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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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liebte, nicht blos mit Quintus Roscius, dem römischen Talma, sondern auch
mit viel geringeren Bühnenleuten beim Weine zu sitzen, wie er denn auch nicht
schlecht sang und sogar zur Aufführung für seinen Zirkel selbst Possen
schrieb.^ Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die körper¬
liche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der ländlichen Muße seiner
letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob und daß er aus dem eroberten Athen
die aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wol für sein Inter¬
esse auch an ernsterer Lectüre. Das specifische Römerthum stieß ihn eher ab.
Von der plumpen Morgue, die die römischen Großen gegenüber den Griechen
zu entwickeln liebten und von der Feierlichkeit beschränkter großer Männer hatte
Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich gehen und machte sich nichts daraus,
zum Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen Städten in griechischer
Tracht zu erscheinen oder auch seine Freunde zu veranlassen, bei den Spielen
selbst die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb patrio¬
tischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in Ländern freier Verfassung
jede jugendliche Kapacität auf den politischen Tummelplatz locken; in einem
Leben, wie das seine war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und
mehr als nüchternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen
und Streben mochte ihm eine Thorheit erscheinen in einer Welt, die doch un¬
bedingt vom Zufall regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man
ja doch aus nichts spannen konnte, als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen
Zuge der Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben sich zu ergeben,
folgte auch er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nichts, als der gewöhnliche
Glaube an das Absurde, der bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammen¬
hängende Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen
sich einstellt. Sein Glaube ist nicht der plebejische Köhlerglaube des Mcirius,
der von dem Pfaffen sür Geld sich wahrsagen und seine Handlungen durch ihn
bestimmen läßt, noch weniger der finstere Verhängnißglaube deS Fanatikers,
sondern der Aberglaube des glücklichen Spielers, der sich vom Schicksal privi-
legirt erachtet, jedes Mal und überall die rechte Nummer zu werfen. In
praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den Anforderungen der Reli¬
gion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern der griechischen Tempel
leerte, äußerte er, daß es demjenigen nimmer fehlen könne, dem die Götter
selbst die Kasse füllten. Als die delphischen Priester ihm sagen ließen, daß sie
sich scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes hell
geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen zurücksagen, daß man sie nun
um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der Gott seinem Vorhaben
zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem Gedanken, der aus¬
erwählte Liebling der Götter zu sein, vor allem jener, der er bis in seine späten
Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie


liebte, nicht blos mit Quintus Roscius, dem römischen Talma, sondern auch
mit viel geringeren Bühnenleuten beim Weine zu sitzen, wie er denn auch nicht
schlecht sang und sogar zur Aufführung für seinen Zirkel selbst Possen
schrieb.^ Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die körper¬
liche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der ländlichen Muße seiner
letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob und daß er aus dem eroberten Athen
die aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wol für sein Inter¬
esse auch an ernsterer Lectüre. Das specifische Römerthum stieß ihn eher ab.
Von der plumpen Morgue, die die römischen Großen gegenüber den Griechen
zu entwickeln liebten und von der Feierlichkeit beschränkter großer Männer hatte
Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich gehen und machte sich nichts daraus,
zum Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen Städten in griechischer
Tracht zu erscheinen oder auch seine Freunde zu veranlassen, bei den Spielen
selbst die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb patrio¬
tischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in Ländern freier Verfassung
jede jugendliche Kapacität auf den politischen Tummelplatz locken; in einem
Leben, wie das seine war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und
mehr als nüchternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen
und Streben mochte ihm eine Thorheit erscheinen in einer Welt, die doch un¬
bedingt vom Zufall regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man
ja doch aus nichts spannen konnte, als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen
Zuge der Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben sich zu ergeben,
folgte auch er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nichts, als der gewöhnliche
Glaube an das Absurde, der bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammen¬
hängende Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen
sich einstellt. Sein Glaube ist nicht der plebejische Köhlerglaube des Mcirius,
der von dem Pfaffen sür Geld sich wahrsagen und seine Handlungen durch ihn
bestimmen läßt, noch weniger der finstere Verhängnißglaube deS Fanatikers,
sondern der Aberglaube des glücklichen Spielers, der sich vom Schicksal privi-
legirt erachtet, jedes Mal und überall die rechte Nummer zu werfen. In
praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den Anforderungen der Reli¬
gion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern der griechischen Tempel
leerte, äußerte er, daß es demjenigen nimmer fehlen könne, dem die Götter
selbst die Kasse füllten. Als die delphischen Priester ihm sagen ließen, daß sie
sich scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes hell
geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen zurücksagen, daß man sie nun
um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der Gott seinem Vorhaben
zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem Gedanken, der aus¬
erwählte Liebling der Götter zu sein, vor allem jener, der er bis in seine späten
Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/20>, abgerufen am 27.07.2024.