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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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dar Oglu, welcher in der Nähe von Gumisch-Khcme aus dem Gebirge Ghiams-
Dagh eine feste Stellung genommen hatte, wurde von dem Grafen Simonitsch
nach einem kurzen Gefecht am 2i. August in die Flucht geschlagen. Der
Sieger rückte nun in Gumisch-Khane ein, das von den Türken verlassen wor¬
den war, und dessen Einwohner, meistens Griechen, ihm jubelnd entgegeuzogen.
Paskewitsch hatte schon das Gebirge Ghiamö-Dagh überstiegen und befand sich
auf halbem Wege von Erzerum nach Trapezunt, als ihn die unüberwindlichen
Hindernisse des Gebirgeterrains zum Rückzüge nach Erzerum nöthigten. Er
war eben im Begriff, seine Truppen in sichere Winterquartiere zu legen, als
er durch armenische .Kundschafter die Nachricht erhielt, daß der neueriuNintc
Seraskier von Erzerum bei Baiburt 20,000 Mann gesammelt und den Plan
habe, Erzerum mit Sturm zu nehmen. Er ließ daher, um dem Feinde zuvor¬
zukommen, die russischen Truppen am 6. October in zwei Abtheilungen nach
Baiburt vorrücken. Baiburt fiel am 9. October; zu gleicher Zeit auch die türkische
Festung Olty; der zum Entsat) hcrbeigeeilte Seraskier zog sich in Eilmärschen
zurück. Am 11. October traf die Nachricht von dem am 14. September 1829
zu Adrianopel abgeschlossenen Frieden ein, woraus der Seraskier einen Waffen¬
stillstand antrug. Der russische Staatsrath Wlangaly unterzeichnete diesen im
türkischen Lager. Infolge des bald darauf erfolgten Friedcnstractats erhielt die
Pforte einen Theil des Paschaliks Achalzyk nebst den ganzen'Paschaliks von
Kars, Bajazet und Erzerum zurück. Rußland behielt die Festungen Araya,
Poli, Achalzyk, Azkur (Äzchur), Achalkalaki. Es ist außer Zweifel, daß die
europäische Diplomatie mächtig zur Herausgabe jener Gebiete mitgewirkt hat,
deren Besitz Nußland aufs eifrigste wünschte. Letzteres ließ späterhin keine
Gelegenheit unversucht, durch Unterhandlungen mit der Psorte gegen eine an¬
gemessene Verminderung der noch schuldigen Kriegssteuer die Abtretung dieser
Gebiete zu erhalte". Aber der Name von Kars tönte in den Ohren der Os-
manen allzu unangenehm, als daß sie leichthin in die Hände i-bref furchtbaren
Nachbars die Stadt geliefert hätten, welche ihnen die stolzen Thaten ihrer Vor¬
fahren ins Gedächtniß rief.

Die Russen wollten außer der Gcbietsvergrößerung auch über die arme¬
nische Nation, selbst über die zerstreuten Gruppen, die nur der Glaube zusam¬
menhält, einen religiösen Einfluß ausüben. Sie vermochten daher viele ar¬
menische Familien nicht blos von Erzerum und der Umgegend, sondern auch
aus den übrigen Theilen des türkischen Armeniens und aus Persien, theils
durch List (unter dem Vorwande, sie vom mohammedanischen Joche zu befreien),
theils durch Gewalt, ihre Heimath zu verlassen und sich auf russisches Gebiet
zu begeben. Allein aus den Paschaliks Erzerum, Kars und Bajazet zogen
70,000 Armenier fort, der Erzbischof von Erzerum, Garabed, nahm fast die
ganze christliche Bevölkerung dieser Stadt mit sich fort. Aber um sein Ziel


dar Oglu, welcher in der Nähe von Gumisch-Khcme aus dem Gebirge Ghiams-
Dagh eine feste Stellung genommen hatte, wurde von dem Grafen Simonitsch
nach einem kurzen Gefecht am 2i. August in die Flucht geschlagen. Der
Sieger rückte nun in Gumisch-Khane ein, das von den Türken verlassen wor¬
den war, und dessen Einwohner, meistens Griechen, ihm jubelnd entgegeuzogen.
Paskewitsch hatte schon das Gebirge Ghiamö-Dagh überstiegen und befand sich
auf halbem Wege von Erzerum nach Trapezunt, als ihn die unüberwindlichen
Hindernisse des Gebirgeterrains zum Rückzüge nach Erzerum nöthigten. Er
war eben im Begriff, seine Truppen in sichere Winterquartiere zu legen, als
er durch armenische .Kundschafter die Nachricht erhielt, daß der neueriuNintc
Seraskier von Erzerum bei Baiburt 20,000 Mann gesammelt und den Plan
habe, Erzerum mit Sturm zu nehmen. Er ließ daher, um dem Feinde zuvor¬
zukommen, die russischen Truppen am 6. October in zwei Abtheilungen nach
Baiburt vorrücken. Baiburt fiel am 9. October; zu gleicher Zeit auch die türkische
Festung Olty; der zum Entsat) hcrbeigeeilte Seraskier zog sich in Eilmärschen
zurück. Am 11. October traf die Nachricht von dem am 14. September 1829
zu Adrianopel abgeschlossenen Frieden ein, woraus der Seraskier einen Waffen¬
stillstand antrug. Der russische Staatsrath Wlangaly unterzeichnete diesen im
türkischen Lager. Infolge des bald darauf erfolgten Friedcnstractats erhielt die
Pforte einen Theil des Paschaliks Achalzyk nebst den ganzen'Paschaliks von
Kars, Bajazet und Erzerum zurück. Rußland behielt die Festungen Araya,
Poli, Achalzyk, Azkur (Äzchur), Achalkalaki. Es ist außer Zweifel, daß die
europäische Diplomatie mächtig zur Herausgabe jener Gebiete mitgewirkt hat,
deren Besitz Nußland aufs eifrigste wünschte. Letzteres ließ späterhin keine
Gelegenheit unversucht, durch Unterhandlungen mit der Psorte gegen eine an¬
gemessene Verminderung der noch schuldigen Kriegssteuer die Abtretung dieser
Gebiete zu erhalte». Aber der Name von Kars tönte in den Ohren der Os-
manen allzu unangenehm, als daß sie leichthin in die Hände i-bref furchtbaren
Nachbars die Stadt geliefert hätten, welche ihnen die stolzen Thaten ihrer Vor¬
fahren ins Gedächtniß rief.

