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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Fürsten. Die russischen Staatsmänner werden Oestreich die Rolle, die es in
dieser Angelegenheit gespielt, nie vergessen, und die östreichischen Staatsmänner
wissen das sehr gut und werden danach ihre Rechnung machen. Die Scheu
vor Rußland hat sich verloren, und wenn auch noch die Kreuzzeitung den Kaiser
Nikolaus wie einen Vater betrauert -- Kaiser Nikolaus lebt nicht mehr und
auch Neupreußen wird versuchen müssen, aus eignen Füßen zu stehen. Viel¬
leicht wird sich sogar eine Gelegenheit darbieten, daß auch wir uns daran er¬
innern, den Grenzverkehr etwas zu reguliren.

Wenn Rußland seinen Zweck nicht erreicht hat, so können die Westmachte
das ebensowenig von sich rühmen. Der Mann ist wirklich krank, die Diagnose
des Kaisers Nikolaus war vollkommen richtig; ja er ist kränker als je, und die
Zeit ist nicht sern, wo ein neuer Versuch gemacht, die Civilisation mit der
Barbarei in einen neuen Conflict geführt werden muß. Bis dahin haben wir
Zeit, uns zu stärken, um die glückliche Gelegenheit besser benutzen zu können,
als wir es dies Mal gethan.

Das Bündniß Englands mit Frankreich wird zwar daS Interesse, aus dem
es entsprungen ist, nicht unbedingt überdauern, die Reibungen werden nicht
ausbleiben, schon jetzt macht sich in der englischen Presse eine gewisse Verstuu-
mung fühlbar und da man diesseit des Kanals sehr leicht zu reizen ist, so kann
man eher das Wachsthum, als das Abnehmen dieses Mißbehagens voraus¬
setzen. Aber das Bündniß zwischen England und Frankreich ist jetzt eine histo¬
rische Thatsache geworden, die in der Erinnerung fortwuchern und fruchtbare
Keime hervorbringen wird. Daß jenes Bündniß im Interesse beider Länder
lag, hat schon die Julimonarchie eingesehen, aber damals beschränkte sich die
entslUe eorclials auf den freundlichen Verkehr zweier Familien. Jetzt haben
die beiden Heere gegen den gemeinschaftlichen Feind gefochten und man mag
von der Stimmung und Erinnerung der Völker so viel oder so wenig halten,
als man will, eS ist jedenfalls ein nicht gering anzuschlagendes Moment, vor¬
ausgesetzt, daß ihm die wirklichen Interessen nicht in den Weg treten; und das
ist nicht der Fall. Die Interessen der beiden Länder gehen in der That Hand
in Hand. Das eine kann- ohne das andre seine Macht nicht frei entwickeln
und die Regenten der beiden Länder denken frei genug, um große Verhältnisse
groß aufzufassen. Niemand aber hat ein größeres Interesse an der Aufrecht¬
haltung dieses Bündnisses, als Deutschland, denn so lange dasselbe fortbesteht,
wird Frankreich nie daran denken können, seine ehrgeizigen Absichten gegen
Deutschland auszuführen, und wenn die Begierde nach dem Rhein noch immer
vorhanden ist, die Wachsamkeit der Engländer wird es'unmöglich machen,
dieser Begierde Folge zu leisten.

Aber das.Bündniß Englands mit Frankreich heißt nicht so viel, als ein
Bündniß mit dem Bonapartismus, und das ist ein Punkt, auf den wir heute


Fürsten. Die russischen Staatsmänner werden Oestreich die Rolle, die es in
dieser Angelegenheit gespielt, nie vergessen, und die östreichischen Staatsmänner
wissen das sehr gut und werden danach ihre Rechnung machen. Die Scheu
vor Rußland hat sich verloren, und wenn auch noch die Kreuzzeitung den Kaiser
Nikolaus wie einen Vater betrauert — Kaiser Nikolaus lebt nicht mehr und
auch Neupreußen wird versuchen müssen, aus eignen Füßen zu stehen. Viel¬
leicht wird sich sogar eine Gelegenheit darbieten, daß auch wir uns daran er¬
innern, den Grenzverkehr etwas zu reguliren.

Wenn Rußland seinen Zweck nicht erreicht hat, so können die Westmachte
das ebensowenig von sich rühmen. Der Mann ist wirklich krank, die Diagnose
des Kaisers Nikolaus war vollkommen richtig; ja er ist kränker als je, und die
Zeit ist nicht sern, wo ein neuer Versuch gemacht, die Civilisation mit der
Barbarei in einen neuen Conflict geführt werden muß. Bis dahin haben wir
Zeit, uns zu stärken, um die glückliche Gelegenheit besser benutzen zu können,
als wir es dies Mal gethan.

