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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Absolutismus Hand in Hand. So absurd diese Behauptung ist, so muß man
doch sorgfältig auch den Anschein vermeiden, als ob etwas dahinter sein
könne.

Es ist neulich von der Kreuzzeitungspartei in dem Haus der Abgeordneten
der Antrag gestellt worden, aus der Verfassung den Paragraph: "Alle Preußen
sind vor dem Gesetz gleich; Standesvorrechte finden nicht statt," zu streichen.
Der Antrag ist durch die Einstimmung der liberalen und der ministeriellen Partei
gefallen, und wir freuen uns sehr darüber, denn wenn auch nicht in jenem
Paragraph selbst, so doch jedenfalls in dem Grundsatz, den er ausdrückt, be¬
ruht der Kern der künftigen preußischen Entwicklung. Aber es ist nicht un¬
bedenklich, den Grundsatz: Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich, dahin zu
erweitern: Alle Preußen sind vor der Polizei gleich. Es ist darum nicht un¬
bedenklich, weil die Polizei nothwendig eine discretionäre Gewalt-ausübt, weil
sie es vorzugsweise mit Vagabunden zu thun hat und daher Kiehl zu dem
Irrthum verleitet werden .kann, im Interesse der Gleichheit auch die ordentlichen
Leute, mit denen sie es zufällig zu thun bekommt, als Vagabunden zu be¬
handeln. Daß eine solche Theorie auch praktisch recht bedenklich sein kann,
wird jeder begreifen, der einen Blick in das Schwarze Buch gethan hat. Wenn
Männer, wie Heinrich von Arnim, oder der Geheime Justizrath Heffter, als
gefährliche Subjecte bezeichnet werden, aus welche die Polizei zu vigiliren habe,
so ist es nicht unbedenklich, in diese Praxis die Theorie einzuführen, alle
Preußen seien vor der Polizei gleich.

Man entgegne uns nicht, daß diese Bemerkungen auf den vorliegenden
Fall nicht passen; sie passen doch. Ob Herr v. Rochow Recht oder Unrecht
hatte, sich durch das amtliche Verfahren des Herrn v. Hinckeldey verletzt zu
fühlen, darüber steht uns durchaus kein Urtheil zu, denn wir sind in die
Mysterien des Jockeyclubs nicht eingeweiht und haben daher von dem Detail
des Vorfalls keine Kenntniß; aber wir sehen, daß sich eine ständische, oder,
was hier dasselbe sagen will, gesellschaftliche Stellung gegen die amtliche Wirk¬
samkeit der Polizei auflehnt, und eine solche Auflehnung, mag sie auch dies¬
mal in ihrem Motiv ungerechtfertigt, in der Art und Weise ihrer Durch¬
führung tadelnswert!) sein, ist doch im Allgemeinen nicht so etwas Staats¬
feindliches, als man es jetzt darstellen will. Freilich hat die Aristokratie ganz
andere Mittel in der Hand, ihre Opposition in dieser Beziehung geltend zu
machen, als wir; aber der Verdruß über diese Ungleichheit der Situation kann
uns doch nicht bestimmen, unsre Grundsätze zu ändern. Auch wir wünschen,
daß die Polizei sich so wenig als irgend möglich in das Privatleben einmische,
daß ihre discretionäre Gewalt auf das Allernothwendigste beschränkt werde,
und insofern sich in dem Lager der sogenannten "kleinen Herren" derselbe
Wunsch regt, stehen wir auf ihrer Seite, wenn sie dabei auch von aristokra-


Absolutismus Hand in Hand. So absurd diese Behauptung ist, so muß man
doch sorgfältig auch den Anschein vermeiden, als ob etwas dahinter sein
könne.

Es ist neulich von der Kreuzzeitungspartei in dem Haus der Abgeordneten
der Antrag gestellt worden, aus der Verfassung den Paragraph: „Alle Preußen
sind vor dem Gesetz gleich; Standesvorrechte finden nicht statt," zu streichen.
Der Antrag ist durch die Einstimmung der liberalen und der ministeriellen Partei
gefallen, und wir freuen uns sehr darüber, denn wenn auch nicht in jenem
Paragraph selbst, so doch jedenfalls in dem Grundsatz, den er ausdrückt, be¬
ruht der Kern der künftigen preußischen Entwicklung. Aber es ist nicht un¬
bedenklich, den Grundsatz: Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich, dahin zu
erweitern: Alle Preußen sind vor der Polizei gleich. Es ist darum nicht un¬
bedenklich, weil die Polizei nothwendig eine discretionäre Gewalt-ausübt, weil
sie es vorzugsweise mit Vagabunden zu thun hat und daher Kiehl zu dem
Irrthum verleitet werden .kann, im Interesse der Gleichheit auch die ordentlichen
Leute, mit denen sie es zufällig zu thun bekommt, als Vagabunden zu be¬
handeln. Daß eine solche Theorie auch praktisch recht bedenklich sein kann,
wird jeder begreifen, der einen Blick in das Schwarze Buch gethan hat. Wenn
Männer, wie Heinrich von Arnim, oder der Geheime Justizrath Heffter, als
gefährliche Subjecte bezeichnet werden, aus welche die Polizei zu vigiliren habe,
so ist es nicht unbedenklich, in diese Praxis die Theorie einzuführen, alle
Preußen seien vor der Polizei gleich.