Die Russen wollten außer der Gcbietsvergrößerung auch über die arme¬
nische Nation, selbst über die zerstreuten Gruppen, die nur der Glaube zusam¬
menhält, einen religiösen Einfluß ausüben. Sie vermochten daher viele ar¬
menische Familien nicht blos von Erzerum und der Umgegend, sondern auch
aus den übrigen Theilen des türkischen Armeniens und aus Persien, theils
durch List (unter dem Vorwande, sie vom mohammedanischen Joche zu befreien),
theils durch Gewalt, ihre Heimath zu verlassen und sich auf russisches Gebiet
zu begeben. Allein aus den Paschaliks Erzerum, Kars und Bajazet zogen
70,000 Armenier fort, der Erzbischof von Erzerum, Garabed, nahm fast die
ganze christliche Bevölkerung dieser Stadt mit sich fort. Aber um sein Ziel


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[0096] dar Oglu, welcher in der Nähe von Gumisch-Khcme aus dem Gebirge Ghiams- Dagh eine feste Stellung genommen hatte, wurde von dem Grafen Simonitsch nach einem kurzen Gefecht am 2i. August in die Flucht geschlagen. Der Sieger rückte nun in Gumisch-Khane ein, das von den Türken verlassen wor¬ den war, und dessen Einwohner, meistens Griechen, ihm jubelnd entgegeuzogen. Paskewitsch hatte schon das Gebirge Ghiamö-Dagh überstiegen und befand sich auf halbem Wege von Erzerum nach Trapezunt, als ihn die unüberwindlichen Hindernisse des Gebirgeterrains zum Rückzüge nach Erzerum nöthigten. Er war eben im Begriff, seine Truppen in sichere Winterquartiere zu legen, als er durch armenische .Kundschafter die Nachricht erhielt, daß der neueriuNintc Seraskier von Erzerum bei Baiburt 20,000 Mann gesammelt und den Plan habe, Erzerum mit Sturm zu nehmen. Er ließ daher, um dem Feinde zuvor¬ zukommen, die russischen Truppen am 6. October in zwei Abtheilungen nach Baiburt vorrücken. Baiburt fiel am 9. October; zu gleicher Zeit auch die türkische Festung Olty; der zum Entsat) hcrbeigeeilte Seraskier zog sich in Eilmärschen zurück. Am 11. October traf die Nachricht von dem am 14. September 1829 zu Adrianopel abgeschlossenen Frieden ein, woraus der Seraskier einen Waffen¬ stillstand antrug. Der russische Staatsrath Wlangaly unterzeichnete diesen im türkischen Lager. Infolge des bald darauf erfolgten Friedcnstractats erhielt die Pforte einen Theil des Paschaliks Achalzyk nebst den ganzen'Paschaliks von Kars, Bajazet und Erzerum zurück. Rußland behielt die Festungen Araya, Poli, Achalzyk, Azkur (Äzchur), Achalkalaki. Es ist außer Zweifel, daß die europäische Diplomatie mächtig zur Herausgabe jener Gebiete mitgewirkt hat, deren Besitz Nußland aufs eifrigste wünschte. Letzteres ließ späterhin keine Gelegenheit unversucht, durch Unterhandlungen mit der Psorte gegen eine an¬ gemessene Verminderung der noch schuldigen Kriegssteuer die Abtretung dieser Gebiete zu erhalte». Aber der Name von Kars tönte in den Ohren der Os- manen allzu unangenehm, als daß sie leichthin in die Hände i-bref furchtbaren Nachbars die Stadt geliefert hätten, welche ihnen die stolzen Thaten ihrer Vor¬ fahren ins Gedächtniß rief. Die Russen wollten außer der Gcbietsvergrößerung auch über die arme¬ nische Nation, selbst über die zerstreuten Gruppen, die nur der Glaube zusam¬ menhält, einen religiösen Einfluß ausüben. Sie vermochten daher viele ar¬ menische Familien nicht blos von Erzerum und der Umgegend, sondern auch aus den übrigen Theilen des türkischen Armeniens und aus Persien, theils durch List (unter dem Vorwande, sie vom mohammedanischen Joche zu befreien), theils durch Gewalt, ihre Heimath zu verlassen und sich auf russisches Gebiet zu begeben. Allein aus den Paschaliks Erzerum, Kars und Bajazet zogen 70,000 Armenier fort, der Erzbischof von Erzerum, Garabed, nahm fast die ganze christliche Bevölkerung dieser Stadt mit sich fort. Aber um sein Ziel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/96>, abgerufen am 23.07.2024.