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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Conversation machend, und aus einer Kapelle, wo Messe gelesen wurde, ertönte
die Glocke, dann wieder Orgel und Gesang: -- eben nur die ungeheure Größe
dieser Kirche machte dieses Leben und Treiben, wie in einem kleinen Stadt¬
theile, möglich, aber freilich wollte mir der Art Treiben, nach meinen Begriffen
der Kirche, nicht recht gefallen.




Korrespondenzen.

Was die Negierung von den Ständen will, wissen wir jetzt.
Die Verfassung soll nur im Finanzcapitel durchgreifend abgeändert werden. Das
hannoversche Finanzrecht soll die 1848 entstandenen Beeinträchtigungen der könig-
lichen Ansprüche und der freien Bewegung der Regierung wieder ausscheiden. Für
die Ausdehnung des Heerwesens sowol in seiner numerischen Stärke als in seiner
technischen Ausstattung, und für die Erhöhung der Beamtengehalte sollen namhafte
Summen mehr bewilligt werden. In allen diesen Punkten hofft die Reg-ierung
steh "nicht fruchtlos an die Stände zu wenden", wie der König in jenem die
Eröffnungsrede ungefähr wiederholenden Trinkspruch sagte, mit dem er am S. April
bei seiner eignen Tafel die "wahren landständischen Vertreter seines Königreichs"
begrüßte und Gott bat, ihre Herzen zu lenken, damit "so in ruhigen wie in be¬
wegten Zeiten alle sür einen um den welfischen Thron sich scharen zu seiner Stär¬
kung und zu seinem Schutz."

Als die königliche Verordnung vom 1. August 1833 im Octroyirungswege
vorläufig die landständische Verfassung nach dem Landesvcrfassungsgesetz von 18iO
wiederherstellte, hielt sie es noch sür nöthig, zu versprechen, daß den nächsten Stän¬
den Abänderungsvorschläge im Sinn der veränderten Zeit vorgelegt werden sollten.
Die restaurirte Adclskammer, dachte man, würde wenigstens eine Anzahl von Ver¬
tretern der nichtadligen Grundbesitzer in sich aufnehmen, und das Wahlrecht zur
"weiten Kammer über die jetzigen beispiellos engen Schranken hinaus erweitert
werden. Mau täuschte sich, denn die Verfaffnngsvorlagc der Regierung ist ihrem
wateriellen Inhalt nach die unbedeutendste von allen. Anstatt den Wahlkörper der
ersten Kammer auf eine irgend zahlreichere und bedeutendere Menge als die paar
hundert Rittergutsbesitzer des Königreichs zu erstrecken, will die Regierung blos
dem König das Recht zur Ernennung von- zwölf Mitgliedern der ersten Kammer
beigelegt sehen. Die zweite Kammer wird dem ministeriellen Entwurf zufolge gar
keine wesentliche Veränderung erfahren. Was aber damit gegeben- ist, soll gegen
gesetzliche Umgestaltung durch die stärksten Vorkehrungen gesichert werden. Eine
^erfassungsbestimmung wird, wenn es nach dem Willen des Ministeriums geht, nur
dadurch abgeändert werden können, daß auf zwei nacheinander folgenden Landtagen
beiden Kammern bei Anwesenheit von drei Vierteln aller Mitglieder zwei Drittel
der Anwesenden sich für sie erklären. In einer Zeit, die so rasch lebt wie die
Gegenwart, ist die Aufrichtung solcher Schranken um das zufällig bestehende Recbts-
Scbäude herum, zumal wenn dieses so wenig von der allgemeinen Sympathie der
-^ewohner erfüllt ist, wie augenblicklich in Hannover, nichts als eine Anweisung an
le unzufriedene Masse, ihre Hoffnung besserer Zustande auf ein unvorhergesehenes
^reigniß zu richten.


Conversation machend, und aus einer Kapelle, wo Messe gelesen wurde, ertönte
die Glocke, dann wieder Orgel und Gesang: — eben nur die ungeheure Größe
dieser Kirche machte dieses Leben und Treiben, wie in einem kleinen Stadt¬
theile, möglich, aber freilich wollte mir der Art Treiben, nach meinen Begriffen
der Kirche, nicht recht gefallen.




Korrespondenzen.

Was die Negierung von den Ständen will, wissen wir jetzt.
Die Verfassung soll nur im Finanzcapitel durchgreifend abgeändert werden. Das
hannoversche Finanzrecht soll die 1848 entstandenen Beeinträchtigungen der könig-
lichen Ansprüche und der freien Bewegung der Regierung wieder ausscheiden. Für
die Ausdehnung des Heerwesens sowol in seiner numerischen Stärke als in seiner
technischen Ausstattung, und für die Erhöhung der Beamtengehalte sollen namhafte
Summen mehr bewilligt werden. In allen diesen Punkten hofft die Reg-ierung
steh „nicht fruchtlos an die Stände zu wenden", wie der König in jenem die
Eröffnungsrede ungefähr wiederholenden Trinkspruch sagte, mit dem er am S. April
bei seiner eignen Tafel die „wahren landständischen Vertreter seines Königreichs"
begrüßte und Gott bat, ihre Herzen zu lenken, damit „so in ruhigen wie in be¬
wegten Zeiten alle sür einen um den welfischen Thron sich scharen zu seiner Stär¬
kung und zu seinem Schutz."

