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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Haupt Eingang und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wollte sie mit ihrer Vollen
Meinung herausrücken, so würde sie nur Gelächter oder Unwillen erregen
und wenn sie sich in Gründe und Deductionen einläßt, so ist nicht immer
von vornherein anzunehmen, daß ihre Resultate mit ihren ursprünglichen
Absichten übereinstimmen werden. Indeß verdient ein solches Unternehmen
auch insofern die Aufmerksamkeit des liberalen Puhu'anus, als das welkersche
Lerikon sich in der That verbraucht hat. Der Liberalismus hat seit der Zeit,
da es geschrieben wurde, eine innere sehr tief eingreifende Entwicklung durch¬
gemacht. Er hat sich von den Resultaten der historischen Schule vieles an¬
geeignet und die Abstractionen, mit denen man im ersten Viertel des laufen¬
den Jahrhunderts ausschließlich operirte, haben keine Kraft mehr.

Aus dem ersten Heft, welches uns vorliegt, ist natürlich aus die Haltung
des Ganzen noch kein bestimmter Schluß zu ziehen. Der Name des Heraus¬
gebers und sein Parteistandpunkt ist bekannt genug, indessen hat er selbst viel¬
fältige Entwicklungen durchgemacht und von seiner ehemaligen Rohmerschen
Mystik wird wol bei ihm nicht mehr die Rede sein. Das vorläufige Ver-
zeichniß von Mitarbeitern enthält keineswegs lauter Conservative in der moder¬
nen Bedeutung des Worts; es sind mehre Namen von gutem liberalen Klang
darunter, außerdem mehre Namen, bei denen man nicht recht begreift, in wel¬
chem Zusammenhang sie mit einem staatsrechtlichen Unternehmen stehen, wenn
nicht etwa locale Gründe obwalten. Der einzige Artikel von größerem Um¬
fang, der einen bestimmten Parteistandpunkt einnimmt, ist vom Herausgeber
selbst und handelt über den Adel. Er ist so mäßig gehalten, daß wir ihm in
den meisten Punkten beipflichten können, wenn wir auch namentlich in Bezug
auf die Art und Weise, wie er sich eine Reform des deutschen Adels denkt,
von ihm abweichen. Statt uns indeß auf eine Kritik einzulassen, wollen wir
hier kurz diejenigen Gesichtspunkte zusammenstellen, welche uus bei einer der
wichtigsten Tagesfragen die leitenden zu sein scheinen.

Daß der Adel im Allgemeinen unpopulär ist, nur nicht bei reichen bürger¬
lichen Damen, die gern gnädige Frau werden wollen, ist eine unbestreitbare
Thatsache; vielleicht ist sogar der letztere Umstand ein nicht uuwesentliches
Motiv jener Unpopularität. Als die preußische sogenannte Nationalversamm¬
lung die völlige Abschaffung des Adels in Angriff nahm, erfreute sie sich der
lebhaften Zustimmung der überwiegenden Majorität; ja wir sind überzeugt,
baß unter den Konservativen im Bürgerstande, die aus Furcht vor der Re¬
volution dem ausgesprochenen Absolutismus das Wort reden, daß unter den
^genannten Henkern die überwiegende Mehrheit mit der Abschaffung des Adels
vollkommen einverstanden sein würde. Man kann sich nicht leicht eine kon¬
servativere Natur vorstellen, als den ältern Niebuhr, und doch zieht sich durch
seine Briefe ein geheimer, tiefer, leidenschaftlicher Haß gegen den Adel:


Haupt Eingang und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wollte sie mit ihrer Vollen
Meinung herausrücken, so würde sie nur Gelächter oder Unwillen erregen
und wenn sie sich in Gründe und Deductionen einläßt, so ist nicht immer
von vornherein anzunehmen, daß ihre Resultate mit ihren ursprünglichen
Absichten übereinstimmen werden. Indeß verdient ein solches Unternehmen
auch insofern die Aufmerksamkeit des liberalen Puhu'anus, als das welkersche
Lerikon sich in der That verbraucht hat. Der Liberalismus hat seit der Zeit,
da es geschrieben wurde, eine innere sehr tief eingreifende Entwicklung durch¬
gemacht. Er hat sich von den Resultaten der historischen Schule vieles an¬
geeignet und die Abstractionen, mit denen man im ersten Viertel des laufen¬
den Jahrhunderts ausschließlich operirte, haben keine Kraft mehr.

Aus dem ersten Heft, welches uns vorliegt, ist natürlich aus die Haltung
des Ganzen noch kein bestimmter Schluß zu ziehen. Der Name des Heraus¬
gebers und sein Parteistandpunkt ist bekannt genug, indessen hat er selbst viel¬
fältige Entwicklungen durchgemacht und von seiner ehemaligen Rohmerschen
Mystik wird wol bei ihm nicht mehr die Rede sein. Das vorläufige Ver-
zeichniß von Mitarbeitern enthält keineswegs lauter Conservative in der moder¬
nen Bedeutung des Worts; es sind mehre Namen von gutem liberalen Klang
darunter, außerdem mehre Namen, bei denen man nicht recht begreift, in wel¬
chem Zusammenhang sie mit einem staatsrechtlichen Unternehmen stehen, wenn
nicht etwa locale Gründe obwalten. Der einzige Artikel von größerem Um¬
fang, der einen bestimmten Parteistandpunkt einnimmt, ist vom Herausgeber
selbst und handelt über den Adel. Er ist so mäßig gehalten, daß wir ihm in
den meisten Punkten beipflichten können, wenn wir auch namentlich in Bezug
auf die Art und Weise, wie er sich eine Reform des deutschen Adels denkt,
von ihm abweichen. Statt uns indeß auf eine Kritik einzulassen, wollen wir
hier kurz diejenigen Gesichtspunkte zusammenstellen, welche uus bei einer der
wichtigsten Tagesfragen die leitenden zu sein scheinen.

