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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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pariser Industrieausstellung, der Hauptgegenstand des Buchs, wird mit derselbe"
Art von Humor behandelt. -- Noch einen Zug schöner Bescheidenheit wollen
wir anführen (S. 225). Es bezieht sich auf das alte Verhältniß Saphirs
zu Börne. Dieser sagte einmal zu seinem Freunde: Nun, Saphir, helfen Sie
mir an nichts denken. Er behauptete nämlich, er befinde sich nur dann wohl,
wenn er an gar nichts denke. Das könne er aber nicht allein, dazu müsse
ihm immer jemand helfen; namentlich aber, sagte er, gelänge es ihm ganz
und gar, an nichts zu denken, wenn ein deutscher Professor mit ihm discurire.
Aber, erwiderte Saphir, ich bin ja kein Professor, im Gegentheil, ich leide an
Diarrhöe. -- Ferner S. 2W: "Ich arbeite sehr schnell; eines Tages kam
Börne gegen zwölf Uhr Mittags zu mir hinauf und sagte: Heute haben Sie
Ihre Vorlesung im Salon Bvssange, über was werden Sie lesen? -- Heute ?
rief ich erschrocken aus 5 heute? Schwerenoth, daran hab ich ganz vergessen!
Nun muß ich mich gleich darüber machen. -- Sie haben gewiß über dem
Lohnt Zra8 gestern, über dem Zug des Faschingsochsen, daran vergessen. --
Gewiß! aber der Ochs muß mir das vergüten! Einer hilft dem andern! Ich
werde über den Zug des Faschingsochseu durch Paris lesen. -- Gut, sagte
Börne, ich will euch nicht stören, thut als ob ich gar nicht hier wäre. -- Er
setzte sich an den Kamin, ich an den Schreibtisch, und mein Ochs hatte in
einer Stunde solche Fortschritte gemacht, daß wir beide ein bischen ruhen
konnten. -- Wie sind Sie glücklich, sagte Börne, so geschwind zu arbeiten, ich
kann das nicht! -- Ja, entgegnete ich, daher hält Ihre Arbeit für die Ewig¬
keit, meine aber ist bald zerbrochen und unbrauchbar!"-- Es macht doch einen
wohlthuenden Eindruck, wenn berühmte Männer auch einmal bescheiden sein
können. -- An dem Besuch bei dem sterbenden Anstophanes fehlt eS natürlich
auch nicht. Heine schreibt von seinem neuen Freunde (S. 230): "Herr
Saphir ist einer der geistreichsten Männer Deutschlands, und wir haben sehr
viel gemeinschaftliche Feinde; dabei soll er sehr gutmüthig sein, was doch auch
eine gute Eigenschaft ist." -- Heine erzählt, daß er jährlich 6000 Franken von
seiner Familie und 6000 Franken von Campe in Hamburg habe. Das sind
jährlich 12,000 Franken Renten (3200 Thaler); er brauche aber wenigstens
20,000 Franken. -- Es ist schmählig, was Deutschland seine Dichter hun¬
gern läßt! Herr Saphir hat vor einem Vierteljahrhundert ein Büchlein ge¬
schrieben: Die napoleoniden. "Ich sang jene Lieder des Schmerzes* über
den Untergang einer erhabenen Erscheinung, als eS höchst unrathsam war,
eine solche dichterische Begeisterung für den vom Himmel gestürzten Halb¬
gott zu Manifestiren u. s. w." Diese Gedichte hat er die Ehre gehabt,
Sr. Majestät dem jetzigen Kaiser zu überreichen. "Es wäre nicht sehr zu
verwundern, wenn die napoleoniden der Gegenwart einen Dichter freundlich
aufnahmen, einen Dichter, dem die französische Literatur so schmeichelhafte An-


pariser Industrieausstellung, der Hauptgegenstand des Buchs, wird mit derselbe»
Art von Humor behandelt. — Noch einen Zug schöner Bescheidenheit wollen
wir anführen (S. 225). Es bezieht sich auf das alte Verhältniß Saphirs
zu Börne. Dieser sagte einmal zu seinem Freunde: Nun, Saphir, helfen Sie
mir an nichts denken. Er behauptete nämlich, er befinde sich nur dann wohl,
wenn er an gar nichts denke. Das könne er aber nicht allein, dazu müsse
ihm immer jemand helfen; namentlich aber, sagte er, gelänge es ihm ganz
und gar, an nichts zu denken, wenn ein deutscher Professor mit ihm discurire.
Aber, erwiderte Saphir, ich bin ja kein Professor, im Gegentheil, ich leide an
Diarrhöe. — Ferner S. 2W: „Ich arbeite sehr schnell; eines Tages kam
Börne gegen zwölf Uhr Mittags zu mir hinauf und sagte: Heute haben Sie
Ihre Vorlesung im Salon Bvssange, über was werden Sie lesen? — Heute ?
rief ich erschrocken aus 5 heute? Schwerenoth, daran hab ich ganz vergessen!
