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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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ter und das Gefühl der ernsten, gemeinsamen Noth in den Zeiten der fran¬
zösischen Kriege, Fast jeder von den Dichtern und Philosophen, die sich damals
an der Literatur betheiligten, trug sein Scherflein zur Wiederherstellung der
Kirche bei. Bei weitem die wichtigsten Beiträge aber erfolgten von Hegel und
Schleiermacher.

Hegel entdeckte durch seine Speculation den tiefen Inhalt der christlichen
Vorstellungen. Es war natürlich, daß man in der ersten Freude über diese
Entdeckung in den Wahn verfiel, das Dogma und die Speculation gingen
wirklich an allen Punkten zusammen und wären nur der Form nach verschie¬
den, daß man also den ganzen Inhalt der Vorstellung ohne kritische Prü¬
fung in den Begriff verlegte. Mit seinem Widerwillen gegen allen abstracten
Idealismus stellte sich Hegel entschieden auf Seite der Restauration. Die
Kehrseite jenes Positivismus war eine Begriffsvergötterung, welche der Ge¬
schichte alles Blut aussog, so daß nicht lebendige Charaktere, sondern todte
Begriffsformen die Ereignisse bestimmten. Indem Hegel in seiner Construction
mit dem ganz Allgemeinen und Unbestimmten begann, mußte auch der ur¬
sprüngliche Gott bei ihm als das Leere und Inhaltlose erscheinen, und eine Er¬
füllung trat erst ein, als er sich in dem Menschen entfaltete. In dieser Be¬
ziehung ist die Lehre der Junghegelianer, daß der Mensch die wahre Dar¬
stellung Gottes sei, in Hegel bereits dedicirt.-- Wir bemevken zu dieser Dar¬
stellung , daß in der Entwicklung der hegelschen Philosophie der Fortschritt
vom Positivismus zur Negation nicht ganz so in gerader Linie stattfand, als
es hier angegeben wird. Die Richtung der Restauration Me nicht in Hegels
erste Periode, sondern erst in die zweite.

Einen umgekehrten Verlauf nahm die schleiermachersche Theologie. Sie
begann kritisch zersetzend und pantheistisch und endigte im christlichen Glauben.
-- In Schleiermachers erstem Auftreten zeigt sich fast nur das ästhetische Be¬
dürfniß nach religiösen Gefühlen, dieselbe Virtuosität der Empfindung, welche
auch die religiösen Versuche der romantischen Schule charakterisiert. Schleier¬
macher ging nicht von der Theologie aus, sondern von der weltlichen, der
Theologie entgegengesetzten Bildung; aber er hat eine nachhaltigere Wirkung
ausgeübt, als seine Vorgänger, Herder, Jacobi u. f. w., weil er es''verstand,
die Ströme dieser Bildung wirklich in das Bett der Theologie abzuleiten und
so eine innere Reform der Theologie vorzubereiten, während jene außerhalb
der Theologie stehen blieben. "Schleiermacher war im Leben wie in der Wissen¬
schaft der Repräsentant der Subjektivität, der Mann, der rastlosesten Beweg¬
lichkeit, des beißendsten Witzes, wie deS erregbarsten Gefühls. Es war in
ihm eine wunderbare Federkraft des Geistes, eine dialektische Viriuosität nicht
allein des Wissens, sondern auch deS Wollens. Aber bei dieser funkensprühen-
den Dialektik, bei dieser rastlosen Beweglichkeit seines sittlichen Strebens offen-


ter und das Gefühl der ernsten, gemeinsamen Noth in den Zeiten der fran¬
zösischen Kriege, Fast jeder von den Dichtern und Philosophen, die sich damals
an der Literatur betheiligten, trug sein Scherflein zur Wiederherstellung der
Kirche bei. Bei weitem die wichtigsten Beiträge aber erfolgten von Hegel und
Schleiermacher.

Hegel entdeckte durch seine Speculation den tiefen Inhalt der christlichen
Vorstellungen. Es war natürlich, daß man in der ersten Freude über diese
Entdeckung in den Wahn verfiel, das Dogma und die Speculation gingen
wirklich an allen Punkten zusammen und wären nur der Form nach verschie¬
den, daß man also den ganzen Inhalt der Vorstellung ohne kritische Prü¬
fung in den Begriff verlegte. Mit seinem Widerwillen gegen allen abstracten
Idealismus stellte sich Hegel entschieden auf Seite der Restauration. Die
Kehrseite jenes Positivismus war eine Begriffsvergötterung, welche der Ge¬
schichte alles Blut aussog, so daß nicht lebendige Charaktere, sondern todte
Begriffsformen die Ereignisse bestimmten. Indem Hegel in seiner Construction
mit dem ganz Allgemeinen und Unbestimmten begann, mußte auch der ur¬
sprüngliche Gott bei ihm als das Leere und Inhaltlose erscheinen, und eine Er¬
füllung trat erst ein, als er sich in dem Menschen entfaltete. In dieser Be¬
ziehung ist die Lehre der Junghegelianer, daß der Mensch die wahre Dar¬
stellung Gottes sei, in Hegel bereits dedicirt.— Wir bemevken zu dieser Dar¬
stellung , daß in der Entwicklung der hegelschen Philosophie der Fortschritt
vom Positivismus zur Negation nicht ganz so in gerader Linie stattfand, als
es hier angegeben wird. Die Richtung der Restauration Me nicht in Hegels
erste Periode, sondern erst in die zweite.

