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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Armenier griechischen Bekenntnisses und die katholischen Armenier haben je
eine Kirche; es sind stattliche Gebäude, sie haben aber nichts Erhabenes,
Kirchenartigeö, sondern sehen vielmehr mit ihrer länglich viereckigen Gestalt
und ihrem mit rothen Ziegeln bedeckten Giebeldache wie Magazine aus. Die
Kirche der griechischen Armenier, welche die große Mehrzahl der in Erzerum
wohnenden Christen bilden, ist ganz aus rothem Granit erbaut, einem Mate¬
rial, welches die zahllosen Grabsteine des umliegenden großen Kirchhofs liefern
mußten. Außerdem zeichnen sich aus: die riesenhaften Karawanserais oder
Chane, dreizehn an der Zahl, die Bäder, ein Zollhaus (in Erzerum befindet
sich das Hauptzollamt, weshalb alle die Stadt berührenden Reisenden daselbst
verweilen müssen) und manche andere merkwürdige Gebäude, besonders auch ein
altes Kloster, das, in die ersten christlichen Jahrhunderte hinaufreichend, den
Türken zum Arsenal diente, und worin die Russen im Jahre -1829 eine Menge
der schönsten altarabischem Waffen aus der Khalifenzeit fanden. Zu den Merk¬
würdigkeiten der Festung gehört auch ein Thurm, der bis 1829 eine Schlag¬
uhr enthielt, welche damals von den Russen mitgenommen und nicht wieder
zurückgegeben wurde. Obgleich kein Fluß die Stadt Crzcrum bewässert, so ist
doch in allen Straßen Ueberfluß an Wasser, und in vielen Häusern der Reichen
findet man Brunnen mit herrlichem Quellwasser, welches aus den nahen
Bergen hergeleitet wird. -- Erzerum ist nicht blos der Sitz eines Paschas
von drei Noßschweifen, mit dem Titel eines Vali oder Vicekönigs, sondern
auch eines armenischen Erzbischofs und eines griechischen Bischofs. -- Rück¬
sichtlich der Bevölkerung hat sich die Stadt nur langsam von dem Schlage
erhoben, den ihr die Besetzung durch die Russen im Jahre 1829 und die Aus¬
wanderung vieler fleißigen Armenier nach den russischen Provinzen (s. unten)
zufügte; während ihre frühere Bevölkerung im Jahre 1827, vor der Eroberung
durch die Russen, auf ungefähr 130,000 Seelen geschätzt wurde, belief sie sich
im Jahre 1829,kaum noch auf 1!>,000. Jetzt mag sie wieder an 80,000 (nach
andern jedoch nur etwa 33,000) betragen, wovon zwei Drittheile Moslems
und ein Drittheil Christen sind. Die große Mehrzahl der letztern besteht,
wie bereits erwähnt, aus nichtunirten Armeniern; katholische Armenier gibt es
nicht mehr als etwa achtzig Familien, und "och schwächer sind die Rational-
griechcn vertreten. Außer den türkischen Unterthanen gab es bis in die neueste
Zeit unter den Einwohnern Erzerums auch etwa 1000 russische Unterthanen, theils
Moslems, theils Christen. Abgesehen von den Consuln, deren Beamten und eini¬
gen nordamerikanischen Missionären, gibt es in Erzerum keine Franken. Da das
türkische Gesetz, das bis in die neueste Zeit jedem Christen, welcher kein Unter¬
than der Pforte ist, den Besitz von unbeweglichen Sachen untersagte, in
Erzerum mit großer Strenge gehandhabt wurde, so war die Ansiedlung von
Franken hier sehr erschwert. Die Christen wohnen fast alle außerhalb der


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Armenier griechischen Bekenntnisses und die katholischen Armenier haben je
eine Kirche; es sind stattliche Gebäude, sie haben aber nichts Erhabenes,
Kirchenartigeö, sondern sehen vielmehr mit ihrer länglich viereckigen Gestalt
und ihrem mit rothen Ziegeln bedeckten Giebeldache wie Magazine aus. Die
Kirche der griechischen Armenier, welche die große Mehrzahl der in Erzerum
wohnenden Christen bilden, ist ganz aus rothem Granit erbaut, einem Mate¬
rial, welches die zahllosen Grabsteine des umliegenden großen Kirchhofs liefern
mußten. Außerdem zeichnen sich aus: die riesenhaften Karawanserais oder
Chane, dreizehn an der Zahl, die Bäder, ein Zollhaus (in Erzerum befindet
sich das Hauptzollamt, weshalb alle die Stadt berührenden Reisenden daselbst
verweilen müssen) und manche andere merkwürdige Gebäude, besonders auch ein
altes Kloster, das, in die ersten christlichen Jahrhunderte hinaufreichend, den
Türken zum Arsenal diente, und worin die Russen im Jahre -1829 eine Menge
der schönsten altarabischem Waffen aus der Khalifenzeit fanden. Zu den Merk¬
würdigkeiten der Festung gehört auch ein Thurm, der bis 1829 eine Schlag¬
uhr enthielt, welche damals von den Russen mitgenommen und nicht wieder
zurückgegeben wurde. Obgleich kein Fluß die Stadt Crzcrum bewässert, so ist
doch in allen Straßen Ueberfluß an Wasser, und in vielen Häusern der Reichen
findet man Brunnen mit herrlichem Quellwasser, welches aus den nahen
Bergen hergeleitet wird. — Erzerum ist nicht blos der Sitz eines Paschas
