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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Freiherr von Stein.

Das Leben des Freiherrn von Stein. Sechster Band. Berlin, G. Reimer.

Die Reaction hat nicht verfehlt, die einzelnen Aeußerungen des großen
Mannes, an dessen Namen sich das Meiste knüpft, was noch jetzt Preußens
Ehre und Ruhm ausmacht, für ihre Zwecke auszubeuten. Man führt gegen¬
wärtig wieder das Feldzeichen der sogenannten ständischen Verfassung gegen
die bestehende Verfassung Preußens in die Schranken und beruft sich mit be¬
sonderem Genuß auf die Autorität eines Mannes, gegen dessen einsichtsvolle
und warme Vaterlandsliebe auch der entschiedenste Liberale nichts einwenden
darf. Man vergißt dabei, daß in den Umständen, welche zu jeder Zeit auf die
Ideen ihren Einfluß ausüben, eine wesentliche Umgestaltung eingetreten ist.
Hätte der Freiherr von Stein mit seinem scharfen Jnstinct für alle Wahrheit,
mit seinem unbeugsamen Willen, der sich von keinen Schwierigkeiten zurück¬
schrecken ließ, bei noch ungeschwächter Lebenskraft die große und lehrreiche
Entwicklung durchgemacht, die uns zu Theil geworden ist: -- wir können
zwar über die Einzelnheiten seiner Ansichten keine Vermuthung aufstellen, aber
das dürfen wir mit Bestimmtheit behaupten, er würde nicht an der Seite des
Herrn von Gerlach sitzen.

Schon mehrmals wurde ausgeführt, daß die Bedeutung dieses großen
Staatsmannes nicht in den liberalen Reformen liegt, an die man sich ge¬
wöhnlich bei seinem Namen erinnert, sondern in der gewaltigen Willenskraft,
mit der er alle Elemente des Staatslebens zum Kampf gegen Frankreich an¬
trieb. Er war kein Mann der Doctrin, sondern ein Mann der That. Er
erkannte es als seinen Beruf, Preußen und mit ihm Deutschland der Ohn¬
macht zu entreißen, in die es durch eine lange herz- und gedankenlose Leitung
gefallen war, und ihm ein neues Leben, einzuhauchen. Als das nothwendige
Mittel dazu begriff er, die verschiedenen Stände des Landes zu einer gleich¬
mäßigen Theilnahme am Staatsleben heranzuziehen. Daher seine Gesetze
über die Entlastung des Bauernstandes, über die gleiche Berechtigung der
Bürgerlichen und was sonst dazu gehört. Nicht die politische Ueberzeugung,
die auf einem Princip beruht, sondern die Einsicht des praktischen Staats¬
mannes in das, was die Umstände erforderten, hatte ihn zu diesen Neuerungen


Grenzboten, l. 1866. 1
Freiherr von Stein.

Das Leben des Freiherrn von Stein. Sechster Band. Berlin, G. Reimer.

Die Reaction hat nicht verfehlt, die einzelnen Aeußerungen des großen
Mannes, an dessen Namen sich das Meiste knüpft, was noch jetzt Preußens
Ehre und Ruhm ausmacht, für ihre Zwecke auszubeuten. Man führt gegen¬
wärtig wieder das Feldzeichen der sogenannten ständischen Verfassung gegen
die bestehende Verfassung Preußens in die Schranken und beruft sich mit be¬
sonderem Genuß auf die Autorität eines Mannes, gegen dessen einsichtsvolle
und warme Vaterlandsliebe auch der entschiedenste Liberale nichts einwenden
darf. Man vergißt dabei, daß in den Umständen, welche zu jeder Zeit auf die
Ideen ihren Einfluß ausüben, eine wesentliche Umgestaltung eingetreten ist.
Hätte der Freiherr von Stein mit seinem scharfen Jnstinct für alle Wahrheit,
mit seinem unbeugsamen Willen, der sich von keinen Schwierigkeiten zurück¬
schrecken ließ, bei noch ungeschwächter Lebenskraft die große und lehrreiche
Entwicklung durchgemacht, die uns zu Theil geworden ist: — wir können
zwar über die Einzelnheiten seiner Ansichten keine Vermuthung aufstellen, aber
das dürfen wir mit Bestimmtheit behaupten, er würde nicht an der Seite des
Herrn von Gerlach sitzen.

