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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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terialistische Behauptungen zu widerlegen, zu diesem Zwecke muß man die
Sache mit Fechner von der Höhe der Wissenschaft aus betrachten. Die Pro¬
pheten des Stoffs haben nämlich ganz vergessen zu sagen, waS denn eigentlich
Stoff sei; sie werden den Ausführungen von Helmholtz in seiner berühmten
Schrift über Erhaltung der Kraft sich nicht entziehen können. "Ebenso fehler¬
haft ist es, sagt letzterer, die Materie für etwas Wirkliches, die Kraft für einen
bloßen Begriff erklären zu wollen, dem nichts Wirkliches entspräche; beides
sind vielmehr Abstraktionen von dem Wirklichen, in ganz gleicher Art gebildet;
wir können ja die Materie eben nur durch ihre Kräfte, nie an sich selbst wahrneh¬
men." Die Vorstellung der Materialisten also, daß die Materie das Wesent¬
liche und die Kräfte von dieser abhängig, eine Eigenschaft, ein Product derselben
sei, ist eine irrige und überhaupt, wie wir sehen werden, die Existenz einer
Materie im gewöhnlichen Sinne, d. h. betrachtet als ein noch außer' den
Kräften vorhandenes Etwas, sowol unbeweisbar, als unwahrscheinlich.

Wir können Fechner um so mehr als unparteiischen Gewährsmann betrach¬
ten, da er nicht gegen den Materialismus, sondern gegen die Philosophie zu
Felde zieht; es kommt ihm namentlich darauf an, die Existenz von Atomen im
Gegensatz zu einer continuirlichen Erfüllung des Raumes mit Materie nach¬
zuweisen. Im physikalischen Theile seiner Abhandlung hat er die überzeugend¬
sten Beweise für diese Ansicht einem an ihn gerichteten Briefe von W. Weber,
dem berühmten göttinger Physiker, entnommen. Diese beruhen namentlich auf der
Beschaffenheit des Aethers, jener feinsten aller Substanzen, welche den sonst leeren
Weltraum erfüllt, alle Körper durchdringt und durch Schwingungen das Licht
und die Wärme hervorbringt. Die Undulationstheorie, welche die Gesetze
dieser Schwingungen ausspricht und jetzt (zwei Jahrhunderte nach ihrer ersten
Aufstellung, durch Huyghens) nach vielen Controversen und Aufwand von
Scharfsinn für und wider (selbst Newton war ihr Gegner) mathematisch 'be¬
wiesen ist, fordert es, den Aether als aus discreten kleinsten Theilen zu¬
sammengesetzt und nicht als Continuum zu denken. Leichter verständlich ist
Webers Grund für die völlige Begrenzung der Atmosphäre, welche nach astro¬
nomischen Beobachtungen in einer Höhe von 10 -- 1i Meilen über der Erd¬
oberfläche endet. Die Luft dehnt sich bekanntlich in dem Maße aus, in welchem
sie verdünnt wird und erfüllt die Glocke einer Luftpumpe selbst im verdünntesten
Zustande immer ganz gleichmäßig. Man sollte also denken, daß sie sich ver¬
möge dieser ihr eignen Erpansivkraft auch noch oben in dem lustleeren Welt¬
raum bis ins Unendliche ausdehnen werde. Besteht aber die Lust aus einzelnen
kleinen Massen, die sich abstoßen und bei der Ausdehnung sich voneinander
entfernen, .so vermindert sich nach einem allgemeinen physikalischen Gesetz mit
der immer größer werdenden Entfernung der einzelnen Theilchen von einander
ihre gegenseitig abstoßende Kraft und es kommt ein Punkt, in welchem die An-


terialistische Behauptungen zu widerlegen, zu diesem Zwecke muß man die
Sache mit Fechner von der Höhe der Wissenschaft aus betrachten. Die Pro¬
pheten des Stoffs haben nämlich ganz vergessen zu sagen, waS denn eigentlich
Stoff sei; sie werden den Ausführungen von Helmholtz in seiner berühmten
Schrift über Erhaltung der Kraft sich nicht entziehen können. „Ebenso fehler¬
haft ist es, sagt letzterer, die Materie für etwas Wirkliches, die Kraft für einen
bloßen Begriff erklären zu wollen, dem nichts Wirkliches entspräche; beides
sind vielmehr Abstraktionen von dem Wirklichen, in ganz gleicher Art gebildet;
wir können ja die Materie eben nur durch ihre Kräfte, nie an sich selbst wahrneh¬
men." Die Vorstellung der Materialisten also, daß die Materie das Wesent¬
liche und die Kräfte von dieser abhängig, eine Eigenschaft, ein Product derselben
sei, ist eine irrige und überhaupt, wie wir sehen werden, die Existenz einer
Materie im gewöhnlichen Sinne, d. h. betrachtet als ein noch außer' den
Kräften vorhandenes Etwas, sowol unbeweisbar, als unwahrscheinlich.

