckt, und die Größe der Stadt gesetzliche Grenzen habe.

Dies ist indeß ein Seitenstück zu dem bekannten gesetzgeberischen Acte
König Kanuts; denn es ist ganz ebenso absurd, zu den Ziegeln und dem
Mörtel Londons zu sagen: „Bis hierher und nicht weiter!" als es von
jenem den Fortschritt hassenden Herrscher war, dies zu den Wogen der See
zu sagen.

Im Jahre 1603 z.B., finden wir, waren die gesetzlichen Grenzen Londons,
„in- und außerhalb der Mauern" der Art, daß sie nicht viel mehr als
1300 Acres umschlossen. Allein schon im nächsten Jahrhundert war die Stadt
„ÄLovräinä to lap" bis zu einer Ausdehnung von 20,000 Acres angeschwollen.
Dann zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde der Flächenraum wieder erweitert
bis zu 30,000, ferner im Jahr 1837 abermals bis zu 46,000 Acres, während
die letzte Parlamentsacte der Stadt einen Raum von nicht weniger als 78,000 Acres
zu bedecken erlaubt hat.

In der That, das Wachsthum der hauptstädtischen Bevölkerung innerhalb
der letzten zehn Jahre zeigt uns, daß in London alle zwölf Monate für
40,000 neue Ankömmlinge weiterer Platz besorgt werden muß. Von diesen
sind etwa die Hälfte Fremde — eine Einwanderung, die etwa so groß ist, als
ob die ganze Bevölkerung der Insel Guernsey sich nach der Hauptstadt auf- >
machte, uni dort zu bleiben — oder, können wir hinzufügen, als ob alljährlich
eine Stadt von der Einwohnerzahl Karlsruhes sich London anfügte.

Diese Angabe beweist sich durch folgendes Exempel:


[Beginn Spaltensatz]
2,362,236 Einwohnerzahl Londons im
Jahre 1831
1,948,417 ., „ 1841
413,819 Wachsthum der Bevölkerung i»
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84,944 Geburten in London während des
Jahres 1833.
61.306 Todesfälle
23,438 Jährliches Uebersteigen der Todes¬
' Me durch die Geburten.
17,943 Jährliche Einwanderung.
IlM3 Jährl. Anwachsen d.Bevölkerung.

[Ende Spaltensatz]

M Kein Wunder also, daß die Berichte zeigen, wie fortwährend 4000 neue
Häuser im Bau begriffen sind, und es kann dreist behauptet werden, daß London
sich jährlich durch den Anschluß einer Stadt von beträchtlicher Ausdehnung
vergrößert. Daher fährt London, obschon es, wie Maitland sagt, schon vor hun¬
dert Jahren eine Stadt, einen Burgflecken und dreiundvierzig Dörfer in sich auf¬
genommen hatte, immer noch fort, Tag für Tag Vorstädte zu verzehren und Felder
auf F^per zu verschlingen, und die Baumeister lassen unablässig Häuser aufsprie¬
ßen, wo kurz vorher die Marktgärtner noch Kohlköpfe aufsprießen ließen. Die
Metropole streckt ihre zahllosen Straßensibern gleich den tausend Wurzeln eines
alten Baumes aus, und es ist mit Gewißheit anzunehmen, daß auch die letzte


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[0423] lassen, damit die Londoner wissey, wie weit sich London wirklich ins Land hinein erstreckt, und die Größe der Stadt gesetzliche Grenzen habe. Dies ist indeß ein Seitenstück zu dem bekannten gesetzgeberischen Acte König Kanuts; denn es ist ganz ebenso absurd, zu den Ziegeln und dem Mörtel Londons zu sagen: „Bis hierher und nicht weiter!" als es von jenem den Fortschritt hassenden Herrscher war, dies zu den Wogen der See zu sagen. Im Jahre 1603 z.B., finden wir, waren die gesetzlichen Grenzen Londons, „in- und außerhalb der Mauern" der Art, daß sie nicht viel mehr als 1300 Acres umschlossen. Allein schon im nächsten Jahrhundert war die Stadt „ÄLovräinä to lap" bis zu einer Ausdehnung von 20,000 Acres angeschwollen. Dann zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde der Flächenraum wieder erweitert bis zu 30,000, ferner im Jahr 1837 abermals bis zu 46,000 Acres, während die letzte Parlamentsacte der Stadt einen Raum von nicht weniger als 78,000 Acres zu bedecken erlaubt hat. In der That, das Wachsthum der hauptstädtischen Bevölkerung innerhalb der letzten zehn Jahre zeigt uns, daß in London alle zwölf Monate für 40,000 neue Ankömmlinge weiterer Platz besorgt werden muß. Von diesen sind etwa die Hälfte Fremde — eine Einwanderung, die etwa so groß ist, als ob die ganze Bevölkerung der Insel Guernsey sich nach der Hauptstadt auf- > machte, uni dort zu bleiben — oder, können wir hinzufügen, als ob alljährlich eine Stadt von der Einwohnerzahl Karlsruhes sich London anfügte. Diese Angabe beweist sich durch folgendes Exempel: 2,362,236 Einwohnerzahl Londons im Jahre 1831 1,948,417 ., „ 1841 413,819 Wachsthum der Bevölkerung i» zehn Jahren. - ---------___ 41,381.9 Jährliches Wachsthum 84,944 Geburten in London während des Jahres 1833. 61.306 Todesfälle 23,438 Jährliches Uebersteigen der Todes¬ ' Me durch die Geburten. 17,943 Jährliche Einwanderung. IlM3 Jährl. Anwachsen d.Bevölkerung. M Kein Wunder also, daß die Berichte zeigen, wie fortwährend 4000 neue Häuser im Bau begriffen sind, und es kann dreist behauptet werden, daß London sich jährlich durch den Anschluß einer Stadt von beträchtlicher Ausdehnung vergrößert. Daher fährt London, obschon es, wie Maitland sagt, schon vor hun¬ dert Jahren eine Stadt, einen Burgflecken und dreiundvierzig Dörfer in sich auf¬ genommen hatte, immer noch fort, Tag für Tag Vorstädte zu verzehren und Felder auf F^per zu verschlingen, und die Baumeister lassen unablässig Häuser aufsprie¬ ßen, wo kurz vorher die Marktgärtner noch Kohlköpfe aufsprießen ließen. Die Metropole streckt ihre zahllosen Straßensibern gleich den tausend Wurzeln eines alten Baumes aus, und es ist mit Gewißheit anzunehmen, daß auch die letzte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/423>, abgerufen am 28.07.2024.