Das Bündniß Englands mit Frankreich wird zwar daS Interesse, aus dem
es entsprungen ist, nicht unbedingt überdauern, die Reibungen werden nicht
ausbleiben, schon jetzt macht sich in der englischen Presse eine gewisse Verstuu-
mung fühlbar und da man diesseit des Kanals sehr leicht zu reizen ist, so kann
man eher das Wachsthum, als das Abnehmen dieses Mißbehagens voraus¬
setzen. Aber das Bündniß zwischen England und Frankreich ist jetzt eine histo¬
rische Thatsache geworden, die in der Erinnerung fortwuchern und fruchtbare
Keime hervorbringen wird. Daß jenes Bündniß im Interesse beider Länder
lag, hat schon die Julimonarchie eingesehen, aber damals beschränkte sich die
entslUe eorclials auf den freundlichen Verkehr zweier Familien. Jetzt haben
die beiden Heere gegen den gemeinschaftlichen Feind gefochten und man mag
von der Stimmung und Erinnerung der Völker so viel oder so wenig halten,
als man will, eS ist jedenfalls ein nicht gering anzuschlagendes Moment, vor¬
ausgesetzt, daß ihm die wirklichen Interessen nicht in den Weg treten; und das
ist nicht der Fall. Die Interessen der beiden Länder gehen in der That Hand
in Hand. Das eine kann- ohne das andre seine Macht nicht frei entwickeln
und die Regenten der beiden Länder denken frei genug, um große Verhältnisse
groß aufzufassen. Niemand aber hat ein größeres Interesse an der Aufrecht¬
haltung dieses Bündnisses, als Deutschland, denn so lange dasselbe fortbesteht,
wird Frankreich nie daran denken können, seine ehrgeizigen Absichten gegen
Deutschland auszuführen, und wenn die Begierde nach dem Rhein noch immer
vorhanden ist, die Wachsamkeit der Engländer wird es'unmöglich machen,
dieser Begierde Folge zu leisten.

Aber das.Bündniß Englands mit Frankreich heißt nicht so viel, als ein
Bündniß mit dem Bonapartismus, und das ist ein Punkt, auf den wir heute


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[0154] Fürsten. Die russischen Staatsmänner werden Oestreich die Rolle, die es in dieser Angelegenheit gespielt, nie vergessen, und die östreichischen Staatsmänner wissen das sehr gut und werden danach ihre Rechnung machen. Die Scheu vor Rußland hat sich verloren, und wenn auch noch die Kreuzzeitung den Kaiser Nikolaus wie einen Vater betrauert — Kaiser Nikolaus lebt nicht mehr und auch Neupreußen wird versuchen müssen, aus eignen Füßen zu stehen. Viel¬ leicht wird sich sogar eine Gelegenheit darbieten, daß auch wir uns daran er¬ innern, den Grenzverkehr etwas zu reguliren. Wenn Rußland seinen Zweck nicht erreicht hat, so können die Westmachte das ebensowenig von sich rühmen. Der Mann ist wirklich krank, die Diagnose des Kaisers Nikolaus war vollkommen richtig; ja er ist kränker als je, und die Zeit ist nicht sern, wo ein neuer Versuch gemacht, die Civilisation mit der Barbarei in einen neuen Conflict geführt werden muß. Bis dahin haben wir Zeit, uns zu stärken, um die glückliche Gelegenheit besser benutzen zu können, als wir es dies Mal gethan. Das Bündniß Englands mit Frankreich wird zwar daS Interesse, aus dem es entsprungen ist, nicht unbedingt überdauern, die Reibungen werden nicht ausbleiben, schon jetzt macht sich in der englischen Presse eine gewisse Verstuu- mung fühlbar und da man diesseit des Kanals sehr leicht zu reizen ist, so kann man eher das Wachsthum, als das Abnehmen dieses Mißbehagens voraus¬ setzen. Aber das Bündniß zwischen England und Frankreich ist jetzt eine histo¬ rische Thatsache geworden, die in der Erinnerung fortwuchern und fruchtbare Keime hervorbringen wird. Daß jenes Bündniß im Interesse beider Länder lag, hat schon die Julimonarchie eingesehen, aber damals beschränkte sich die entslUe eorclials auf den freundlichen Verkehr zweier Familien. Jetzt haben die beiden Heere gegen den gemeinschaftlichen Feind gefochten und man mag von der Stimmung und Erinnerung der Völker so viel oder so wenig halten, als man will, eS ist jedenfalls ein nicht gering anzuschlagendes Moment, vor¬ ausgesetzt, daß ihm die wirklichen Interessen nicht in den Weg treten; und das ist nicht der Fall. Die Interessen der beiden Länder gehen in der That Hand in Hand. Das eine kann- ohne das andre seine Macht nicht frei entwickeln und die Regenten der beiden Länder denken frei genug, um große Verhältnisse groß aufzufassen. Niemand aber hat ein größeres Interesse an der Aufrecht¬ haltung dieses Bündnisses, als Deutschland, denn so lange dasselbe fortbesteht, wird Frankreich nie daran denken können, seine ehrgeizigen Absichten gegen Deutschland auszuführen, und wenn die Begierde nach dem Rhein noch immer vorhanden ist, die Wachsamkeit der Engländer wird es'unmöglich machen, dieser Begierde Folge zu leisten. Aber das.Bündniß Englands mit Frankreich heißt nicht so viel, als ein Bündniß mit dem Bonapartismus, und das ist ein Punkt, auf den wir heute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/154>, abgerufen am 27.07.2024.