Man entgegne uns nicht, daß diese Bemerkungen auf den vorliegenden
Fall nicht passen; sie passen doch. Ob Herr v. Rochow Recht oder Unrecht
hatte, sich durch das amtliche Verfahren des Herrn v. Hinckeldey verletzt zu
fühlen, darüber steht uns durchaus kein Urtheil zu, denn wir sind in die
Mysterien des Jockeyclubs nicht eingeweiht und haben daher von dem Detail
des Vorfalls keine Kenntniß; aber wir sehen, daß sich eine ständische, oder,
was hier dasselbe sagen will, gesellschaftliche Stellung gegen die amtliche Wirk¬
samkeit der Polizei auflehnt, und eine solche Auflehnung, mag sie auch dies¬
mal in ihrem Motiv ungerechtfertigt, in der Art und Weise ihrer Durch¬
führung tadelnswert!) sein, ist doch im Allgemeinen nicht so etwas Staats¬
feindliches, als man es jetzt darstellen will. Freilich hat die Aristokratie ganz
andere Mittel in der Hand, ihre Opposition in dieser Beziehung geltend zu
machen, als wir; aber der Verdruß über diese Ungleichheit der Situation kann
uns doch nicht bestimmen, unsre Grundsätze zu ändern. Auch wir wünschen,
daß die Polizei sich so wenig als irgend möglich in das Privatleben einmische,
daß ihre discretionäre Gewalt auf das Allernothwendigste beschränkt werde,
und insofern sich in dem Lager der sogenannten „kleinen Herren" derselbe
Wunsch regt, stehen wir auf ihrer Seite, wenn sie dabei auch von aristokra-


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[0520] Absolutismus Hand in Hand. So absurd diese Behauptung ist, so muß man doch sorgfältig auch den Anschein vermeiden, als ob etwas dahinter sein könne. Es ist neulich von der Kreuzzeitungspartei in dem Haus der Abgeordneten der Antrag gestellt worden, aus der Verfassung den Paragraph: „Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich; Standesvorrechte finden nicht statt," zu streichen. Der Antrag ist durch die Einstimmung der liberalen und der ministeriellen Partei gefallen, und wir freuen uns sehr darüber, denn wenn auch nicht in jenem Paragraph selbst, so doch jedenfalls in dem Grundsatz, den er ausdrückt, be¬ ruht der Kern der künftigen preußischen Entwicklung. Aber es ist nicht un¬ bedenklich, den Grundsatz: Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich, dahin zu erweitern: Alle Preußen sind vor der Polizei gleich. Es ist darum nicht un¬ bedenklich, weil die Polizei nothwendig eine discretionäre Gewalt-ausübt, weil sie es vorzugsweise mit Vagabunden zu thun hat und daher Kiehl zu dem Irrthum verleitet werden .kann, im Interesse der Gleichheit auch die ordentlichen Leute, mit denen sie es zufällig zu thun bekommt, als Vagabunden zu be¬ handeln. Daß eine solche Theorie auch praktisch recht bedenklich sein kann, wird jeder begreifen, der einen Blick in das Schwarze Buch gethan hat. Wenn Männer, wie Heinrich von Arnim, oder der Geheime Justizrath Heffter, als gefährliche Subjecte bezeichnet werden, aus welche die Polizei zu vigiliren habe, so ist es nicht unbedenklich, in diese Praxis die Theorie einzuführen, alle Preußen seien vor der Polizei gleich. Man entgegne uns nicht, daß diese Bemerkungen auf den vorliegenden Fall nicht passen; sie passen doch. Ob Herr v. Rochow Recht oder Unrecht hatte, sich durch das amtliche Verfahren des Herrn v. Hinckeldey verletzt zu fühlen, darüber steht uns durchaus kein Urtheil zu, denn wir sind in die Mysterien des Jockeyclubs nicht eingeweiht und haben daher von dem Detail des Vorfalls keine Kenntniß; aber wir sehen, daß sich eine ständische, oder, was hier dasselbe sagen will, gesellschaftliche Stellung gegen die amtliche Wirk¬ samkeit der Polizei auflehnt, und eine solche Auflehnung, mag sie auch dies¬ mal in ihrem Motiv ungerechtfertigt, in der Art und Weise ihrer Durch¬ führung tadelnswert!) sein, ist doch im Allgemeinen nicht so etwas Staats¬ feindliches, als man es jetzt darstellen will. Freilich hat die Aristokratie ganz andere Mittel in der Hand, ihre Opposition in dieser Beziehung geltend zu machen, als wir; aber der Verdruß über diese Ungleichheit der Situation kann uns doch nicht bestimmen, unsre Grundsätze zu ändern. Auch wir wünschen, daß die Polizei sich so wenig als irgend möglich in das Privatleben einmische, daß ihre discretionäre Gewalt auf das Allernothwendigste beschränkt werde, und insofern sich in dem Lager der sogenannten „kleinen Herren" derselbe Wunsch regt, stehen wir auf ihrer Seite, wenn sie dabei auch von aristokra-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/520>, abgerufen am 23.07.2024.