Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.lose Rechtsprechung der Standesgenossen mußte die Gemüther um so tiefer er¬ Wenn an diese Art des Rechtsbrauchs noch die Form unsrer heutigen lose Rechtsprechung der Standesgenossen mußte die Gemüther um so tiefer er¬ Wenn an diese Art des Rechtsbrauchs noch die Form unsrer heutigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101933"/> <p xml:id="ID_1050" prev="#ID_1049"> lose Rechtsprechung der Standesgenossen mußte die Gemüther um so tiefer er¬<lb/> schüttern, als es keine erlernte Redefertigkeit zu bewundern gab. Mit dem<lb/> „Schuldig" bricht der Schultheiß den Stab und empfiehlt deS armen Ge¬<lb/> fangenen Seele Gott. Er wird dem Profoß übergeben und der Geistliche<lb/> empfängt seine letzten Bekenntnisse, darauf führt ihn der Freimaur zur Richt¬<lb/> stätte. Hier spricht der Profoß den gegenwärtigen Landsknechten inS Gewissen,<lb/> daß sie sich das Schicksal des Verurtheilten wohl zu Herzen nehmen, sich deS<lb/> „Vollsaufens", worin die meisten Vergehen begangen würden, besonders enthal¬<lb/> ten und sich vor Strafen hüten mögen, die niemandem geschenkt werden könnten.<lb/> Zum kurzen Abschiede noch im Ringe herumgeführt, kniet der arme Sünder<lb/> nieder; mit dem scharfen Hiebe ist der Frevel gesühnt und deS Gerichteten Leich¬<lb/> nam nimmt ehrliche Grabstätte auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1051" next="#ID_1052"> Wenn an diese Art des Rechtsbrauchs noch die Form unsrer heutigen<lb/> Kriegsgerichte erinnert, so hat stchdie andre, das Recht der langen Spieße, in<lb/> dem barbarischen Gassenlaufen verloren. Sollte Schlußrecht eingeführt wer¬<lb/> den , so hielt der Oberst der versammelten Gemeine in ernster Mahnung vor,<lb/> sich vor Uebelthat zu bewahren, weil jeder des andern Richter sein müsse und die<lb/> Knechte legten feierlichen Eid ab, wenn einer wider die Artikel verstieße, so solle<lb/> er unanzusehen Freundschaft, Sippschaft oder Gunst, ohne allen Neid und<lb/> Haß durch die „drei Räthe" verurtheilt werden. Wenn nun durch den Pro¬<lb/> foß ein Pflichtbrüchiger angetroffen und festgenommen war, so ließ dieser den<lb/> Obersten um die Gnade bitten, die Gemeinen an einem nüchternen Morgen<lb/> zusammenkommen zu lassen. Ist ihm gewillfahret, so tritt der Prosoß mit<lb/> seinem Gefangenen in die Mitte, um mit dem Gruß: „Guten Morgen, ihr<lb/> lieben ehrlichen Landsknechte, edel und unedel, wie uns Gott zueinanderge-<lb/> bracht hat," — der Justiz freien Lauf zu fordern. Dann heißt er den Feld-<lb/> weibel ein „Mehr" machen, worauf dieser ansagt, wer des Profoßen Wort<lb/> nachzukommen gedenke, möge seine Hand aufheben; es beginnt der Hergang<lb/> mit Fürsprecher und Räth für Kläger und Angeklagten, sie dingen ins Recht.<lb/> Wenn nach dreimaligem Abtreten der Klag,ebestand erhärtet ist, so thun die<lb/> Fähndriche ihre Fähnlein zu, stecken sie mit dem Eisen ins Erdreich und for¬<lb/> dern die Landsknechte auf, solchen Schimpf Hu ahnden, damit das Regiment<lb/> wieder ehrlich sei, sonst wollen sie ihre Fähnlein nimmer fliegen lassen. Ein<lb/> Knecht wird vorgerufen, damit er seinen Rath gebe/der fordert sich vierzig<lb/> gute Kriegsleute, edel oder unedel, zum Beistand. Der Beschluß, den sie fassen,<lb/> wird der Gemeine mitgetheilt, sie treten wieder ein; andere vierzig urtheilen<lb/> und die dritten folgen ihnen. Haben auch diese berathen, so wird unter Trommel¬<lb/> schlag ihr Ausspruch der Menge zur Entscheidung vorgelegt, stimmt sie zu mit<lb/> aufgehobenen Händen, dann ist es um den Missethäter geschehen. Die<lb/> Fähndriche bedanken sich beim gemeinen Mann, dqß er so willig gewesen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0406]