Nun muß ich mich gleich darüber machen. — Sie haben gewiß über dem
Lohnt Zra8 gestern, über dem Zug des Faschingsochsen, daran vergessen. —
Gewiß! aber der Ochs muß mir das vergüten! Einer hilft dem andern! Ich
werde über den Zug des Faschingsochseu durch Paris lesen. — Gut, sagte
Börne, ich will euch nicht stören, thut als ob ich gar nicht hier wäre. — Er
setzte sich an den Kamin, ich an den Schreibtisch, und mein Ochs hatte in
einer Stunde solche Fortschritte gemacht, daß wir beide ein bischen ruhen
konnten. — Wie sind Sie glücklich, sagte Börne, so geschwind zu arbeiten, ich
kann das nicht! — Ja, entgegnete ich, daher hält Ihre Arbeit für die Ewig¬
keit, meine aber ist bald zerbrochen und unbrauchbar!"— Es macht doch einen
wohlthuenden Eindruck, wenn berühmte Männer auch einmal bescheiden sein
können. — An dem Besuch bei dem sterbenden Anstophanes fehlt eS natürlich
auch nicht. Heine schreibt von seinem neuen Freunde (S. 230): „Herr
Saphir ist einer der geistreichsten Männer Deutschlands, und wir haben sehr
viel gemeinschaftliche Feinde; dabei soll er sehr gutmüthig sein, was doch auch
eine gute Eigenschaft ist." — Heine erzählt, daß er jährlich 6000 Franken von
seiner Familie und 6000 Franken von Campe in Hamburg habe. Das sind
jährlich 12,000 Franken Renten (3200 Thaler); er brauche aber wenigstens
20,000 Franken. — Es ist schmählig, was Deutschland seine Dichter hun¬
gern läßt! Herr Saphir hat vor einem Vierteljahrhundert ein Büchlein ge¬
schrieben: Die napoleoniden. „Ich sang jene Lieder des Schmerzes* über
den Untergang einer erhabenen Erscheinung, als eS höchst unrathsam war,
eine solche dichterische Begeisterung für den vom Himmel gestürzten Halb¬
gott zu Manifestiren u. s. w." Diese Gedichte hat er die Ehre gehabt,
Sr. Majestät dem jetzigen Kaiser zu überreichen. „Es wäre nicht sehr zu
verwundern, wenn die napoleoniden der Gegenwart einen Dichter freundlich
aufnahmen, einen Dichter, dem die französische Literatur so schmeichelhafte An-


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[0066] pariser Industrieausstellung, der Hauptgegenstand des Buchs, wird mit derselbe» Art von Humor behandelt. — Noch einen Zug schöner Bescheidenheit wollen wir anführen (S. 225). Es bezieht sich auf das alte Verhältniß Saphirs zu Börne. Dieser sagte einmal zu seinem Freunde: Nun, Saphir, helfen Sie mir an nichts denken. Er behauptete nämlich, er befinde sich nur dann wohl, wenn er an gar nichts denke. Das könne er aber nicht allein, dazu müsse ihm immer jemand helfen; namentlich aber, sagte er, gelänge es ihm ganz und gar, an nichts zu denken, wenn ein deutscher Professor mit ihm discurire. Aber, erwiderte Saphir, ich bin ja kein Professor, im Gegentheil, ich leide an Diarrhöe. — Ferner S. 2W: „Ich arbeite sehr schnell; eines Tages kam Börne gegen zwölf Uhr Mittags zu mir hinauf und sagte: Heute haben Sie Ihre Vorlesung im Salon Bvssange, über was werden Sie lesen? — Heute ? rief ich erschrocken aus 5 heute? Schwerenoth, daran hab ich ganz vergessen! Nun muß ich mich gleich darüber machen. — Sie haben gewiß über dem Lohnt Zra8 gestern, über dem Zug des Faschingsochsen, daran vergessen. — Gewiß! aber der Ochs muß mir das vergüten! Einer hilft dem andern! Ich werde über den Zug des Faschingsochseu durch Paris lesen. — Gut, sagte Börne, ich will euch nicht stören, thut als ob ich gar nicht hier wäre. — Er setzte sich an den Kamin, ich an den Schreibtisch, und mein Ochs hatte in einer Stunde solche Fortschritte gemacht, daß wir beide ein bischen ruhen konnten. — Wie sind Sie glücklich, sagte Börne, so geschwind zu arbeiten, ich kann das nicht! — Ja, entgegnete ich, daher hält Ihre Arbeit für die Ewig¬ keit, meine aber ist bald zerbrochen und unbrauchbar!"— Es macht doch einen wohlthuenden Eindruck, wenn berühmte Männer auch einmal bescheiden sein können. — An dem Besuch bei dem sterbenden Anstophanes fehlt eS natürlich auch nicht. Heine schreibt von seinem neuen Freunde (S. 230): „Herr Saphir ist einer der geistreichsten Männer Deutschlands, und wir haben sehr viel gemeinschaftliche Feinde; dabei soll er sehr gutmüthig sein, was doch auch eine gute Eigenschaft ist." — Heine erzählt, daß er jährlich 6000 Franken von seiner Familie und 6000 Franken von Campe in Hamburg habe. Das sind jährlich 12,000 Franken Renten (3200 Thaler); er brauche aber wenigstens 20,000 Franken. — Es ist schmählig, was Deutschland seine Dichter hun¬ gern läßt! Herr Saphir hat vor einem Vierteljahrhundert ein Büchlein ge¬ schrieben: Die napoleoniden. „Ich sang jene Lieder des Schmerzes* über den Untergang einer erhabenen Erscheinung, als eS höchst unrathsam war, eine solche dichterische Begeisterung für den vom Himmel gestürzten Halb¬ gott zu Manifestiren u. s. w." Diese Gedichte hat er die Ehre gehabt, Sr. Majestät dem jetzigen Kaiser zu überreichen. „Es wäre nicht sehr zu verwundern, wenn die napoleoniden der Gegenwart einen Dichter freundlich aufnahmen, einen Dichter, dem die französische Literatur so schmeichelhafte An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/66>, abgerufen am 25.08.2024.