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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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schält er ordentlich langsam das Gehörte, wirft die Schale weg und behält
den Kern. Er sagt zuweilen ganz offen und ehrlich: "nes-moi col-r tmcoro
uns toi", ne peux pas von" 8uivre! Eine große Tugend Ludwig Napoleons
ist, wie ich aus seiner Umgebung und von andern weiß, er verträgt einen
Widerspruch! Er scheint ihn sogar zu interessiren, er Hort ihn ruhig an,
schweigt und -- gibt nie was zu! Sein Wille ist eisern, sein Ausspruch ein
Hammer, sein Entschluß ein altnapolconischer Tagesbefehl: er schneidet
alles durch!

Wenn in diesen Briefen die Persönlichkeit des Verfassers nicht sehr em¬
pfiehlt, so stellt sich uns der preußische Jurist, der seine Ferien dazu benutzt,
Konstantinopel und Brussa zu besuchen, um so liebenswürdiger dar. Es ist
eine Ferieineise im vollsten Sinn des Worts, und man wird daher nichts
Anderes erwarten, als leichte, flüchtige Eindrücke; aber diese Eindrücke siud so
lebhaft wiedergegeben, daß man fotwährend angezogen wird. Am interessan¬
testen ist die Audienz bei Abd-el-Kader, bei dem der.Reisende durch Vermitt¬
lung des Gouverneurs von Brussa eingeführt wird. Die Reisenden halten
eine endlose Folge von krummen und winkligen Gassen zu durchwandern, ehe
der Führer vor einer Thür stillstand, die in einen geräumigen Hof führte, in
dem mehre Araber in ihren weiten Mänteln an einem Springbrunnen sich die
Füße wuschen. Eine freie Treppe führte in den Vorsaal - eines geräumigen
hölzernen einstöckigen Hanfes, das in der Mitte des Hoff stand. Abd-el-Kader
war grade beim Gebet, nach einer Viertelstunde trat er ein. "Er war von
mittlerer Größe. Sein Körperbau, seine Glieder waren fein; aber seine Be¬
wegungen hatten dieselbe anmuthige, elastische Leichtigkeit, die wir an den echt
arabischen Pferden bewundern. Er trug einen weiten, , togaähnlichen, blauen
Mantel von dünnem Wollenzeuge, darunter ein rothes Unterkleid und ein
weißes Hemd. Ohne Schuhe oder Strümpfe, waren die Füße bis zu dem
Knie bloß, nur der Oberkörper war, während er saß, von dem blauen, an¬
muthig sich faltenden und schmiegenden Mantel verhüllt. Auf dem Kopfe trug
er einen weißen Turban mit blauer Binde. Sein Gesicht war Seele durch
und durch. Ein schmales Oval, nur so viel Fleisch, um die Linien zu mildern,
leuchtete aus ihm der kühne, kräftige Geist, der den Körper nicht abzehrt, aber
schlank und fein erhält, als biegsamer, elastischer Diener seines Herrn. Ein
seines Kinn, ein kleiner Mund, eine reine Nase, eine hohe freie Stirn, aber
vor allen zwei dunkle große Augen, die Feuer, Sanftmuth und Klugheit ver¬
einten. Ein schwarzer Bart, aber nicht zu dicht, hob die geistigen Theile des
Gesichts." -- Er grüßte freundlich, und ging schnell nach dem Divan, setzte
sich, zog die bloßen Füße nach sich hinauf, die ihm während der Unterhaltung
als Spielwerk für seine Hände dienten, und erwartete die Eröffnungen der
Fremden. Die Unterhaltung hatte ihre besondern Schwierigkeiten. Der Emir


schält er ordentlich langsam das Gehörte, wirft die Schale weg und behält
den Kern. Er sagt zuweilen ganz offen und ehrlich: »nes-moi col-r tmcoro
uns toi«, ne peux pas von« 8uivre! Eine große Tugend Ludwig Napoleons
ist, wie ich aus seiner Umgebung und von andern weiß, er verträgt einen
Widerspruch! Er scheint ihn sogar zu interessiren, er Hort ihn ruhig an,
schweigt und — gibt nie was zu! Sein Wille ist eisern, sein Ausspruch ein
Hammer, sein Entschluß ein altnapolconischer Tagesbefehl: er schneidet
alles durch!

Wenn in diesen Briefen die Persönlichkeit des Verfassers nicht sehr em¬
pfiehlt, so stellt sich uns der preußische Jurist, der seine Ferien dazu benutzt,
Konstantinopel und Brussa zu besuchen, um so liebenswürdiger dar. Es ist
eine Ferieineise im vollsten Sinn des Worts, und man wird daher nichts
Anderes erwarten, als leichte, flüchtige Eindrücke; aber diese Eindrücke siud so
lebhaft wiedergegeben, daß man fotwährend angezogen wird. Am interessan¬
testen ist die Audienz bei Abd-el-Kader, bei dem der.Reisende durch Vermitt¬
lung des Gouverneurs von Brussa eingeführt wird. Die Reisenden halten
eine endlose Folge von krummen und winkligen Gassen zu durchwandern, ehe
der Führer vor einer Thür stillstand, die in einen geräumigen Hof führte, in
dem mehre Araber in ihren weiten Mänteln an einem Springbrunnen sich die
Füße wuschen. Eine freie Treppe führte in den Vorsaal - eines geräumigen
hölzernen einstöckigen Hanfes, das in der Mitte des Hoff stand. Abd-el-Kader
war grade beim Gebet, nach einer Viertelstunde trat er ein. „Er war von
mittlerer Größe. Sein Körperbau, seine Glieder waren fein; aber seine Be¬
wegungen hatten dieselbe anmuthige, elastische Leichtigkeit, die wir an den echt
arabischen Pferden bewundern. Er trug einen weiten, , togaähnlichen, blauen
Mantel von dünnem Wollenzeuge, darunter ein rothes Unterkleid und ein
weißes Hemd. Ohne Schuhe oder Strümpfe, waren die Füße bis zu dem
Knie bloß, nur der Oberkörper war, während er saß, von dem blauen, an¬
muthig sich faltenden und schmiegenden Mantel verhüllt. Auf dem Kopfe trug
er einen weißen Turban mit blauer Binde. Sein Gesicht war Seele durch
und durch. Ein schmales Oval, nur so viel Fleisch, um die Linien zu mildern,
leuchtete aus ihm der kühne, kräftige Geist, der den Körper nicht abzehrt, aber
schlank und fein erhält, als biegsamer, elastischer Diener seines Herrn. Ein
seines Kinn, ein kleiner Mund, eine reine Nase, eine hohe freie Stirn, aber
vor allen zwei dunkle große Augen, die Feuer, Sanftmuth und Klugheit ver¬
einten. Ein schwarzer Bart, aber nicht zu dicht, hob die geistigen Theile des
Gesichts." — Er grüßte freundlich, und ging schnell nach dem Divan, setzte
sich, zog die bloßen Füße nach sich hinauf, die ihm während der Unterhaltung
als Spielwerk für seine Hände dienten, und erwartete die Eröffnungen der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/68>, abgerufen am 25.08.2024.