Schon mehrmals wurde ausgeführt, daß die Bedeutung dieses großen
Staatsmannes nicht in den liberalen Reformen liegt, an die man sich ge¬
wöhnlich bei seinem Namen erinnert, sondern in der gewaltigen Willenskraft,
mit der er alle Elemente des Staatslebens zum Kampf gegen Frankreich an¬
trieb. Er war kein Mann der Doctrin, sondern ein Mann der That. Er
erkannte es als seinen Beruf, Preußen und mit ihm Deutschland der Ohn¬
macht zu entreißen, in die es durch eine lange herz- und gedankenlose Leitung
gefallen war, und ihm ein neues Leben, einzuhauchen. Als das nothwendige
Mittel dazu begriff er, die verschiedenen Stände des Landes zu einer gleich¬
mäßigen Theilnahme am Staatsleben heranzuziehen. Daher seine Gesetze
über die Entlastung des Bauernstandes, über die gleiche Berechtigung der
Bürgerlichen und was sonst dazu gehört. Nicht die politische Ueberzeugung,
die auf einem Princip beruht, sondern die Einsicht des praktischen Staats¬
mannes in das, was die Umstände erforderten, hatte ihn zu diesen Neuerungen


Grenzboten, l. 1866. 1
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[0009] Freiherr von Stein. Das Leben des Freiherrn von Stein. Sechster Band. Berlin, G. Reimer. Die Reaction hat nicht verfehlt, die einzelnen Aeußerungen des großen Mannes, an dessen Namen sich das Meiste knüpft, was noch jetzt Preußens Ehre und Ruhm ausmacht, für ihre Zwecke auszubeuten. Man führt gegen¬ wärtig wieder das Feldzeichen der sogenannten ständischen Verfassung gegen die bestehende Verfassung Preußens in die Schranken und beruft sich mit be¬ sonderem Genuß auf die Autorität eines Mannes, gegen dessen einsichtsvolle und warme Vaterlandsliebe auch der entschiedenste Liberale nichts einwenden darf. Man vergißt dabei, daß in den Umständen, welche zu jeder Zeit auf die Ideen ihren Einfluß ausüben, eine wesentliche Umgestaltung eingetreten ist. Hätte der Freiherr von Stein mit seinem scharfen Jnstinct für alle Wahrheit, mit seinem unbeugsamen Willen, der sich von keinen Schwierigkeiten zurück¬ schrecken ließ, bei noch ungeschwächter Lebenskraft die große und lehrreiche Entwicklung durchgemacht, die uns zu Theil geworden ist: — wir können zwar über die Einzelnheiten seiner Ansichten keine Vermuthung aufstellen, aber das dürfen wir mit Bestimmtheit behaupten, er würde nicht an der Seite des Herrn von Gerlach sitzen. Schon mehrmals wurde ausgeführt, daß die Bedeutung dieses großen Staatsmannes nicht in den liberalen Reformen liegt, an die man sich ge¬ wöhnlich bei seinem Namen erinnert, sondern in der gewaltigen Willenskraft, mit der er alle Elemente des Staatslebens zum Kampf gegen Frankreich an¬ trieb. Er war kein Mann der Doctrin, sondern ein Mann der That. Er erkannte es als seinen Beruf, Preußen und mit ihm Deutschland der Ohn¬ macht zu entreißen, in die es durch eine lange herz- und gedankenlose Leitung gefallen war, und ihm ein neues Leben, einzuhauchen. Als das nothwendige Mittel dazu begriff er, die verschiedenen Stände des Landes zu einer gleich¬ mäßigen Theilnahme am Staatsleben heranzuziehen. Daher seine Gesetze über die Entlastung des Bauernstandes, über die gleiche Berechtigung der Bürgerlichen und was sonst dazu gehört. Nicht die politische Ueberzeugung, die auf einem Princip beruht, sondern die Einsicht des praktischen Staats¬ mannes in das, was die Umstände erforderten, hatte ihn zu diesen Neuerungen Grenzboten, l. 1866. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/9>, abgerufen am 23.07.2024.