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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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erkennung zollt, und der zur Zeit, als jede Leier über Napoleon schwieg, den
großen Helden beweinte und besang. Die ^ napoleoniden sind alle, alle aus¬
gezeichnete Geister, ungewöhnliche Menschen, welthistorische, bedeutsam, intensiv
interessante Persönlichkeiten; das ist wahr und, das wird niemand in Abrede
stellen, den politischen Standpunkt ganz außer Acht lassend. Ich habe sonst
nichts von den Napoleons gewünscht, nichts gewollt, nichts wünschen gewollt.
Deutsche Gerüchts- und NcuigkeitSsalschmünzer haben drucken oder schreiben
lassen, ich hätte von Napoleon 20,000 Franken erhalten. So dumm kann nur
ein- deutscher JeituugScorrespoudcut sein! Ich wollte Napoleon hätte mir
20,000 Franken gegeben, damit ich in der Lage gewesen wäre, sie ihm demüthigst
zurückzustellen. Ich hätte 20,000 Franken ebensowenig angenommen, als 1000,
als 10 Franken.....Es war mir interessant, jene Lieder dem Neffen dessen,
der mich zu ihnen begeisterte, überreichen zu können. Es ist ein historisches
Factum, ein historisches Cunosum, ein historisches Unicum. Es ist sür mich,
für mein Leben, für meine Memoiren, für das Geschick meiner Dichtung ein
interessanter Moment." -- Neben diesen Faseleien finden sich aber zuweilen auch
recht interessante und eindringende Beobachtungen. Ais Probe wollen wir
auszugsweise seine Beschreibung des Kaisers mittheilen.

Ludwig Napoleon ist von mittlerer Statur, sein erster Anblick, seine
Haltung militärisch. Sein Gesicht ist scheinbar unbewegt, sein Mund ist
blaß, und die feinen schmalen Lippen werden selten geröthet, aber sie sind
geistreich geschnitten. Seine Augen sind glanzlos, aber man irrt, wenn man
sie ausdruckslos nennt. Wenn man lange in diese Augen hineinschaut, und
nicht nur lange, sondern tief hinein, so liegen weit, weit im Hintergrunde die
lauernden BUcke zusammengekollert wie ruhende Löwen im Hintergrunde ihrer
Zelle, und nach und nach richten sie sich auf und kommen, im Kreise sich be¬
wegend, vorsichtig, langsam vorwärts bis an das äußere Augengitter, und
dann gewinnen sie ein dunkles Glühen, eine um sich schauende Flamme, dann
sieht man die arbeitenden Gedanken in ihrem Kreise, dann belauschen diese
Blicke mit tiefdringender Gewalt und Starrheit sich und alles um sich herum
und beobachten aus ihrer Höhle heraus alles, was in der Runde herum ge¬
schieht und vorgeht: Menschen, Dinge, Ereignisse, stets auf dem Anschlag,
stets'sich und die Welt beobachtend. Napoleon spricht langsam, er kehrt das
Wort erst erwägend um, bevor er es ausgibt, aber nicht aus Geiz und nicht
weil ihm das Wort nicht zu Gebote steht, sondern deshalb, glaub ich, um
diesem Worte mehr Sicherheit zu geben, um dem Worte und dem Hörer zu
zeigen, daß er sich nicht leichtsinnig von seinen Worten trennt und daß er die
Wichtigkeit der Worte kennt, indem er sie nur langsam entläßt. -- Ein großer
Meister ist Napoleon im Zuhören; man sieht, wie er hört. Er faßt nicht
schnell, langsam, aber erschöpfend und für immer. Während der andere spricht,


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erkennung zollt, und der zur Zeit, als jede Leier über Napoleon schwieg, den
großen Helden beweinte und besang. Die ^ napoleoniden sind alle, alle aus¬
gezeichnete Geister, ungewöhnliche Menschen, welthistorische, bedeutsam, intensiv
interessante Persönlichkeiten; das ist wahr und, das wird niemand in Abrede
stellen, den politischen Standpunkt ganz außer Acht lassend. Ich habe sonst
nichts von den Napoleons gewünscht, nichts gewollt, nichts wünschen gewollt.
Deutsche Gerüchts- und NcuigkeitSsalschmünzer haben drucken oder schreiben
lassen, ich hätte von Napoleon 20,000 Franken erhalten. So dumm kann nur
ein- deutscher JeituugScorrespoudcut sein! Ich wollte Napoleon hätte mir
20,000 Franken gegeben, damit ich in der Lage gewesen wäre, sie ihm demüthigst
zurückzustellen. Ich hätte 20,000 Franken ebensowenig angenommen, als 1000,
als 10 Franken.....Es war mir interessant, jene Lieder dem Neffen dessen,
der mich zu ihnen begeisterte, überreichen zu können. Es ist ein historisches
Factum, ein historisches Cunosum, ein historisches Unicum. Es ist sür mich,
für mein Leben, für meine Memoiren, für das Geschick meiner Dichtung ein
interessanter Moment." — Neben diesen Faseleien finden sich aber zuweilen auch
recht interessante und eindringende Beobachtungen. Ais Probe wollen wir
auszugsweise seine Beschreibung des Kaisers mittheilen.

Ludwig Napoleon ist von mittlerer Statur, sein erster Anblick, seine
Haltung militärisch. Sein Gesicht ist scheinbar unbewegt, sein Mund ist
blaß, und die feinen schmalen Lippen werden selten geröthet, aber sie sind
geistreich geschnitten. Seine Augen sind glanzlos, aber man irrt, wenn man
sie ausdruckslos nennt. Wenn man lange in diese Augen hineinschaut, und
nicht nur lange, sondern tief hinein, so liegen weit, weit im Hintergrunde die
lauernden BUcke zusammengekollert wie ruhende Löwen im Hintergrunde ihrer
Zelle, und nach und nach richten sie sich auf und kommen, im Kreise sich be¬
wegend, vorsichtig, langsam vorwärts bis an das äußere Augengitter, und
dann gewinnen sie ein dunkles Glühen, eine um sich schauende Flamme, dann
sieht man die arbeitenden Gedanken in ihrem Kreise, dann belauschen diese
Blicke mit tiefdringender Gewalt und Starrheit sich und alles um sich herum
und beobachten aus ihrer Höhle heraus alles, was in der Runde herum ge¬
schieht und vorgeht: Menschen, Dinge, Ereignisse, stets auf dem Anschlag,
stets'sich und die Welt beobachtend. Napoleon spricht langsam, er kehrt das
Wort erst erwägend um, bevor er es ausgibt, aber nicht aus Geiz und nicht
weil ihm das Wort nicht zu Gebote steht, sondern deshalb, glaub ich, um
diesem Worte mehr Sicherheit zu geben, um dem Worte und dem Hörer zu
zeigen, daß er sich nicht leichtsinnig von seinen Worten trennt und daß er die
Wichtigkeit der Worte kennt, indem er sie nur langsam entläßt. — Ein großer
Meister ist Napoleon im Zuhören; man sieht, wie er hört. Er faßt nicht
schnell, langsam, aber erschöpfend und für immer. Während der andere spricht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/67>, abgerufen am 25.08.2024.