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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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denn in jeder Unabhängigkeit bürgerlicher Kreise steht sie die anbrechende Re¬
volution. An diesem Widerspruch wird die Partei zuletzt untergehen.

So lange der Adel seine Interessen dadurch zu vertheidigen sucht, daß er
sie von den Gesammtinteressen des Staats sondert, werden seine Bestrebungen
fruchtlos bleiben, denn er kann sich selbst der Logik der Zustände nicht entziehen,
und diese geht über Wünsche und Illusionen gleichgiltig hinweg. Es ist ge¬
wiß ein begreiflicher und menschlich achtungswerther Wunsch, ein Gut in den
Händen der Familie zu erhalten, so daß sich die Beziehung zum Lande, der
Stand und die Gesinnung regelmäßig vom Vater auf den Sohn forterben;
aber diesen Wunsch durch Einrichtung von Majoraten gesetzlich zu firiren, ist
darum fruchtlos, weil dieses Institut den allgemeinen Gesetzen der Landwirth¬
schaft, wie sie sich in Deutschland praktisch herausgestellt haben, widerstreitet.
Der Edelmann ist durch die Natur der Dinge dahin getrieben, Industrieller
und Kaufmann zu werden, wie seine andern Mitbürger. Will er trotzdem die
Vorzüge feines Standes erhalten, so kann daS nur auf dem Wege des bürger¬
lichen Geschäftsbetriebs geschehen.

Was wir bisher angedeutet, bezog sich alles auf den Grundsatz, daß daS
Fortbestehen des Adels in der alten Form nur dann möglich und wünschens-
werth ist, wenn er sich lediglich auf seine eigne Kraft stützt, und die äußerliche
künstliche Hilfe des Staats verschmäht. Bei freier Concurrenz hat er noch
immer die besten Mittel in der Hand, sich, ohne Neid zu erregen, als erster
Stand im Staate zu behaupten. Zieht er aber um sich eine chinesische Mauer,
so reizt er dadurch nur den gesammten Bürgerstand zum Angriff, und in diesem
würde sich doch früher oder später das Recht deS Stärkern geltend machen.
Darum ist es auch unbedacht, wenn man neuerdings versucht, den Adel auf
dem Wege der Association zu heben, die sich dann Mit Beihilfe des Staats
als Corporation firiren soll; denn durch dieses Streben nach Ausschlie¬
ßung macht man den gesammten Bürgerstand zum Feind der bestehenden
Ordnung.

Eine zweite ebenso wichtige Bedingung für das Fortbestehen des Adels
ist, daß er wirklich die nationale Gesinnung in ihrer reinsten Forw repräsen-
tirt. Hier ist nun verhältnißmäßig der östreichische und preußische Adel gegen
den übrigen deutschen Adel sehr günstig gestellt, denn er kann in der That
eine nationale Gesinnung, eine historische Idee, eine große Vergangenheit und
eine hoffnungsreiche Zukunft repräseniiren. Ebenso ist der niedere Adel gegen
den hohen Adel im Vorzug, und das ist ein sehr bedenklicher Umstand, den
man bei einem Vergleich mit England nicht außer Acht lassen darf. Ein
Vaterland hat der hohe Adel wol, aber das Vaterland ist vorläufig politisch
nicht constituirt, es ist bis auf weiteres ein geographischer Begriff. In der
englischen nobility lebt der ganze Stolz einer ersten Weltmacht. Welcher


Grenzboten. II. -1866. 24

denn in jeder Unabhängigkeit bürgerlicher Kreise steht sie die anbrechende Re¬
volution. An diesem Widerspruch wird die Partei zuletzt untergehen.

So lange der Adel seine Interessen dadurch zu vertheidigen sucht, daß er
sie von den Gesammtinteressen des Staats sondert, werden seine Bestrebungen
fruchtlos bleiben, denn er kann sich selbst der Logik der Zustände nicht entziehen,
und diese geht über Wünsche und Illusionen gleichgiltig hinweg. Es ist ge¬
wiß ein begreiflicher und menschlich achtungswerther Wunsch, ein Gut in den
Händen der Familie zu erhalten, so daß sich die Beziehung zum Lande, der
Stand und die Gesinnung regelmäßig vom Vater auf den Sohn forterben;
aber diesen Wunsch durch Einrichtung von Majoraten gesetzlich zu firiren, ist
darum fruchtlos, weil dieses Institut den allgemeinen Gesetzen der Landwirth¬
schaft, wie sie sich in Deutschland praktisch herausgestellt haben, widerstreitet.
Der Edelmann ist durch die Natur der Dinge dahin getrieben, Industrieller
und Kaufmann zu werden, wie seine andern Mitbürger. Will er trotzdem die
Vorzüge feines Standes erhalten, so kann daS nur auf dem Wege des bürger¬
lichen Geschäftsbetriebs geschehen.

