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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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lischen d. h. egoistischen Vorurtheilen ausgehen, und wenn wir auch über¬
zeugt sind, daß sie uns in einem ähnlichen Fall im Stich lassen.

So entschieden wir an dem Kampf gegen die ständischen Sonderrechte
Theil nehmen, so entschieden müssen wir uns gegen den staatlichen Absolutis¬
mus in seiner polizeilichen Function erklären. Das System hat einen wesent¬
lich französischen, einen undeutschen Charakter. Man vergesse doch nicht den
Walde'cksctzen Proceß, man vergesse nicht die Geschichte der Konstitutionellen
Zeitung.

Daß man übrigens das Ereigniß sehr ernst auffaßt, ist vollkommen ge¬
rechtfertigt, denn es ist ein Symptom von dem allmälig hervortretenden Ge¬
gensatz zwischen zwei Richtungen, die bisher, wie z. B. eben im Waldeckschen Pro¬
ceß, sich einander in die Arme griffen. Man muß diesen Gegensatz nicht so
auffassen, als ob etwa die äußerste Rechte auf der einen, die andre Rechte auf
der andern Seite stände; im Gegentheil wird die Parteibildung, wenn es erst
einmal dahin kommt, nach beiden Seiten hin die wunderlichsten Wandlungen
hervorrufen.

Noch ein Wort über die Form, in welcher der Conflict ausgefochten wurde.
Wir halten den allgemeinen Schrei des Unwillens, der durch ganz Deutschland
geht, für ein sehr wichtiges Symptom. Worüber erhebt sich eigentlich jener
Unwille? So viel wir aus den freilich unvollständigen Berichten urtheilen
dürfen, ist in der Form alles in der Ordnung gewesen. Der "edle Hans von
Rochow" hat, wie sich der Präsident des Herrenhauses ausdrückte, um der
Ehre willen das Gesetz gebrochen, und sein Gegner, gleichfalls ein Edelmann,
hat außerdem noch die Rücksicht auf sein Amt geopfert. Die Ausführung des
Duells war nach dem Zeugniß des Unparteiischen völlig dem Herkommen ge¬
mäß, und wen von den beiden Gegnern in Beziehung auf die Veranlassung
der größere Tadel trifft, darüber liegen die Acten wenigstens noch nicht voll¬
ständig vor.

Der allgemeine Unwille bezieht sich vielmehr darauf, daß Rücksichten auf
die gesellschaftlichen Vorurtheile eines Standes einen hochgestellten Staats¬
mann zwingen konnten, sich einem so verwegenen Spiel auszusetzen, und weil
man hier sehr richtig herausfühlt, daß der. Zwang vorzugsweise gegen den
älteren Mann, den glücklichen Familienvater, den einflußreichen Staatsmann
gerichtet war, nicht gegen den jungen Offizier, darum nimmt man für den
erster" gegen den letztern Partei. Eigentlich gilt der Unwille aber nicht der
Person, sondern dem gesellschaftlichen Vorurtheil, welches in jener Person seinen
Träger fand.

Wir halten diese allgemeine Kundgebung der öffentlichen Meinung für
wichtig, weil sie zeigt, daß die aristokratische Form des Ehrengesetzeö nicht
mehr populär ist, daß die öffentliche Meinung vielmehr nach den bürgerlichen


Grenzboten. I. -I8so. Kg

lischen d. h. egoistischen Vorurtheilen ausgehen, und wenn wir auch über¬
zeugt sind, daß sie uns in einem ähnlichen Fall im Stich lassen.

So entschieden wir an dem Kampf gegen die ständischen Sonderrechte
Theil nehmen, so entschieden müssen wir uns gegen den staatlichen Absolutis¬
mus in seiner polizeilichen Function erklären. Das System hat einen wesent¬
lich französischen, einen undeutschen Charakter. Man vergesse doch nicht den
Walde'cksctzen Proceß, man vergesse nicht die Geschichte der Konstitutionellen
Zeitung.

Daß man übrigens das Ereigniß sehr ernst auffaßt, ist vollkommen ge¬
rechtfertigt, denn es ist ein Symptom von dem allmälig hervortretenden Ge¬
gensatz zwischen zwei Richtungen, die bisher, wie z. B. eben im Waldeckschen Pro¬
ceß, sich einander in die Arme griffen. Man muß diesen Gegensatz nicht so
auffassen, als ob etwa die äußerste Rechte auf der einen, die andre Rechte auf
der andern Seite stände; im Gegentheil wird die Parteibildung, wenn es erst
einmal dahin kommt, nach beiden Seiten hin die wunderlichsten Wandlungen
hervorrufen.