Einen umgekehrten Verlauf nahm die schleiermachersche Theologie. Sie
begann kritisch zersetzend und pantheistisch und endigte im christlichen Glauben.
— In Schleiermachers erstem Auftreten zeigt sich fast nur das ästhetische Be¬
dürfniß nach religiösen Gefühlen, dieselbe Virtuosität der Empfindung, welche
auch die religiösen Versuche der romantischen Schule charakterisiert. Schleier¬
macher ging nicht von der Theologie aus, sondern von der weltlichen, der
Theologie entgegengesetzten Bildung; aber er hat eine nachhaltigere Wirkung
ausgeübt, als seine Vorgänger, Herder, Jacobi u. f. w., weil er es''verstand,
die Ströme dieser Bildung wirklich in das Bett der Theologie abzuleiten und
so eine innere Reform der Theologie vorzubereiten, während jene außerhalb
der Theologie stehen blieben. „Schleiermacher war im Leben wie in der Wissen¬
schaft der Repräsentant der Subjektivität, der Mann, der rastlosesten Beweg¬
lichkeit, des beißendsten Witzes, wie deS erregbarsten Gefühls. Es war in
ihm eine wunderbare Federkraft des Geistes, eine dialektische Viriuosität nicht
allein des Wissens, sondern auch deS Wollens. Aber bei dieser funkensprühen-
den Dialektik, bei dieser rastlosen Beweglichkeit seines sittlichen Strebens offen-


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[0180] ter und das Gefühl der ernsten, gemeinsamen Noth in den Zeiten der fran¬ zösischen Kriege, Fast jeder von den Dichtern und Philosophen, die sich damals an der Literatur betheiligten, trug sein Scherflein zur Wiederherstellung der Kirche bei. Bei weitem die wichtigsten Beiträge aber erfolgten von Hegel und Schleiermacher. Hegel entdeckte durch seine Speculation den tiefen Inhalt der christlichen Vorstellungen. Es war natürlich, daß man in der ersten Freude über diese Entdeckung in den Wahn verfiel, das Dogma und die Speculation gingen wirklich an allen Punkten zusammen und wären nur der Form nach verschie¬ den, daß man also den ganzen Inhalt der Vorstellung ohne kritische Prü¬ fung in den Begriff verlegte. Mit seinem Widerwillen gegen allen abstracten Idealismus stellte sich Hegel entschieden auf Seite der Restauration. Die Kehrseite jenes Positivismus war eine Begriffsvergötterung, welche der Ge¬ schichte alles Blut aussog, so daß nicht lebendige Charaktere, sondern todte Begriffsformen die Ereignisse bestimmten. Indem Hegel in seiner Construction mit dem ganz Allgemeinen und Unbestimmten begann, mußte auch der ur¬ sprüngliche Gott bei ihm als das Leere und Inhaltlose erscheinen, und eine Er¬ füllung trat erst ein, als er sich in dem Menschen entfaltete. In dieser Be¬ ziehung ist die Lehre der Junghegelianer, daß der Mensch die wahre Dar¬ stellung Gottes sei, in Hegel bereits dedicirt.— Wir bemevken zu dieser Dar¬ stellung , daß in der Entwicklung der hegelschen Philosophie der Fortschritt vom Positivismus zur Negation nicht ganz so in gerader Linie stattfand, als es hier angegeben wird. Die Richtung der Restauration Me nicht in Hegels erste Periode, sondern erst in die zweite. Einen umgekehrten Verlauf nahm die schleiermachersche Theologie. Sie begann kritisch zersetzend und pantheistisch und endigte im christlichen Glauben. — In Schleiermachers erstem Auftreten zeigt sich fast nur das ästhetische Be¬ dürfniß nach religiösen Gefühlen, dieselbe Virtuosität der Empfindung, welche auch die religiösen Versuche der romantischen Schule charakterisiert. Schleier¬ macher ging nicht von der Theologie aus, sondern von der weltlichen, der Theologie entgegengesetzten Bildung; aber er hat eine nachhaltigere Wirkung ausgeübt, als seine Vorgänger, Herder, Jacobi u. f. w., weil er es''verstand, die Ströme dieser Bildung wirklich in das Bett der Theologie abzuleiten und so eine innere Reform der Theologie vorzubereiten, während jene außerhalb der Theologie stehen blieben. „Schleiermacher war im Leben wie in der Wissen¬ schaft der Repräsentant der Subjektivität, der Mann, der rastlosesten Beweg¬ lichkeit, des beißendsten Witzes, wie deS erregbarsten Gefühls. Es war in ihm eine wunderbare Federkraft des Geistes, eine dialektische Viriuosität nicht allein des Wissens, sondern auch deS Wollens. Aber bei dieser funkensprühen- den Dialektik, bei dieser rastlosen Beweglichkeit seines sittlichen Strebens offen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/180>, abgerufen am 27.07.2024.