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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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berichtet; und so ist eS mit der Aufspürung geheimer Orte, die an gewissen
räthselhaften Zeichen erkannt werden u. s. w. Kurz, es ist nicht die schaffende
Phantasie, die sich geltend macht, sondern die scharfsinnige Combination; eS
ist eine Mischung von trockener Prosa und wilder Phantastik, wie sie uns
zuweilen bei Balzac begegnet, nur daß dieser unendlich mehr Bildung und
Anschauung hat. Es liegt doch ein gewisses Vergnügen am Absurden darin, und
das Bestreben, das Unglaubliche plausibel zu machen. -- Die darauffolgenden
Criminalgeschichten sind mit großem Talent erzählt. In diesem Genre kommen
überhaupt die vorhin erwähnten Eigenschaften am meisten zur Geltung. Frei¬
lich möchte die Berechtigung der ganzen Gattung sehr zweifelhaft sein. --
Ganz unerhört ist die Erfindung in einem Roman: die Geschichte deS Arthur
Gordon Pym von Nantucket, enthaltend die Details einer Empörung und
schauderhaften Metzelei am Bord der amerikanischen Brigg Grambus auf dem
Wege zur Südsee, Juni 1827, mit einem Bericht über die Wiedereinnähme
des Schiffs durch die Ueberlebenden, ihren Schiffbruch und furchtbare Hungers¬
noth, ihre Befreiung durch den britischen Schooner Jane Guy, die kurze
Kreuzfahrt dieses letzteren Fahrzeugs in dem antarktischen Ocean, ihre Ge¬
fangenschaft und die Niedermetzelung ihrer Mannschaft in einer Inselgruppe
im 84. Grad südlicher Breite, nebst den unglaublichen Abenteuern und.Ent¬
deckungen noch weiter südlich, wozu dieses traurige Schicksal Veranlassung
gab. -- Wenn man bedenkt, daß das alles erfunden ist, so muß man der
Mühe und Geschicklichkeit des Verfassers, die trockene, geschäftsmäßige Form
eines Schiffstagebuchs beizubehalten, alle Anerkennung zu Theil werden lassen;
wenn man sich aber nach dem Zweck fragt, wenn man die völlige Absurdität
mancher von diesen mit der größten Breite ausgeführten Erfindungen erwägt
(z. B. die Aufsindung einer Reihe unterirdischer Grotten in dem eingebildeten
Eiland Tsalal, die äthiopische, ägyptische und arabische Buchstaben bedeuten
und die seltsamsten Geheimnisse ausdrücken sollen; wenn man ferner auf das
Zucken des Grauens Aufmerksamkeit wendet, des Grauens vor einem unbe¬
stimmten Etwas, welches sich in schnell verschwindenden Phantasiebildern aus¬
drückt: -- so steht einem im eigentlichsten Sinn deS Worts der Verstand still. --
Aber auch dies wird noch übertroffen durch das sogenannte prosaische Gedicht:
Eureka, ein Versuch über daS materielle und geistige Universum, in welchem
der Verfasser den humboldtschen Kosmos zu ergänzen und folgenden Lehrsatz
durchzuführen sucht: In der ursprünglichen Einheit des ersten Wesens liegt
die secundäre Ursache aller Dinge nebst dem Keim ihrer unvermeidlichen Ver¬
nichtung. Zum Schluß kommt er zu der Anschauung, daß Gott, der zugleich
materielle und geistige Gott, jetzt nur noch in der zerstreuten Materie und
in dem Geist deS Universums eristirt, und daß die Sammlung dieses zerstreuten
Stoffs zugleich die Wiederherstellung deS rein geistigen und individuellen Gottes


berichtet; und so ist eS mit der Aufspürung geheimer Orte, die an gewissen
räthselhaften Zeichen erkannt werden u. s. w. Kurz, es ist nicht die schaffende
Phantasie, die sich geltend macht, sondern die scharfsinnige Combination; eS
ist eine Mischung von trockener Prosa und wilder Phantastik, wie sie uns
zuweilen bei Balzac begegnet, nur daß dieser unendlich mehr Bildung und
Anschauung hat. Es liegt doch ein gewisses Vergnügen am Absurden darin, und
das Bestreben, das Unglaubliche plausibel zu machen. — Die darauffolgenden
Criminalgeschichten sind mit großem Talent erzählt. In diesem Genre kommen
überhaupt die vorhin erwähnten Eigenschaften am meisten zur Geltung. Frei¬
lich möchte die Berechtigung der ganzen Gattung sehr zweifelhaft sein. —
Ganz unerhört ist die Erfindung in einem Roman: die Geschichte deS Arthur
Gordon Pym von Nantucket, enthaltend die Details einer Empörung und
schauderhaften Metzelei am Bord der amerikanischen Brigg Grambus auf dem
Wege zur Südsee, Juni 1827, mit einem Bericht über die Wiedereinnähme
des Schiffs durch die Ueberlebenden, ihren Schiffbruch und furchtbare Hungers¬
noth, ihre Befreiung durch den britischen Schooner Jane Guy, die kurze
Kreuzfahrt dieses letzteren Fahrzeugs in dem antarktischen Ocean, ihre Ge¬
fangenschaft und die Niedermetzelung ihrer Mannschaft in einer Inselgruppe
im 84. Grad südlicher Breite, nebst den unglaublichen Abenteuern und.Ent¬
deckungen noch weiter südlich, wozu dieses traurige Schicksal Veranlassung
gab. — Wenn man bedenkt, daß das alles erfunden ist, so muß man der
Mühe und Geschicklichkeit des Verfassers, die trockene, geschäftsmäßige Form
eines Schiffstagebuchs beizubehalten, alle Anerkennung zu Theil werden lassen;
wenn man sich aber nach dem Zweck fragt, wenn man die völlige Absurdität
mancher von diesen mit der größten Breite ausgeführten Erfindungen erwägt
(z. B. die Aufsindung einer Reihe unterirdischer Grotten in dem eingebildeten
Eiland Tsalal, die äthiopische, ägyptische und arabische Buchstaben bedeuten
und die seltsamsten Geheimnisse ausdrücken sollen; wenn man ferner auf das
Zucken des Grauens Aufmerksamkeit wendet, des Grauens vor einem unbe¬
stimmten Etwas, welches sich in schnell verschwindenden Phantasiebildern aus¬
drückt: — so steht einem im eigentlichsten Sinn deS Worts der Verstand still. —
Aber auch dies wird noch übertroffen durch das sogenannte prosaische Gedicht:
Eureka, ein Versuch über daS materielle und geistige Universum, in welchem
der Verfasser den humboldtschen Kosmos zu ergänzen und folgenden Lehrsatz
durchzuführen sucht: In der ursprünglichen Einheit des ersten Wesens liegt
die secundäre Ursache aller Dinge nebst dem Keim ihrer unvermeidlichen Ver¬
nichtung. Zum Schluß kommt er zu der Anschauung, daß Gott, der zugleich
materielle und geistige Gott, jetzt nur noch in der zerstreuten Materie und
in dem Geist deS Universums eristirt, und daß die Sammlung dieses zerstreuten
Stoffs zugleich die Wiederherstellung deS rein geistigen und individuellen Gottes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/150>, abgerufen am 27.07.2024.