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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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um ihre Pflicht als selbstständige Welt zu thun und sich um sich selbst drehend
die Runde um die Sonne zu machen -- wobei dann Hampstead der Nordpol
und Sydenham der Südpol sein, beide einen sechsmonatlichen Winter haben,
die ganze Linie von Oxford Street, Holborn und Cheapside dagegen unter der
ewigen Sonne der Gegend, die dann die heiße Zone der Metropole wäre, liegen
und während es in Kensington Tag wäre, die Leute zu Mile End im Dunkel
der Nacht leben würden.

Und welch' eine wundersame Welt würde dieses sür sich um die Sonne
kreisende London sein! Eine Welt, die auf allen den 120 Q-nadratmeilen, die
sie bedeckte, kaUm einen Acker grünes Feld haben -- eine Welt, die nicht im
Stande sein würde, einen Sack Korn zu erzeugen oder eine Herde Schafe zu
ernähren -- eine Welt gedrängt voll Häuser und mit einem Straßennetze über¬
zogen gleich den Adern eines Weinblattes und eine Welt mit zwei und einer
halben Million Menschen, die in sie sast so dicht zusammengedrängt wären, als
die Neger im Zwischendeck eines Sklavenschiffs.

Kann man Ceres, Pallas, Juno oder Astraea oder Iris oder irgend einen
der fünfundzwanzig kleinen Planeten hiermit vergleichen?"

Von diesem Phantasiespiel, welches den Titel seines Buches in ziemlich
anmuthiger Weise rechtfertigt, folgen wir dem Verfasser auf ein Solideres Ge¬
biet. ES würde kein anschauliches Bild von der Große Londons geben, sagt
er, wollte man dem Leser zu diesem Zwecke sagen, es bedecke nach dem
letzten Census (von 1831) 7,8,029 Acres oder 122 Quadratmeilen, enthalte
327,391 Häuser und habe 2,362,236 Einwohner (die, wie aus einer spätern
Angabe hervorgeht, jetzt bis 'auf dritthalb Millionen sich vermehrt haben'
müssen).

Durch derartige Angaben würde die Vorstellungskraft sicherlich nicht mehr
in den Stand gesetzt, sich ein deutliches Bild von der Bedeutung cher größten
Stadt in der Welt zu machen,'als wenn man ihr die Größe der See dadurch
veranschaulichen wollte, daß man ihr sagte, die Gesammtoberfläche aller Meere
belaufe sich aus 143 Millionen Quadratmeilen, und dieselben enthalten
6,ii1 Billionen Tonnen des gemeinen Salzes.

Indem wir versuchen wollen, ein lebhafteres Gemälde und einen deut¬
lichern Begriff von der Größe Londons zu geben, müssen wir vorausschicken,
daß, zu sagen, wo die Hauptstadt beginnt und wo sie endigt, .ebenso schwierig
ist, wie wenn man die genaue Scheidelinie zwischen den einzelnen Farben des
Regenbogens oder zwischen dem salzigen oder süßen Wasser an der Mündung
eines Flusses ins Meer angeben wollte. Denn die Dörfer, welche sich an die
Vorstädte anschließen, ziehen sich so unmerklich in die Stadt hinein, daß nur
ein der Verhältnisse völlig Kundiger sich zurecht zu finden weiß. Es ist in¬
folge dessen für nothwendig erachtet worden, specielle Parlamentsacten zu er-


um ihre Pflicht als selbstständige Welt zu thun und sich um sich selbst drehend
die Runde um die Sonne zu machen — wobei dann Hampstead der Nordpol
und Sydenham der Südpol sein, beide einen sechsmonatlichen Winter haben,
die ganze Linie von Oxford Street, Holborn und Cheapside dagegen unter der
ewigen Sonne der Gegend, die dann die heiße Zone der Metropole wäre, liegen
und während es in Kensington Tag wäre, die Leute zu Mile End im Dunkel
der Nacht leben würden.

Und welch' eine wundersame Welt würde dieses sür sich um die Sonne
kreisende London sein! Eine Welt, die auf allen den 120 Q-nadratmeilen, die
sie bedeckte, kaUm einen Acker grünes Feld haben — eine Welt, die nicht im
Stande sein würde, einen Sack Korn zu erzeugen oder eine Herde Schafe zu
ernähren — eine Welt gedrängt voll Häuser und mit einem Straßennetze über¬
zogen gleich den Adern eines Weinblattes und eine Welt mit zwei und einer
halben Million Menschen, die in sie sast so dicht zusammengedrängt wären, als
die Neger im Zwischendeck eines Sklavenschiffs.

Kann man Ceres, Pallas, Juno oder Astraea oder Iris oder irgend einen
der fünfundzwanzig kleinen Planeten hiermit vergleichen?"

Von diesem Phantasiespiel, welches den Titel seines Buches in ziemlich
anmuthiger Weise rechtfertigt, folgen wir dem Verfasser auf ein Solideres Ge¬
biet. ES würde kein anschauliches Bild von der Große Londons geben, sagt
er, wollte man dem Leser zu diesem Zwecke sagen, es bedecke nach dem
letzten Census (von 1831) 7,8,029 Acres oder 122 Quadratmeilen, enthalte
327,391 Häuser und habe 2,362,236 Einwohner (die, wie aus einer spätern
Angabe hervorgeht, jetzt bis 'auf dritthalb Millionen sich vermehrt haben'
müssen).

Durch derartige Angaben würde die Vorstellungskraft sicherlich nicht mehr
in den Stand gesetzt, sich ein deutliches Bild von der Bedeutung cher größten
Stadt in der Welt zu machen,'als wenn man ihr die Größe der See dadurch
veranschaulichen wollte, daß man ihr sagte, die Gesammtoberfläche aller Meere
belaufe sich aus 143 Millionen Quadratmeilen, und dieselben enthalten
6,ii1 Billionen Tonnen des gemeinen Salzes.

Indem wir versuchen wollen, ein lebhafteres Gemälde und einen deut¬
lichern Begriff von der Größe Londons zu geben, müssen wir vorausschicken,
daß, zu sagen, wo die Hauptstadt beginnt und wo sie endigt, .ebenso schwierig
ist, wie wenn man die genaue Scheidelinie zwischen den einzelnen Farben des
Regenbogens oder zwischen dem salzigen oder süßen Wasser an der Mündung
eines Flusses ins Meer angeben wollte. Denn die Dörfer, welche sich an die
Vorstädte anschließen, ziehen sich so unmerklich in die Stadt hinein, daß nur
ein der Verhältnisse völlig Kundiger sich zurecht zu finden weiß. Es ist in¬
folge dessen für nothwendig erachtet worden, specielle Parlamentsacten zu er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/422>, abgerufen am 28.07.2024.