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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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im letzten Augenblick ergriff, sich in Europa eine Achtung verschafft, wie es seit
181S nicht genossen hat. Vergleicht man die moralische Machtstellung Preu¬
ßens uno Oestreichs in Europa, so ist es ungefähr so, als ob Preußen der
Alliirte Rußlands, Oestreich der der Westmächte gewesen wäre. Die moralische
Machtstellung des einen ist ebenso sehr erhöht, als die des andern vermindert
ist, vermindert ist aber vor allen Dingen die Machtstellung Preußens dadurch,
daß sich in Europa der Glaube verbreitet, daß Preußen nun einmal wenig¬
stens für Fragen des politischen Einflusses das Schwert nicht ziehen werde,
daß es ihm gleichgiltig sei, ob in dem Verhältnisse europäischer Völker zu ein¬
ander Recht oder Unrecht gilt. Eine solche Auffassung ist nicht nur für Preußen
und für Deutschland ein großes Unglück, sondern, da sie nur Thatsachen weichen
kann/ wird es viel Opfer kosten, ehe sie einer andern Auffassung Platz macht.

Der Friedensschluß wird nicht ohne unmittelbare Wirkung auf einige
untergeordnete , grade jetzt hängende europäische Fragen bleiben. Die Differenz
Englands mit Nordamerika hatte nur unter der Voraussetzung einen gefähr¬
lichen Charakter, daß England im Krieg mit Rußland blieb. Nordamerika
wird jetzt bereit sein, die Differenzen rasch zu erledigen. Ebenso werden die
Ansprüche Nordamerikas aus Sundzollfreiheit jetzt nicht ohne Einmischung
andrer Mächte verhandelt werden.

In Deutschland wird der Friedensschluß wol überall mit Freuden begrüßt
werden und doch wird er grade für Deutschland vielleicht nur der Anfangspunkt
bewegter Zeiten sein. In den innern Verhältnissen der einzelnen Staaten
wird die Reaction nicht mehr durch die Furcht vor einem Kriege zurückgehalten
werden, wir können erwarten, daß jetzt die letzten Rücksichten bei Seite gesetzt
werden, aber auf der andern Seite ist sür Deutschland die Zeit der heiligen
Allianz, der Solidarität der conservativen Interessen vorbei. Der Krieg hat
den Gegensatz zwischen Preußen und Oestreich stärker hervortreten lassen und
da Rußland nicht mehr wie vor dem Kriege zwischen beiden das Gleichgewicht
halten, Preußen sich vielmehr einseitig an Rußland, Oestreich an Frank¬
reich anlehnen wird, Frankreich und Rußland aber kein Interesse an der
Aufrechterhaltung des Friedens in Deutschland haben, so gehen wir Ver¬
wicklungen entgegen, welche zu tiefgreifenden Veränderungen führen können.
Der letzte Krieg hat diesen Verwicklungen eine neue Handhabe gegeben. Die
Bundesverfassung hat sich als unbrauchbar erwiesen; sie gibt kein Mittel, um eine
einige Action herbeizuführen, ebenso ohnmächtig dafür hat sich die öffentliche
Meinung gezeigt. Organische Mittel der Heilung zeigen sich keine. So tritt
Deutschland in einen neuen und ohne Zweifel bewegteren Zeitabschnitt der
europäischen Völkergeschichte ein.




im letzten Augenblick ergriff, sich in Europa eine Achtung verschafft, wie es seit
181S nicht genossen hat. Vergleicht man die moralische Machtstellung Preu¬
ßens uno Oestreichs in Europa, so ist es ungefähr so, als ob Preußen der
Alliirte Rußlands, Oestreich der der Westmächte gewesen wäre. Die moralische
Machtstellung des einen ist ebenso sehr erhöht, als die des andern vermindert
ist, vermindert ist aber vor allen Dingen die Machtstellung Preußens dadurch,
daß sich in Europa der Glaube verbreitet, daß Preußen nun einmal wenig¬
stens für Fragen des politischen Einflusses das Schwert nicht ziehen werde,
daß es ihm gleichgiltig sei, ob in dem Verhältnisse europäischer Völker zu ein¬
ander Recht oder Unrecht gilt. Eine solche Auffassung ist nicht nur für Preußen
und für Deutschland ein großes Unglück, sondern, da sie nur Thatsachen weichen
kann/ wird es viel Opfer kosten, ehe sie einer andern Auffassung Platz macht.

Der Friedensschluß wird nicht ohne unmittelbare Wirkung auf einige
untergeordnete , grade jetzt hängende europäische Fragen bleiben. Die Differenz
Englands mit Nordamerika hatte nur unter der Voraussetzung einen gefähr¬
lichen Charakter, daß England im Krieg mit Rußland blieb. Nordamerika
wird jetzt bereit sein, die Differenzen rasch zu erledigen. Ebenso werden die
Ansprüche Nordamerikas aus Sundzollfreiheit jetzt nicht ohne Einmischung
andrer Mächte verhandelt werden.

In Deutschland wird der Friedensschluß wol überall mit Freuden begrüßt
werden und doch wird er grade für Deutschland vielleicht nur der Anfangspunkt
bewegter Zeiten sein. In den innern Verhältnissen der einzelnen Staaten
wird die Reaction nicht mehr durch die Furcht vor einem Kriege zurückgehalten
werden, wir können erwarten, daß jetzt die letzten Rücksichten bei Seite gesetzt
werden, aber auf der andern Seite ist sür Deutschland die Zeit der heiligen
Allianz, der Solidarität der conservativen Interessen vorbei. Der Krieg hat
den Gegensatz zwischen Preußen und Oestreich stärker hervortreten lassen und
da Rußland nicht mehr wie vor dem Kriege zwischen beiden das Gleichgewicht
halten, Preußen sich vielmehr einseitig an Rußland, Oestreich an Frank¬
reich anlehnen wird, Frankreich und Rußland aber kein Interesse an der
Aufrechterhaltung des Friedens in Deutschland haben, so gehen wir Ver¬
wicklungen entgegen, welche zu tiefgreifenden Veränderungen führen können.
Der letzte Krieg hat diesen Verwicklungen eine neue Handhabe gegeben. Die
Bundesverfassung hat sich als unbrauchbar erwiesen; sie gibt kein Mittel, um eine
einige Action herbeizuführen, ebenso ohnmächtig dafür hat sich die öffentliche
Meinung gezeigt. Organische Mittel der Heilung zeigen sich keine. So tritt
Deutschland in einen neuen und ohne Zweifel bewegteren Zeitabschnitt der
europäischen Völkergeschichte ein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/526>, abgerufen am 25.08.2024.