Was wir bisher angedeutet, bezog sich alles auf den Grundsatz, daß daS
Fortbestehen des Adels in der alten Form nur dann möglich und wünschens-
werth ist, wenn er sich lediglich auf seine eigne Kraft stützt, und die äußerliche
künstliche Hilfe des Staats verschmäht. Bei freier Concurrenz hat er noch
immer die besten Mittel in der Hand, sich, ohne Neid zu erregen, als erster
Stand im Staate zu behaupten. Zieht er aber um sich eine chinesische Mauer,
so reizt er dadurch nur den gesammten Bürgerstand zum Angriff, und in diesem
würde sich doch früher oder später das Recht deS Stärkern geltend machen.
Darum ist es auch unbedacht, wenn man neuerdings versucht, den Adel auf
dem Wege der Association zu heben, die sich dann Mit Beihilfe des Staats
als Corporation firiren soll; denn durch dieses Streben nach Ausschlie¬
ßung macht man den gesammten Bürgerstand zum Feind der bestehenden
Ordnung.

Eine zweite ebenso wichtige Bedingung für das Fortbestehen des Adels
ist, daß er wirklich die nationale Gesinnung in ihrer reinsten Forw repräsen-
tirt. Hier ist nun verhältnißmäßig der östreichische und preußische Adel gegen
den übrigen deutschen Adel sehr günstig gestellt, denn er kann in der That
eine nationale Gesinnung, eine historische Idee, eine große Vergangenheit und
eine hoffnungsreiche Zukunft repräseniiren. Ebenso ist der niedere Adel gegen
den hohen Adel im Vorzug, und das ist ein sehr bedenklicher Umstand, den
man bei einem Vergleich mit England nicht außer Acht lassen darf. Ein
Vaterland hat der hohe Adel wol, aber das Vaterland ist vorläufig politisch
nicht constituirt, es ist bis auf weiteres ein geographischer Begriff. In der
englischen nobility lebt der ganze Stolz einer ersten Weltmacht. Welcher


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[0193] denn in jeder Unabhängigkeit bürgerlicher Kreise steht sie die anbrechende Re¬ volution. An diesem Widerspruch wird die Partei zuletzt untergehen. So lange der Adel seine Interessen dadurch zu vertheidigen sucht, daß er sie von den Gesammtinteressen des Staats sondert, werden seine Bestrebungen fruchtlos bleiben, denn er kann sich selbst der Logik der Zustände nicht entziehen, und diese geht über Wünsche und Illusionen gleichgiltig hinweg. Es ist ge¬ wiß ein begreiflicher und menschlich achtungswerther Wunsch, ein Gut in den Händen der Familie zu erhalten, so daß sich die Beziehung zum Lande, der Stand und die Gesinnung regelmäßig vom Vater auf den Sohn forterben; aber diesen Wunsch durch Einrichtung von Majoraten gesetzlich zu firiren, ist darum fruchtlos, weil dieses Institut den allgemeinen Gesetzen der Landwirth¬ schaft, wie sie sich in Deutschland praktisch herausgestellt haben, widerstreitet. Der Edelmann ist durch die Natur der Dinge dahin getrieben, Industrieller und Kaufmann zu werden, wie seine andern Mitbürger. Will er trotzdem die Vorzüge feines Standes erhalten, so kann daS nur auf dem Wege des bürger¬ lichen Geschäftsbetriebs geschehen. Was wir bisher angedeutet, bezog sich alles auf den Grundsatz, daß daS Fortbestehen des Adels in der alten Form nur dann möglich und wünschens- werth ist, wenn er sich lediglich auf seine eigne Kraft stützt, und die äußerliche künstliche Hilfe des Staats verschmäht. Bei freier Concurrenz hat er noch immer die besten Mittel in der Hand, sich, ohne Neid zu erregen, als erster Stand im Staate zu behaupten. Zieht er aber um sich eine chinesische Mauer, so reizt er dadurch nur den gesammten Bürgerstand zum Angriff, und in diesem würde sich doch früher oder später das Recht deS Stärkern geltend machen. Darum ist es auch unbedacht, wenn man neuerdings versucht, den Adel auf dem Wege der Association zu heben, die sich dann Mit Beihilfe des Staats als Corporation firiren soll; denn durch dieses Streben nach Ausschlie¬ ßung macht man den gesammten Bürgerstand zum Feind der bestehenden Ordnung. Eine zweite ebenso wichtige Bedingung für das Fortbestehen des Adels ist, daß er wirklich die nationale Gesinnung in ihrer reinsten Forw repräsen- tirt. Hier ist nun verhältnißmäßig der östreichische und preußische Adel gegen den übrigen deutschen Adel sehr günstig gestellt, denn er kann in der That eine nationale Gesinnung, eine historische Idee, eine große Vergangenheit und eine hoffnungsreiche Zukunft repräseniiren. Ebenso ist der niedere Adel gegen den hohen Adel im Vorzug, und das ist ein sehr bedenklicher Umstand, den man bei einem Vergleich mit England nicht außer Acht lassen darf. Ein Vaterland hat der hohe Adel wol, aber das Vaterland ist vorläufig politisch nicht constituirt, es ist bis auf weiteres ein geographischer Begriff. In der englischen nobility lebt der ganze Stolz einer ersten Weltmacht. Welcher Grenzboten. II. -1866. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/193>, abgerufen am 27.07.2024.