Als die königliche Verordnung vom 1. August 1833 im Octroyirungswege
vorläufig die landständische Verfassung nach dem Landesvcrfassungsgesetz von 18iO
wiederherstellte, hielt sie es noch sür nöthig, zu versprechen, daß den nächsten Stän¬
den Abänderungsvorschläge im Sinn der veränderten Zeit vorgelegt werden sollten.
Die restaurirte Adclskammer, dachte man, würde wenigstens eine Anzahl von Ver¬
tretern der nichtadligen Grundbesitzer in sich aufnehmen, und das Wahlrecht zur
»weiten Kammer über die jetzigen beispiellos engen Schranken hinaus erweitert
werden. Mau täuschte sich, denn die Verfaffnngsvorlagc der Regierung ist ihrem
wateriellen Inhalt nach die unbedeutendste von allen. Anstatt den Wahlkörper der
ersten Kammer auf eine irgend zahlreichere und bedeutendere Menge als die paar
hundert Rittergutsbesitzer des Königreichs zu erstrecken, will die Regierung blos
dem König das Recht zur Ernennung von- zwölf Mitgliedern der ersten Kammer
beigelegt sehen. Die zweite Kammer wird dem ministeriellen Entwurf zufolge gar
keine wesentliche Veränderung erfahren. Was aber damit gegeben- ist, soll gegen
gesetzliche Umgestaltung durch die stärksten Vorkehrungen gesichert werden. Eine
^erfassungsbestimmung wird, wenn es nach dem Willen des Ministeriums geht, nur
dadurch abgeändert werden können, daß auf zwei nacheinander folgenden Landtagen
beiden Kammern bei Anwesenheit von drei Vierteln aller Mitglieder zwei Drittel
der Anwesenden sich für sie erklären. In einer Zeit, die so rasch lebt wie die
Gegenwart, ist die Aufrichtung solcher Schranken um das zufällig bestehende Recbts-
Scbäude herum, zumal wenn dieses so wenig von der allgemeinen Sympathie der
-^ewohner erfüllt ist, wie augenblicklich in Hannover, nichts als eine Anweisung an
le unzufriedene Masse, ihre Hoffnung besserer Zustande auf ein unvorhergesehenes
^reigniß zu richten.


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[0165] Conversation machend, und aus einer Kapelle, wo Messe gelesen wurde, ertönte die Glocke, dann wieder Orgel und Gesang: — eben nur die ungeheure Größe dieser Kirche machte dieses Leben und Treiben, wie in einem kleinen Stadt¬ theile, möglich, aber freilich wollte mir der Art Treiben, nach meinen Begriffen der Kirche, nicht recht gefallen. Korrespondenzen. Was die Negierung von den Ständen will, wissen wir jetzt. Die Verfassung soll nur im Finanzcapitel durchgreifend abgeändert werden. Das hannoversche Finanzrecht soll die 1848 entstandenen Beeinträchtigungen der könig- lichen Ansprüche und der freien Bewegung der Regierung wieder ausscheiden. Für die Ausdehnung des Heerwesens sowol in seiner numerischen Stärke als in seiner technischen Ausstattung, und für die Erhöhung der Beamtengehalte sollen namhafte Summen mehr bewilligt werden. In allen diesen Punkten hofft die Reg-ierung steh „nicht fruchtlos an die Stände zu wenden", wie der König in jenem die Eröffnungsrede ungefähr wiederholenden Trinkspruch sagte, mit dem er am S. April bei seiner eignen Tafel die „wahren landständischen Vertreter seines Königreichs" begrüßte und Gott bat, ihre Herzen zu lenken, damit „so in ruhigen wie in be¬ wegten Zeiten alle sür einen um den welfischen Thron sich scharen zu seiner Stär¬ kung und zu seinem Schutz." Als die königliche Verordnung vom 1. August 1833 im Octroyirungswege vorläufig die landständische Verfassung nach dem Landesvcrfassungsgesetz von 18iO wiederherstellte, hielt sie es noch sür nöthig, zu versprechen, daß den nächsten Stän¬ den Abänderungsvorschläge im Sinn der veränderten Zeit vorgelegt werden sollten. Die restaurirte Adclskammer, dachte man, würde wenigstens eine Anzahl von Ver¬ tretern der nichtadligen Grundbesitzer in sich aufnehmen, und das Wahlrecht zur »weiten Kammer über die jetzigen beispiellos engen Schranken hinaus erweitert werden. Mau täuschte sich, denn die Verfaffnngsvorlagc der Regierung ist ihrem wateriellen Inhalt nach die unbedeutendste von allen. Anstatt den Wahlkörper der ersten Kammer auf eine irgend zahlreichere und bedeutendere Menge als die paar hundert Rittergutsbesitzer des Königreichs zu erstrecken, will die Regierung blos dem König das Recht zur Ernennung von- zwölf Mitgliedern der ersten Kammer beigelegt sehen. Die zweite Kammer wird dem ministeriellen Entwurf zufolge gar keine wesentliche Veränderung erfahren. Was aber damit gegeben- ist, soll gegen gesetzliche Umgestaltung durch die stärksten Vorkehrungen gesichert werden. Eine ^erfassungsbestimmung wird, wenn es nach dem Willen des Ministeriums geht, nur dadurch abgeändert werden können, daß auf zwei nacheinander folgenden Landtagen beiden Kammern bei Anwesenheit von drei Vierteln aller Mitglieder zwei Drittel der Anwesenden sich für sie erklären. In einer Zeit, die so rasch lebt wie die Gegenwart, ist die Aufrichtung solcher Schranken um das zufällig bestehende Recbts- Scbäude herum, zumal wenn dieses so wenig von der allgemeinen Sympathie der -^ewohner erfüllt ist, wie augenblicklich in Hannover, nichts als eine Anweisung an le unzufriedene Masse, ihre Hoffnung besserer Zustande auf ein unvorhergesehenes ^reigniß zu richten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/165>, abgerufen am 05.07.2024.