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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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hat diese Uebersicht über den militärischen Ruhm Oestreichs zugleich die Fragen
der Zukunft näher gerückt, die immer ernster und bedeutender für die allgemeine
Entwicklung der Weltgeschichte sich herandrängen. Man möge uns gestatten,
bei dieser Gelegenheit einigen Bemerkungen über den Verruf Oestreichs und die
Wünsche, die wir im Interesse der allgemeinen Cultur dafür hegen müssen, Raum
zu geben.

- Derjenigen Partei, der auch wir angehören, welche in Preußen den Kern
einer nationalen deutschen Entwicklung sieht, ist Oestreich häufig ein Stein des
Anstoßes gewesen, und man hat es daher nicht selten ungerecht beurtheilt. Die
Zusammensetzung der östreichischen Monarchie ist so gegen alle Analogien der
Geschichte, daß man sie schon um des Systems willen gern als etwas Unhalt¬
bares bezeichnen möchte. Daneben waren die Erscheinungen, welche sein
innerer Entwicklungsproceß hervorrief, nicht immer der erfreulichsten Art. Wenn
man auch mit dem Verstände für die Regierung Partei nahm, so war das
Herz doch nicht selten auf Seiten der Unterdrückten, und wir waren nicht selten
geneigt, mit Marquis Posa auszurufen:


Sie haben Recht, Sie müssen! daß Sie können,
Was Sie zu müssen eingesehn, das ist,
Was mich mit schaudernder Bewunderung durchdrungen.

Aber wir haben nie zu denen gehört, die Oestreichs Untergang prophezeiten,
weil seine Banknoten unter pari standen. Wir haben uns nie durch die ritter¬
lichen Formen der Magyaren, der Polen, der Czechen u. s. w. verleiten lassen,
ihnen deshalb eine politische Berechtigung beizumessen. Wir haben die Noth¬
wendigkeit einer starken Monarchie in jenen Gegenden begriffen, die sonst der
wildesten Anarchie zur Beute anheimfallen müßten. Wir haben in Oestreich
eine kräftige Vormauer gegen die Uebergriffe Rußlands, wir haben es als
eine wesentlich deutsche Macht geehrt, die den Beruf habe, die deutsche Cultur
im Osten zu verbreiten. Wir sind von der festen Ueberzeugung ausgegangen,
die auch noch besteht, daß eine dauerhafte Regeneration Deutschlands nur durch
ein inniges EinVerständniß zwischen Oestreich und Preußen herbeigeführt wer¬
den kann. > "

Bis zum Abschluß des pariser Friedens suchte man alle Conflicte, die nicht
in unmittelbarer Beziehung zu der großen orientalischen Frage standen, so viel
als möglich zu vertuschen. Es gab sogar eine Zeit, wo man mit einer ge¬
wissen Mischung von Ueberraschung und Befriedigung Oestreich als den Ver¬
bündeten der westmächtlichen Tendenzen begrüßte, wo man überzeugt war, daß
infolge dessen auch eine innere Wiedergeburt des Staats im liberalen Sinn
Zu erwarten sei. Diese Aussichten sind nicht in Erfüllung gegangen; in dem
Augenblick, wo die Entscheidung drängte, trat Oestreich von der activen Mit¬
wirkung zurück, und wenn auch während des Friedensschlusses die offi-


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hat diese Uebersicht über den militärischen Ruhm Oestreichs zugleich die Fragen
der Zukunft näher gerückt, die immer ernster und bedeutender für die allgemeine
Entwicklung der Weltgeschichte sich herandrängen. Man möge uns gestatten,
bei dieser Gelegenheit einigen Bemerkungen über den Verruf Oestreichs und die
Wünsche, die wir im Interesse der allgemeinen Cultur dafür hegen müssen, Raum
zu geben.

- Derjenigen Partei, der auch wir angehören, welche in Preußen den Kern
einer nationalen deutschen Entwicklung sieht, ist Oestreich häufig ein Stein des
Anstoßes gewesen, und man hat es daher nicht selten ungerecht beurtheilt. Die
Zusammensetzung der östreichischen Monarchie ist so gegen alle Analogien der
Geschichte, daß man sie schon um des Systems willen gern als etwas Unhalt¬
bares bezeichnen möchte. Daneben waren die Erscheinungen, welche sein
innerer Entwicklungsproceß hervorrief, nicht immer der erfreulichsten Art. Wenn
man auch mit dem Verstände für die Regierung Partei nahm, so war das
Herz doch nicht selten auf Seiten der Unterdrückten, und wir waren nicht selten
geneigt, mit Marquis Posa auszurufen:


Sie haben Recht, Sie müssen! daß Sie können,
Was Sie zu müssen eingesehn, das ist,
Was mich mit schaudernder Bewunderung durchdrungen.

Aber wir haben nie zu denen gehört, die Oestreichs Untergang prophezeiten,
weil seine Banknoten unter pari standen. Wir haben uns nie durch die ritter¬
lichen Formen der Magyaren, der Polen, der Czechen u. s. w. verleiten lassen,
ihnen deshalb eine politische Berechtigung beizumessen. Wir haben die Noth¬
wendigkeit einer starken Monarchie in jenen Gegenden begriffen, die sonst der
wildesten Anarchie zur Beute anheimfallen müßten. Wir haben in Oestreich
eine kräftige Vormauer gegen die Uebergriffe Rußlands, wir haben es als
eine wesentlich deutsche Macht geehrt, die den Beruf habe, die deutsche Cultur
im Osten zu verbreiten. Wir sind von der festen Ueberzeugung ausgegangen,
die auch noch besteht, daß eine dauerhafte Regeneration Deutschlands nur durch
ein inniges EinVerständniß zwischen Oestreich und Preußen herbeigeführt wer¬
den kann. > "

Bis zum Abschluß des pariser Friedens suchte man alle Conflicte, die nicht
in unmittelbarer Beziehung zu der großen orientalischen Frage standen, so viel
als möglich zu vertuschen. Es gab sogar eine Zeit, wo man mit einer ge¬
wissen Mischung von Ueberraschung und Befriedigung Oestreich als den Ver¬
bündeten der westmächtlichen Tendenzen begrüßte, wo man überzeugt war, daß
infolge dessen auch eine innere Wiedergeburt des Staats im liberalen Sinn
Zu erwarten sei. Diese Aussichten sind nicht in Erfüllung gegangen; in dem
Augenblick, wo die Entscheidung drängte, trat Oestreich von der activen Mit¬
wirkung zurück, und wenn auch während des Friedensschlusses die offi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/227>, abgerufen am 27.07.2024.