von drei Noßschweifen, mit dem Titel eines Vali oder Vicekönigs, sondern
auch eines armenischen Erzbischofs und eines griechischen Bischofs. — Rück¬
sichtlich der Bevölkerung hat sich die Stadt nur langsam von dem Schlage
erhoben, den ihr die Besetzung durch die Russen im Jahre 1829 und die Aus¬
wanderung vieler fleißigen Armenier nach den russischen Provinzen (s. unten)
zufügte; während ihre frühere Bevölkerung im Jahre 1827, vor der Eroberung
durch die Russen, auf ungefähr 130,000 Seelen geschätzt wurde, belief sie sich
im Jahre 1829,kaum noch auf 1!>,000. Jetzt mag sie wieder an 80,000 (nach
andern jedoch nur etwa 33,000) betragen, wovon zwei Drittheile Moslems
und ein Drittheil Christen sind. Die große Mehrzahl der letztern besteht,
wie bereits erwähnt, aus nichtunirten Armeniern; katholische Armenier gibt es
nicht mehr als etwa achtzig Familien, und »och schwächer sind die Rational-
griechcn vertreten. Außer den türkischen Unterthanen gab es bis in die neueste
Zeit unter den Einwohnern Erzerums auch etwa 1000 russische Unterthanen, theils
Moslems, theils Christen. Abgesehen von den Consuln, deren Beamten und eini¬
gen nordamerikanischen Missionären, gibt es in Erzerum keine Franken. Da das
türkische Gesetz, das bis in die neueste Zeit jedem Christen, welcher kein Unter¬
than der Pforte ist, den Besitz von unbeweglichen Sachen untersagte, in
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Franken hier sehr erschwert. Die Christen wohnen fast alle außerhalb der


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[0091] Armenier griechischen Bekenntnisses und die katholischen Armenier haben je eine Kirche; es sind stattliche Gebäude, sie haben aber nichts Erhabenes, Kirchenartigeö, sondern sehen vielmehr mit ihrer länglich viereckigen Gestalt und ihrem mit rothen Ziegeln bedeckten Giebeldache wie Magazine aus. Die Kirche der griechischen Armenier, welche die große Mehrzahl der in Erzerum wohnenden Christen bilden, ist ganz aus rothem Granit erbaut, einem Mate¬ rial, welches die zahllosen Grabsteine des umliegenden großen Kirchhofs liefern mußten. Außerdem zeichnen sich aus: die riesenhaften Karawanserais oder Chane, dreizehn an der Zahl, die Bäder, ein Zollhaus (in Erzerum befindet sich das Hauptzollamt, weshalb alle die Stadt berührenden Reisenden daselbst verweilen müssen) und manche andere merkwürdige Gebäude, besonders auch ein altes Kloster, das, in die ersten christlichen Jahrhunderte hinaufreichend, den Türken zum Arsenal diente, und worin die Russen im Jahre -1829 eine Menge der schönsten altarabischem Waffen aus der Khalifenzeit fanden. Zu den Merk¬ würdigkeiten der Festung gehört auch ein Thurm, der bis 1829 eine Schlag¬ uhr enthielt, welche damals von den Russen mitgenommen und nicht wieder zurückgegeben wurde. Obgleich kein Fluß die Stadt Crzcrum bewässert, so ist doch in allen Straßen Ueberfluß an Wasser, und in vielen Häusern der Reichen findet man Brunnen mit herrlichem Quellwasser, welches aus den nahen Bergen hergeleitet wird. — Erzerum ist nicht blos der Sitz eines Paschas von drei Noßschweifen, mit dem Titel eines Vali oder Vicekönigs, sondern auch eines armenischen Erzbischofs und eines griechischen Bischofs. — Rück¬ sichtlich der Bevölkerung hat sich die Stadt nur langsam von dem Schlage erhoben, den ihr die Besetzung durch die Russen im Jahre 1829 und die Aus¬ wanderung vieler fleißigen Armenier nach den russischen Provinzen (s. unten) zufügte; während ihre frühere Bevölkerung im Jahre 1827, vor der Eroberung durch die Russen, auf ungefähr 130,000 Seelen geschätzt wurde, belief sie sich im Jahre 1829,kaum noch auf 1!>,000. Jetzt mag sie wieder an 80,000 (nach andern jedoch nur etwa 33,000) betragen, wovon zwei Drittheile Moslems und ein Drittheil Christen sind. Die große Mehrzahl der letztern besteht, wie bereits erwähnt, aus nichtunirten Armeniern; katholische Armenier gibt es nicht mehr als etwa achtzig Familien, und »och schwächer sind die Rational- griechcn vertreten. Außer den türkischen Unterthanen gab es bis in die neueste Zeit unter den Einwohnern Erzerums auch etwa 1000 russische Unterthanen, theils Moslems, theils Christen. Abgesehen von den Consuln, deren Beamten und eini¬ gen nordamerikanischen Missionären, gibt es in Erzerum keine Franken. Da das türkische Gesetz, das bis in die neueste Zeit jedem Christen, welcher kein Unter¬ than der Pforte ist, den Besitz von unbeweglichen Sachen untersagte, in Erzerum mit großer Strenge gehandhabt wurde, so war die Ansiedlung von Franken hier sehr erschwert. Die Christen wohnen fast alle außerhalb der 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/91>, abgerufen am 23.07.2024.