Daß der Adel im Allgemeinen unpopulär ist, nur nicht bei reichen bürger¬
lichen Damen, die gern gnädige Frau werden wollen, ist eine unbestreitbare
Thatsache; vielleicht ist sogar der letztere Umstand ein nicht uuwesentliches
Motiv jener Unpopularität. Als die preußische sogenannte Nationalversamm¬
lung die völlige Abschaffung des Adels in Angriff nahm, erfreute sie sich der
lebhaften Zustimmung der überwiegenden Majorität; ja wir sind überzeugt,
baß unter den Konservativen im Bürgerstande, die aus Furcht vor der Re¬
volution dem ausgesprochenen Absolutismus das Wort reden, daß unter den
^genannten Henkern die überwiegende Mehrheit mit der Abschaffung des Adels
vollkommen einverstanden sein würde. Man kann sich nicht leicht eine kon¬
servativere Natur vorstellen, als den ältern Niebuhr, und doch zieht sich durch
seine Briefe ein geheimer, tiefer, leidenschaftlicher Haß gegen den Adel:


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[0189] Haupt Eingang und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wollte sie mit ihrer Vollen Meinung herausrücken, so würde sie nur Gelächter oder Unwillen erregen und wenn sie sich in Gründe und Deductionen einläßt, so ist nicht immer von vornherein anzunehmen, daß ihre Resultate mit ihren ursprünglichen Absichten übereinstimmen werden. Indeß verdient ein solches Unternehmen auch insofern die Aufmerksamkeit des liberalen Puhu'anus, als das welkersche Lerikon sich in der That verbraucht hat. Der Liberalismus hat seit der Zeit, da es geschrieben wurde, eine innere sehr tief eingreifende Entwicklung durch¬ gemacht. Er hat sich von den Resultaten der historischen Schule vieles an¬ geeignet und die Abstractionen, mit denen man im ersten Viertel des laufen¬ den Jahrhunderts ausschließlich operirte, haben keine Kraft mehr. Aus dem ersten Heft, welches uns vorliegt, ist natürlich aus die Haltung des Ganzen noch kein bestimmter Schluß zu ziehen. Der Name des Heraus¬ gebers und sein Parteistandpunkt ist bekannt genug, indessen hat er selbst viel¬ fältige Entwicklungen durchgemacht und von seiner ehemaligen Rohmerschen Mystik wird wol bei ihm nicht mehr die Rede sein. Das vorläufige Ver- zeichniß von Mitarbeitern enthält keineswegs lauter Conservative in der moder¬ nen Bedeutung des Worts; es sind mehre Namen von gutem liberalen Klang darunter, außerdem mehre Namen, bei denen man nicht recht begreift, in wel¬ chem Zusammenhang sie mit einem staatsrechtlichen Unternehmen stehen, wenn nicht etwa locale Gründe obwalten. Der einzige Artikel von größerem Um¬ fang, der einen bestimmten Parteistandpunkt einnimmt, ist vom Herausgeber selbst und handelt über den Adel. Er ist so mäßig gehalten, daß wir ihm in den meisten Punkten beipflichten können, wenn wir auch namentlich in Bezug auf die Art und Weise, wie er sich eine Reform des deutschen Adels denkt, von ihm abweichen. Statt uns indeß auf eine Kritik einzulassen, wollen wir hier kurz diejenigen Gesichtspunkte zusammenstellen, welche uus bei einer der wichtigsten Tagesfragen die leitenden zu sein scheinen. Daß der Adel im Allgemeinen unpopulär ist, nur nicht bei reichen bürger¬ lichen Damen, die gern gnädige Frau werden wollen, ist eine unbestreitbare Thatsache; vielleicht ist sogar der letztere Umstand ein nicht uuwesentliches Motiv jener Unpopularität. Als die preußische sogenannte Nationalversamm¬ lung die völlige Abschaffung des Adels in Angriff nahm, erfreute sie sich der lebhaften Zustimmung der überwiegenden Majorität; ja wir sind überzeugt, baß unter den Konservativen im Bürgerstande, die aus Furcht vor der Re¬ volution dem ausgesprochenen Absolutismus das Wort reden, daß unter den ^genannten Henkern die überwiegende Mehrheit mit der Abschaffung des Adels vollkommen einverstanden sein würde. Man kann sich nicht leicht eine kon¬ servativere Natur vorstellen, als den ältern Niebuhr, und doch zieht sich durch seine Briefe ein geheimer, tiefer, leidenschaftlicher Haß gegen den Adel:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/189>, abgerufen am 27.07.2024.