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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Mitbürger, stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit dem
Haß der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann,
gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er
selbst schien es zu fühlen. Wie im Taumel vergingen ihm die Tage und des. Nachts
versagte ihm seine Lagerstatt die Ruhe, so daß er zum Becher griff, um nur
sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentägigen Kranken¬
lager , in dessen wilden Phantasien er auf den kleinastatischen Gefilden die
Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am -13. Januar 668
war er eine Leiche." -- Der Taumel dieses Revolutionsfiebers konnte nicht
lange dauern. Das natürliche Ende desselben war die Militärdiktatur, auf
welche die Entwicklung der Geschichte seit lange hindrängte. Sie trat unter
entsetzlichen Formen ein, denn der neue Dictator war der würdige Sohn einer
verworfenen Zeit, kalt und herzlos und aller sittlichen Ueberzeugungen entkleidet.
Aber sie führte noch nicht zur Monarchie, sondern zu einer scheinbaren Wiederher¬
stellung der alten aristokratischen Verfassung, denn Sulla hatte keinen Ehrgeiz
im größern Stil.

"Sulla ist eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen, eine
einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein Sanguiniker,
blauäugig, blond, von auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen Be¬
wegung sich röthenden Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender
Mann, begehrte er vom Leben nichts, als heitern Genuß. Ausgewachsen in
dem Raffinement des gebildeten Lurus, wie er in jener Zeit auch in den min¬
der reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemächtigte er rasch
und behend sich der ganzen Fülle sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbin¬
dung hellenischer Feinheit und römischen Reichthums zu gewähren vermochten.
Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als ange¬
nehmer Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden
in ihm den theilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der Noth,
der sein Gold weit lieber seinen bedrängten Genossen, als seinem reichen Gläu¬
biger gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den
Frauen; selbst in seinen spätern Jahren war er nicht mehr Regent, wenn er
nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zu Tafel setzte. Ein Zug der Ironie,
man könnte vielleicht sagen, der Bonffonerie, geht durch seine ganze Natur.
Noch als Regent befahl er, während er die Versteigerung der Güter der Ge¬
ächteten leitete, für ein ihm überreichtes schlechtes Gedicht zu seinem Preise
dem Versasser eine Verehrung aus der Beute zu verabreichen, unter der Be¬
dingung, daß er gelobe, ihn niemals wieder zu besingen. Als er vor der
Bürgerschaft Ofellas Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten
eine Fabel erzählte von dem Ackersmann und den Läusen. Es ist bezeichnend,
daß er seine Gesellen gern unter den Schauspielern sich auswählte und eS


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Mitbürger, stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit dem
Haß der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann,
gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er
selbst schien es zu fühlen. Wie im Taumel vergingen ihm die Tage und des. Nachts
versagte ihm seine Lagerstatt die Ruhe, so daß er zum Becher griff, um nur
sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentägigen Kranken¬
lager , in dessen wilden Phantasien er auf den kleinastatischen Gefilden die
Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am -13. Januar 668
war er eine Leiche." — Der Taumel dieses Revolutionsfiebers konnte nicht
lange dauern. Das natürliche Ende desselben war die Militärdiktatur, auf
welche die Entwicklung der Geschichte seit lange hindrängte. Sie trat unter
entsetzlichen Formen ein, denn der neue Dictator war der würdige Sohn einer
verworfenen Zeit, kalt und herzlos und aller sittlichen Ueberzeugungen entkleidet.
Aber sie führte noch nicht zur Monarchie, sondern zu einer scheinbaren Wiederher¬
stellung der alten aristokratischen Verfassung, denn Sulla hatte keinen Ehrgeiz
im größern Stil.

„Sulla ist eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen, eine
einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein Sanguiniker,
blauäugig, blond, von auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen Be¬
wegung sich röthenden Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender
Mann, begehrte er vom Leben nichts, als heitern Genuß. Ausgewachsen in
dem Raffinement des gebildeten Lurus, wie er in jener Zeit auch in den min¬
der reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemächtigte er rasch
und behend sich der ganzen Fülle sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbin¬
dung hellenischer Feinheit und römischen Reichthums zu gewähren vermochten.
Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als ange¬
nehmer Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden
in ihm den theilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der Noth,
der sein Gold weit lieber seinen bedrängten Genossen, als seinem reichen Gläu¬
biger gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den
Frauen; selbst in seinen spätern Jahren war er nicht mehr Regent, wenn er
nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zu Tafel setzte. Ein Zug der Ironie,
man könnte vielleicht sagen, der Bonffonerie, geht durch seine ganze Natur.
Noch als Regent befahl er, während er die Versteigerung der Güter der Ge¬
ächteten leitete, für ein ihm überreichtes schlechtes Gedicht zu seinem Preise
dem Versasser eine Verehrung aus der Beute zu verabreichen, unter der Be¬
dingung, daß er gelobe, ihn niemals wieder zu besingen. Als er vor der
Bürgerschaft Ofellas Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten
eine Fabel erzählte von dem Ackersmann und den Läusen. Es ist bezeichnend,
daß er seine Gesellen gern unter den Schauspielern sich auswählte und eS


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/19>, abgerufen am 05.07.2024.