Noch ein Wort über die Form, in welcher der Conflict ausgefochten wurde.
Wir halten den allgemeinen Schrei des Unwillens, der durch ganz Deutschland
geht, für ein sehr wichtiges Symptom. Worüber erhebt sich eigentlich jener
Unwille? So viel wir aus den freilich unvollständigen Berichten urtheilen
dürfen, ist in der Form alles in der Ordnung gewesen. Der „edle Hans von
Rochow" hat, wie sich der Präsident des Herrenhauses ausdrückte, um der
Ehre willen das Gesetz gebrochen, und sein Gegner, gleichfalls ein Edelmann,
hat außerdem noch die Rücksicht auf sein Amt geopfert. Die Ausführung des
Duells war nach dem Zeugniß des Unparteiischen völlig dem Herkommen ge¬
mäß, und wen von den beiden Gegnern in Beziehung auf die Veranlassung
der größere Tadel trifft, darüber liegen die Acten wenigstens noch nicht voll¬
ständig vor.

Der allgemeine Unwille bezieht sich vielmehr darauf, daß Rücksichten auf
die gesellschaftlichen Vorurtheile eines Standes einen hochgestellten Staats¬
mann zwingen konnten, sich einem so verwegenen Spiel auszusetzen, und weil
man hier sehr richtig herausfühlt, daß der. Zwang vorzugsweise gegen den
älteren Mann, den glücklichen Familienvater, den einflußreichen Staatsmann
gerichtet war, nicht gegen den jungen Offizier, darum nimmt man für den
erster« gegen den letztern Partei. Eigentlich gilt der Unwille aber nicht der
Person, sondern dem gesellschaftlichen Vorurtheil, welches in jener Person seinen
Träger fand.

Wir halten diese allgemeine Kundgebung der öffentlichen Meinung für
wichtig, weil sie zeigt, daß die aristokratische Form des Ehrengesetzeö nicht
mehr populär ist, daß die öffentliche Meinung vielmehr nach den bürgerlichen


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[0521] lischen d. h. egoistischen Vorurtheilen ausgehen, und wenn wir auch über¬ zeugt sind, daß sie uns in einem ähnlichen Fall im Stich lassen. So entschieden wir an dem Kampf gegen die ständischen Sonderrechte Theil nehmen, so entschieden müssen wir uns gegen den staatlichen Absolutis¬ mus in seiner polizeilichen Function erklären. Das System hat einen wesent¬ lich französischen, einen undeutschen Charakter. Man vergesse doch nicht den Walde'cksctzen Proceß, man vergesse nicht die Geschichte der Konstitutionellen Zeitung. Daß man übrigens das Ereigniß sehr ernst auffaßt, ist vollkommen ge¬ rechtfertigt, denn es ist ein Symptom von dem allmälig hervortretenden Ge¬ gensatz zwischen zwei Richtungen, die bisher, wie z. B. eben im Waldeckschen Pro¬ ceß, sich einander in die Arme griffen. Man muß diesen Gegensatz nicht so auffassen, als ob etwa die äußerste Rechte auf der einen, die andre Rechte auf der andern Seite stände; im Gegentheil wird die Parteibildung, wenn es erst einmal dahin kommt, nach beiden Seiten hin die wunderlichsten Wandlungen hervorrufen. Noch ein Wort über die Form, in welcher der Conflict ausgefochten wurde. Wir halten den allgemeinen Schrei des Unwillens, der durch ganz Deutschland geht, für ein sehr wichtiges Symptom. Worüber erhebt sich eigentlich jener Unwille? So viel wir aus den freilich unvollständigen Berichten urtheilen dürfen, ist in der Form alles in der Ordnung gewesen. Der „edle Hans von Rochow" hat, wie sich der Präsident des Herrenhauses ausdrückte, um der Ehre willen das Gesetz gebrochen, und sein Gegner, gleichfalls ein Edelmann, hat außerdem noch die Rücksicht auf sein Amt geopfert. Die Ausführung des Duells war nach dem Zeugniß des Unparteiischen völlig dem Herkommen ge¬ mäß, und wen von den beiden Gegnern in Beziehung auf die Veranlassung der größere Tadel trifft, darüber liegen die Acten wenigstens noch nicht voll¬ ständig vor. Der allgemeine Unwille bezieht sich vielmehr darauf, daß Rücksichten auf die gesellschaftlichen Vorurtheile eines Standes einen hochgestellten Staats¬ mann zwingen konnten, sich einem so verwegenen Spiel auszusetzen, und weil man hier sehr richtig herausfühlt, daß der. Zwang vorzugsweise gegen den älteren Mann, den glücklichen Familienvater, den einflußreichen Staatsmann gerichtet war, nicht gegen den jungen Offizier, darum nimmt man für den erster« gegen den letztern Partei. Eigentlich gilt der Unwille aber nicht der Person, sondern dem gesellschaftlichen Vorurtheil, welches in jener Person seinen Träger fand. Wir halten diese allgemeine Kundgebung der öffentlichen Meinung für wichtig, weil sie zeigt, daß die aristokratische Form des Ehrengesetzeö nicht mehr populär ist, daß die öffentliche Meinung vielmehr nach den bürgerlichen Grenzboten. I. -I8so. Kg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/521>, abgerufen am 23.07.2024.