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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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einer Ausgabe von 1200 Millionen nur eine Einnahme von 1100 Millionen,
also ein Deficit von 100 Millionen für das erste Kriegsjahr. Dieses Deficit
muß für das Jahr 1833 noch ungleich größer werden. Zu den ordentlichen
Einnahmen von 8i0 Millionen können in diesem Jahre höchstens 60 Millionen
außerordentliche Einnahmen kommen, so daß bei einer Gesammteinnahme von
900 Millionen für 1833 ein Deficit von 300 Millionen Franken bleiben muß.
Dieses Deficit könnte nun, wird man sagen, gedeckt werden durch eine An¬
leihe oder durch eine neue Besteuerung oder durch die schwebende Schuld.

Die consolidirte Schuld Rußlands überschritt nicht 1600 Millionen Franken
vor der letzten Anleihe, und ist durch diese Anleihe etwa um 100 Millionen
vermehrt worden. Man kann nun behaupten, eine Vermehrung der russischen
Schuld um ein oder zwei Milliarden Franken während der Dauer des Krieges werde
mit den Hilfsquellen des Reiches in keinem Mißverhältniß stehen. Es han¬
delt sich aber nichl darum, ob Nußland für eine solche Summe zahlungsfähig
ist, sondern ob die ausländischen Capitalisten sie ihm darleihen werden. Nach¬
dem diese Capitalisten im Anfang des Krieges sich geweigert haben, Nußland
die Summe von 200 Millionen Franken darzuleihen, ist nicht zu erwarten, daß
sie jetzt, wo der Krieg für Rußland eine unglückliche Wendung genommen,
ihm 2 Milliarden leihen werden. Die neueste Anleihe von 30 Millionen
Rubel mit dem Petersburger Hause Stieglitz und Comp. hat selbst auf der
berliner Börse trotz der gemachten Concessionen kein günstiges Schicksal zu er¬
warten.

Es bliebe ihm also übrig, zu den einheimischen Capitalien, zu der
schwebenden Schuld seine Zuflucht zu nehmen. Diese Schuld hat aber be¬
reits eine unglaubliche Höhe erreicht. Außer dem Theile dieser Schuld,
welcher in circulirenden Serienbillets zu einem Wetthe von 300 Millionen
Franken (73 Millionen Rubel) besteht, circuliren noch für 800 Millionen
Papiergeld oder Creditbillets, die nur durch den Staatscredit garantirt sind.
Auf 1100 Millionen aber ist die schwebende Schuld nicht einmal zu ver¬
anschlagen. Es bestehen noch nu russischen Reiche "unter ausdrücklicher Ga¬
rantie der Regierung" Creditanstalten, Lombards und Banken, welche eine
Masse von Capitalien mit 4 Procent jährlich zu verzinsen haben. Diese
Capitalien betragen nach dem Bericht des Finanzministers vom 1. Januar
1833 die Summe von 806,683,233 Rubel oder 3,224,332,932 Franken, eine
Summe, welche größtentheils durch Hypothekentitel repräsentirt wird, die erst
in langer Zeit realisirt werden können.

Die schwebende Schuld wird die russische Negierung also schwerlich er¬
höhen können. Es bliebe ihr also, um ein Deficit von 300 Millionen zudecken,
nur die Besteuerung übrig. Nach dem russischen Publicisten ist die steuere
bare Materie in Rußland noch lange nicht erschöpft, wie in vielen andern


einer Ausgabe von 1200 Millionen nur eine Einnahme von 1100 Millionen,
also ein Deficit von 100 Millionen für das erste Kriegsjahr. Dieses Deficit
muß für das Jahr 1833 noch ungleich größer werden. Zu den ordentlichen
Einnahmen von 8i0 Millionen können in diesem Jahre höchstens 60 Millionen
außerordentliche Einnahmen kommen, so daß bei einer Gesammteinnahme von
900 Millionen für 1833 ein Deficit von 300 Millionen Franken bleiben muß.
Dieses Deficit könnte nun, wird man sagen, gedeckt werden durch eine An¬
leihe oder durch eine neue Besteuerung oder durch die schwebende Schuld.

Die consolidirte Schuld Rußlands überschritt nicht 1600 Millionen Franken
vor der letzten Anleihe, und ist durch diese Anleihe etwa um 100 Millionen
vermehrt worden. Man kann nun behaupten, eine Vermehrung der russischen
Schuld um ein oder zwei Milliarden Franken während der Dauer des Krieges werde
mit den Hilfsquellen des Reiches in keinem Mißverhältniß stehen. Es han¬
delt sich aber nichl darum, ob Nußland für eine solche Summe zahlungsfähig
ist, sondern ob die ausländischen Capitalisten sie ihm darleihen werden. Nach¬
dem diese Capitalisten im Anfang des Krieges sich geweigert haben, Nußland
die Summe von 200 Millionen Franken darzuleihen, ist nicht zu erwarten, daß
sie jetzt, wo der Krieg für Rußland eine unglückliche Wendung genommen,
ihm 2 Milliarden leihen werden. Die neueste Anleihe von 30 Millionen
Rubel mit dem Petersburger Hause Stieglitz und Comp. hat selbst auf der
berliner Börse trotz der gemachten Concessionen kein günstiges Schicksal zu er¬
warten.

Es bliebe ihm also übrig, zu den einheimischen Capitalien, zu der
schwebenden Schuld seine Zuflucht zu nehmen. Diese Schuld hat aber be¬
reits eine unglaubliche Höhe erreicht. Außer dem Theile dieser Schuld,
welcher in circulirenden Serienbillets zu einem Wetthe von 300 Millionen
Franken (73 Millionen Rubel) besteht, circuliren noch für 800 Millionen
Papiergeld oder Creditbillets, die nur durch den Staatscredit garantirt sind.
Auf 1100 Millionen aber ist die schwebende Schuld nicht einmal zu ver¬
anschlagen. Es bestehen noch nu russischen Reiche „unter ausdrücklicher Ga¬
rantie der Regierung" Creditanstalten, Lombards und Banken, welche eine
Masse von Capitalien mit 4 Procent jährlich zu verzinsen haben. Diese
Capitalien betragen nach dem Bericht des Finanzministers vom 1. Januar
1833 die Summe von 806,683,233 Rubel oder 3,224,332,932 Franken, eine
Summe, welche größtentheils durch Hypothekentitel repräsentirt wird, die erst
in langer Zeit realisirt werden können.

Die schwebende Schuld wird die russische Negierung also schwerlich er¬
höhen können. Es bliebe ihr also, um ein Deficit von 300 Millionen zudecken,
nur die Besteuerung übrig. Nach dem russischen Publicisten ist die steuere
bare Materie in Rußland noch lange nicht erschöpft, wie in vielen andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/62>, abgerufen am 23.07.2024.