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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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blätterten, dieses geistvollen leichtsinnigen Schriftstellers, der unmittelbar aus
die Beschreibung Cäsars im Schlafrock von A. Dumas gefolgt ist, war es
nicht grade die Darstellung der römischen Zustände, auf die wir unsre Auf¬
merksamkeit richteten. Lamartine saßt in seiner Einleitung die ältere römische
Geschichte ganz in der Weise auf, wie man es im vorigen Jahrhundert ge¬
wohnt war. "Die ersten Römer, eine Räuberbande, genöthigt, sich in die
Berge von Latium zu flüchten, dort eine Stadt zu bauen und Stück für Stück
sich das Grenzgebiet ihrer Nachbarn anzueignen, waren durch diesen Ursprung
natürlich dahin getrieben, aus dem wildesten Patriotismus ix,s einzige Princip, die
Tugend, gewissermaßen die Gottheit Roms zu machen. Wie alle falsche Tugen¬
den , hatte dieser Patriotismus seine Verbrechen durch Grundsätze gerecht¬
fertigt. . . . Dieser illegitime Ursprung des Volks erklärt ebenso die Natur
seiner Regierung, wie die Unersättlichkeit seiner Eroberungen. Da in Beziehung
auf das Verbrechen, die Verbannung und die Räuberei, alle in ihrer Räuber¬
höhle, die sich dann in die ewige Stadt verwandelte, einander gleich waren,
so hatte sich der Begriff der Gleichheit tief in ihrer Seele eingeprägt u. f. w."

Die Geschichte Cäsars selbst wird einfach aus Uebersetzungen aus dem
Sallust, aus Plutarch und Cäsar zusammengestellt; doch fügt der Geschicht¬
schreiber einzelne erläuternde Bemerkungen hinzu, die in vieler Beziehung mit
den Ansichten Mommsens zusammenfallen. Auch Lamartine zweifelt nicht daran,
daß Cäsar der intellectuelle Urheber ver catilinarischen Verschwörung war. Auch
er urtheilt über Cicero, obgleich er sich höflicher ausdrückt, nicht minder hart,
als der deutsche Geschichtschreiber. Er nennt die Hinrichtung der Verschwörer
einen Staatsstreich der Ungeduld, der Härte und des Schreckens. Schon bei
Mommsen haben wir uns darüber gewundert, daß er diese vereinzelte Gewalt¬
that mit einer so leidenschaftlichen Bitterkeit verurtheill, da doch die vorher¬
gehenden Prvscriptionen unter Opimius, Marius und Sulla eine starke Bresche
in den Wall der Gesetzlichkeit geschlagen hatten. Dagegen ist Lamartine keines¬
wegs ein unbedingter Bewunderer Cäsars. Er schildert mit einer unzweideutigen
Beziehung die schlimme Lage Cäsars, der als Führer einer Räuberbande die
Wahl hatte, entweder seine Partei zu zähmen und dadurch seine Popularität
zu verlieren, oder sich immer tiefer in den Schlunv zu tauchen, den er selbst
gegraben hatte. Zehn Jahre lang Mitschuldiger der Demagogen, zehn Jahre
glücklicher Feldherr, fünf Jahre lang glücklicher Verbrecher gegen die Republik,
hatte sein unsittlicher Ehrgeiz ihn in eine Sackgasse geführt, aus der ihn nur
eine noch größere Kühnheit retten konnte, indem er entweder die Republik her¬
stellte, oder sich- als Erbkönig krönen ließ. Seine Stützen waren theils die
alten Communisten, die Aufwiegler des Pöbels gegen die Reichen, theils die
Soldateska und ihre abenteuerlichen Führer, die für seine Macht gekämpft
hatten, um ihre Schulden zu bezahlen. Wenn Ver ehrliche Cicero sich ihm


blätterten, dieses geistvollen leichtsinnigen Schriftstellers, der unmittelbar aus
die Beschreibung Cäsars im Schlafrock von A. Dumas gefolgt ist, war es
nicht grade die Darstellung der römischen Zustände, auf die wir unsre Auf¬
merksamkeit richteten. Lamartine saßt in seiner Einleitung die ältere römische
Geschichte ganz in der Weise auf, wie man es im vorigen Jahrhundert ge¬
wohnt war. „Die ersten Römer, eine Räuberbande, genöthigt, sich in die
Berge von Latium zu flüchten, dort eine Stadt zu bauen und Stück für Stück
sich das Grenzgebiet ihrer Nachbarn anzueignen, waren durch diesen Ursprung
natürlich dahin getrieben, aus dem wildesten Patriotismus ix,s einzige Princip, die
Tugend, gewissermaßen die Gottheit Roms zu machen. Wie alle falsche Tugen¬
den , hatte dieser Patriotismus seine Verbrechen durch Grundsätze gerecht¬
fertigt. . . . Dieser illegitime Ursprung des Volks erklärt ebenso die Natur
seiner Regierung, wie die Unersättlichkeit seiner Eroberungen. Da in Beziehung
auf das Verbrechen, die Verbannung und die Räuberei, alle in ihrer Räuber¬
höhle, die sich dann in die ewige Stadt verwandelte, einander gleich waren,
so hatte sich der Begriff der Gleichheit tief in ihrer Seele eingeprägt u. f. w."