lose Rechtsprechung der Standesgenossen mußte die Gemüther um so tiefer er¬
schüttern, als es keine erlernte Redefertigkeit zu bewundern gab. Mit dem
„Schuldig" bricht der Schultheiß den Stab und empfiehlt deS armen Ge¬
fangenen Seele Gott. Er wird dem Profoß übergeben und der Geistliche
empfängt seine letzten Bekenntnisse, darauf führt ihn der Freimaur zur Richt¬
stätte. Hier spricht der Profoß den gegenwärtigen Landsknechten inS Gewissen,
daß sie sich das Schicksal des Verurtheilten wohl zu Herzen nehmen, sich deS
„Vollsaufens", worin die meisten Vergehen begangen würden, besonders enthal¬
ten und sich vor Strafen hüten mögen, die niemandem geschenkt werden könnten.
Zum kurzen Abschiede noch im Ringe herumgeführt, kniet der arme Sünder
nieder; mit dem scharfen Hiebe ist der Frevel gesühnt und deS Gerichteten Leich¬
nam nimmt ehrliche Grabstätte auf.
Wenn an diese Art des Rechtsbrauchs noch die Form unsrer heutigen
Kriegsgerichte erinnert, so hat stchdie andre, das Recht der langen Spieße, in
dem barbarischen Gassenlaufen verloren. Sollte Schlußrecht eingeführt wer¬
den , so hielt der Oberst der versammelten Gemeine in ernster Mahnung vor,
sich vor Uebelthat zu bewahren, weil jeder des andern Richter sein müsse und die
Knechte legten feierlichen Eid ab, wenn einer wider die Artikel verstieße, so solle
er unanzusehen Freundschaft, Sippschaft oder Gunst, ohne allen Neid und
Haß durch die „drei Räthe" verurtheilt werden. Wenn nun durch den Pro¬
foß ein Pflichtbrüchiger angetroffen und festgenommen war, so ließ dieser den
Obersten um die Gnade bitten, die Gemeinen an einem nüchternen Morgen
zusammenkommen zu lassen. Ist ihm gewillfahret, so tritt der Prosoß mit
seinem Gefangenen in die Mitte, um mit dem Gruß: „Guten Morgen, ihr
lieben ehrlichen Landsknechte, edel und unedel, wie uns Gott zueinanderge-
bracht hat," — der Justiz freien Lauf zu fordern. Dann heißt er den Feld-
weibel ein „Mehr" machen, worauf dieser ansagt, wer des Profoßen Wort
nachzukommen gedenke, möge seine Hand aufheben; es beginnt der Hergang
mit Fürsprecher und Räth für Kläger und Angeklagten, sie dingen ins Recht.
Wenn nach dreimaligem Abtreten der Klag,ebestand erhärtet ist, so thun die
Fähndriche ihre Fähnlein zu, stecken sie mit dem Eisen ins Erdreich und for¬
dern die Landsknechte auf, solchen Schimpf Hu ahnden, damit das Regiment
wieder ehrlich sei, sonst wollen sie ihre Fähnlein nimmer fliegen lassen. Ein
Knecht wird vorgerufen, damit er seinen Rath gebe/der fordert sich vierzig
gute Kriegsleute, edel oder unedel, zum Beistand. Der Beschluß, den sie fassen,
wird der Gemeine mitgetheilt, sie treten wieder ein; andere vierzig urtheilen
und die dritten folgen ihnen. Haben auch diese berathen, so wird unter Trommel¬
schlag ihr Ausspruch der Menge zur Entscheidung vorgelegt, stimmt sie zu mit
aufgehobenen Händen, dann ist es um den Missethäter geschehen. Die
Fähndriche bedanken sich beim gemeinen Mann, dqß er so willig gewesen,
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