Wir können Fechner um so mehr als unparteiischen Gewährsmann betrach¬
ten, da er nicht gegen den Materialismus, sondern gegen die Philosophie zu
Felde zieht; es kommt ihm namentlich darauf an, die Existenz von Atomen im
Gegensatz zu einer continuirlichen Erfüllung des Raumes mit Materie nach¬
zuweisen. Im physikalischen Theile seiner Abhandlung hat er die überzeugend¬
sten Beweise für diese Ansicht einem an ihn gerichteten Briefe von W. Weber,
dem berühmten göttinger Physiker, entnommen. Diese beruhen namentlich auf der
Beschaffenheit des Aethers, jener feinsten aller Substanzen, welche den sonst leeren
Weltraum erfüllt, alle Körper durchdringt und durch Schwingungen das Licht
und die Wärme hervorbringt. Die Undulationstheorie, welche die Gesetze
dieser Schwingungen ausspricht und jetzt (zwei Jahrhunderte nach ihrer ersten
Aufstellung, durch Huyghens) nach vielen Controversen und Aufwand von
Scharfsinn für und wider (selbst Newton war ihr Gegner) mathematisch 'be¬
wiesen ist, fordert es, den Aether als aus discreten kleinsten Theilen zu¬
sammengesetzt und nicht als Continuum zu denken. Leichter verständlich ist
Webers Grund für die völlige Begrenzung der Atmosphäre, welche nach astro¬
nomischen Beobachtungen in einer Höhe von 10 — 1i Meilen über der Erd¬
oberfläche endet. Die Luft dehnt sich bekanntlich in dem Maße aus, in welchem
sie verdünnt wird und erfüllt die Glocke einer Luftpumpe selbst im verdünntesten
Zustande immer ganz gleichmäßig. Man sollte also denken, daß sie sich ver¬
möge dieser ihr eignen Erpansivkraft auch noch oben in dem lustleeren Welt¬
raum bis ins Unendliche ausdehnen werde. Besteht aber die Lust aus einzelnen
kleinen Massen, die sich abstoßen und bei der Ausdehnung sich voneinander
entfernen, .so vermindert sich nach einem allgemeinen physikalischen Gesetz mit
der immer größer werdenden Entfernung der einzelnen Theilchen von einander
ihre gegenseitig abstoßende Kraft und es kommt ein Punkt, in welchem die An-


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[0234] terialistische Behauptungen zu widerlegen, zu diesem Zwecke muß man die Sache mit Fechner von der Höhe der Wissenschaft aus betrachten. Die Pro¬ pheten des Stoffs haben nämlich ganz vergessen zu sagen, waS denn eigentlich Stoff sei; sie werden den Ausführungen von Helmholtz in seiner berühmten Schrift über Erhaltung der Kraft sich nicht entziehen können. „Ebenso fehler¬ haft ist es, sagt letzterer, die Materie für etwas Wirkliches, die Kraft für einen bloßen Begriff erklären zu wollen, dem nichts Wirkliches entspräche; beides sind vielmehr Abstraktionen von dem Wirklichen, in ganz gleicher Art gebildet; wir können ja die Materie eben nur durch ihre Kräfte, nie an sich selbst wahrneh¬ men." Die Vorstellung der Materialisten also, daß die Materie das Wesent¬ liche und die Kräfte von dieser abhängig, eine Eigenschaft, ein Product derselben sei, ist eine irrige und überhaupt, wie wir sehen werden, die Existenz einer Materie im gewöhnlichen Sinne, d. h. betrachtet als ein noch außer' den Kräften vorhandenes Etwas, sowol unbeweisbar, als unwahrscheinlich. Wir können Fechner um so mehr als unparteiischen Gewährsmann betrach¬ ten, da er nicht gegen den Materialismus, sondern gegen die Philosophie zu Felde zieht; es kommt ihm namentlich darauf an, die Existenz von Atomen im Gegensatz zu einer continuirlichen Erfüllung des Raumes mit Materie nach¬ zuweisen. Im physikalischen Theile seiner Abhandlung hat er die überzeugend¬ sten Beweise für diese Ansicht einem an ihn gerichteten Briefe von W. Weber, dem berühmten göttinger Physiker, entnommen. Diese beruhen namentlich auf der Beschaffenheit des Aethers, jener feinsten aller Substanzen, welche den sonst leeren Weltraum erfüllt, alle Körper durchdringt und durch Schwingungen das Licht und die Wärme hervorbringt. Die Undulationstheorie, welche die Gesetze dieser Schwingungen ausspricht und jetzt (zwei Jahrhunderte nach ihrer ersten Aufstellung, durch Huyghens) nach vielen Controversen und Aufwand von Scharfsinn für und wider (selbst Newton war ihr Gegner) mathematisch 'be¬ wiesen ist, fordert es, den Aether als aus discreten kleinsten Theilen zu¬ sammengesetzt und nicht als Continuum zu denken. Leichter verständlich ist Webers Grund für die völlige Begrenzung der Atmosphäre, welche nach astro¬ nomischen Beobachtungen in einer Höhe von 10 — 1i Meilen über der Erd¬ oberfläche endet. Die Luft dehnt sich bekanntlich in dem Maße aus, in welchem sie verdünnt wird und erfüllt die Glocke einer Luftpumpe selbst im verdünntesten Zustande immer ganz gleichmäßig. Man sollte also denken, daß sie sich ver¬ möge dieser ihr eignen Erpansivkraft auch noch oben in dem lustleeren Welt¬ raum bis ins Unendliche ausdehnen werde. Besteht aber die Lust aus einzelnen kleinen Massen, die sich abstoßen und bei der Ausdehnung sich voneinander entfernen, .so vermindert sich nach einem allgemeinen physikalischen Gesetz mit der immer größer werdenden Entfernung der einzelnen Theilchen von einander ihre gegenseitig abstoßende Kraft und es kommt ein Punkt, in welchem die An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/234>, abgerufen am 27.07.2024.