Die Geschichte Cäsars selbst wird einfach aus Uebersetzungen aus dem
Sallust, aus Plutarch und Cäsar zusammengestellt; doch fügt der Geschicht¬
schreiber einzelne erläuternde Bemerkungen hinzu, die in vieler Beziehung mit
den Ansichten Mommsens zusammenfallen. Auch Lamartine zweifelt nicht daran,
daß Cäsar der intellectuelle Urheber ver catilinarischen Verschwörung war. Auch
er urtheilt über Cicero, obgleich er sich höflicher ausdrückt, nicht minder hart,
als der deutsche Geschichtschreiber. Er nennt die Hinrichtung der Verschwörer
einen Staatsstreich der Ungeduld, der Härte und des Schreckens. Schon bei
Mommsen haben wir uns darüber gewundert, daß er diese vereinzelte Gewalt¬
that mit einer so leidenschaftlichen Bitterkeit verurtheill, da doch die vorher¬
gehenden Prvscriptionen unter Opimius, Marius und Sulla eine starke Bresche
in den Wall der Gesetzlichkeit geschlagen hatten. Dagegen ist Lamartine keines¬
wegs ein unbedingter Bewunderer Cäsars. Er schildert mit einer unzweideutigen
Beziehung die schlimme Lage Cäsars, der als Führer einer Räuberbande die
Wahl hatte, entweder seine Partei zu zähmen und dadurch seine Popularität
zu verlieren, oder sich immer tiefer in den Schlunv zu tauchen, den er selbst
gegraben hatte. Zehn Jahre lang Mitschuldiger der Demagogen, zehn Jahre
glücklicher Feldherr, fünf Jahre lang glücklicher Verbrecher gegen die Republik,
hatte sein unsittlicher Ehrgeiz ihn in eine Sackgasse geführt, aus der ihn nur
eine noch größere Kühnheit retten konnte, indem er entweder die Republik her¬
stellte, oder sich- als Erbkönig krönen ließ. Seine Stützen waren theils die
alten Communisten, die Aufwiegler des Pöbels gegen die Reichen, theils die
Soldateska und ihre abenteuerlichen Führer, die für seine Macht gekämpft
hatten, um ihre Schulden zu bezahlen. Wenn Ver ehrliche Cicero sich ihm


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[0282] blätterten, dieses geistvollen leichtsinnigen Schriftstellers, der unmittelbar aus die Beschreibung Cäsars im Schlafrock von A. Dumas gefolgt ist, war es nicht grade die Darstellung der römischen Zustände, auf die wir unsre Auf¬ merksamkeit richteten. Lamartine saßt in seiner Einleitung die ältere römische Geschichte ganz in der Weise auf, wie man es im vorigen Jahrhundert ge¬ wohnt war. „Die ersten Römer, eine Räuberbande, genöthigt, sich in die Berge von Latium zu flüchten, dort eine Stadt zu bauen und Stück für Stück sich das Grenzgebiet ihrer Nachbarn anzueignen, waren durch diesen Ursprung natürlich dahin getrieben, aus dem wildesten Patriotismus ix,s einzige Princip, die Tugend, gewissermaßen die Gottheit Roms zu machen. Wie alle falsche Tugen¬ den , hatte dieser Patriotismus seine Verbrechen durch Grundsätze gerecht¬ fertigt. . . . Dieser illegitime Ursprung des Volks erklärt ebenso die Natur seiner Regierung, wie die Unersättlichkeit seiner Eroberungen. Da in Beziehung auf das Verbrechen, die Verbannung und die Räuberei, alle in ihrer Räuber¬ höhle, die sich dann in die ewige Stadt verwandelte, einander gleich waren, so hatte sich der Begriff der Gleichheit tief in ihrer Seele eingeprägt u. f. w." Die Geschichte Cäsars selbst wird einfach aus Uebersetzungen aus dem Sallust, aus Plutarch und Cäsar zusammengestellt; doch fügt der Geschicht¬ schreiber einzelne erläuternde Bemerkungen hinzu, die in vieler Beziehung mit den Ansichten Mommsens zusammenfallen. Auch Lamartine zweifelt nicht daran, daß Cäsar der intellectuelle Urheber ver catilinarischen Verschwörung war. Auch er urtheilt über Cicero, obgleich er sich höflicher ausdrückt, nicht minder hart, als der deutsche Geschichtschreiber. Er nennt die Hinrichtung der Verschwörer einen Staatsstreich der Ungeduld, der Härte und des Schreckens. Schon bei Mommsen haben wir uns darüber gewundert, daß er diese vereinzelte Gewalt¬ that mit einer so leidenschaftlichen Bitterkeit verurtheill, da doch die vorher¬ gehenden Prvscriptionen unter Opimius, Marius und Sulla eine starke Bresche in den Wall der Gesetzlichkeit geschlagen hatten. Dagegen ist Lamartine keines¬ wegs ein unbedingter Bewunderer Cäsars. Er schildert mit einer unzweideutigen Beziehung die schlimme Lage Cäsars, der als Führer einer Räuberbande die Wahl hatte, entweder seine Partei zu zähmen und dadurch seine Popularität zu verlieren, oder sich immer tiefer in den Schlunv zu tauchen, den er selbst gegraben hatte. Zehn Jahre lang Mitschuldiger der Demagogen, zehn Jahre glücklicher Feldherr, fünf Jahre lang glücklicher Verbrecher gegen die Republik, hatte sein unsittlicher Ehrgeiz ihn in eine Sackgasse geführt, aus der ihn nur eine noch größere Kühnheit retten konnte, indem er entweder die Republik her¬ stellte, oder sich- als Erbkönig krönen ließ. Seine Stützen waren theils die alten Communisten, die Aufwiegler des Pöbels gegen die Reichen, theils die Soldateska und ihre abenteuerlichen Führer, die für seine Macht gekämpft hatten, um ihre Schulden zu bezahlen. Wenn Ver ehrliche Cicero sich ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/282>, abgerufen am 27.07.2024.