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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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unse um vieles erhöhen; wie denn überhaupt erst mit der Vollendung deö
Ganzen auch ein in sich vollendeter Totaleindruck erreicht werden kann.

Was in dieser Hinsicht -- wenn auch ohne Schuld des Verfassers --
dem Leser zu wünschen übrigbleibt, wird ihm reichlich vergütet durch die Art
und Weise, wie die Entwicklung Mozarts innerhalb des ganzen ihn umgeben¬
den Compleres persönlicher, örtlicher und sachlicher Verhältnisse zur An¬
schauung gebracht wied. Der Verfasser hat es sich angelegen sein lassen, alles,
was sich nicht nur auf die Glieder der mozartschen Familie, an ihrer Spitze
den gescheidten, tüchtigen, gewissenhaften und umsichtigen Vater, und deren
nächste Freunde, sondern auch auf Personen bezieht, mit denen Mozart ent¬
weder in Salzburg oder auf seinen Reisen in nähere oder entferntere Berüh¬
rung gekommen ist, 'mit dem sorgsamsten Fleiße zu erforschen, und seine Dar¬
stellung hat dadurch ein individuelles Leben und eine wohlthuende Anschaulich¬
keit gewonnen. Werkes weiß, welche Mühe Vergleiche" Untersuchungen über
untergeordnete Personen und Verhältnisse, meist ans dem Gebiete des Theater-
und Hoflebens in der Mitte ,des vorigen Jahrhunderts, machen, -- Nach¬
forschungen, deren Ergebniß oft eine Anmerkung von ein paar Zeilen enthält,
obwol sie den Suchenden Tagelang ausgehalten haben mögen, -- wird dem
Verfasser die sorgfältige Berücksichtigung dieser Nebenpunklc zu danken wissen,
um so mehr, als es mit der in den Anmerkungen enthaltene" Gelehrsamkeit
ohnedies jeder Leser halten mag, wie er will. Noch werthvoller und belehren¬
der ist aber die Darlegung der Bedingungen, welche für die Kunstübung des
jungen Mozart in den zu jener Zeit ausgeprägten musikalischen Formen ge¬
geben waren'. Die Nachweisung, wie und aus welche Veranlassu-ngen die O^ra
sol'la die Gestalt bekommen hatte, in der sie Mozart in Italien vorfand, wie
die Opera bulla sich von ihr abzweigte und warum die letztere Elemente in sich
aufzunehmen im Stande war, die ihr rasch die Vorliebe des Publicums er¬
warben , die Erörterungen über die Entstehung deö Oratoriums, über die
verschiedenen Formen der Kirchenmusik und die Gründe ihres Zurückgehens
von ihrem alten strengen, ursprünglich auf dem Chorgesang beruhenden Cha¬
rakter, über die damals üblichen Formen der Instrumentalmusik, über da>?
Verhältniß der letzteren zum Gesang -- alle diese Schilderungen und Erörte¬
rungen geben nicht nur ein lebendiges Bild des damaligen musikalischen Lebens
und Treibens, sondern sie sind auch für Mozart und die Richtungen, in wel¬
chen wir ihn in dieser Periode als Künstler sich bewegen sehen, gradezu ent¬
scheidend. Durch diese kunstgeschichtlichen Episoden allgemeineren Inhalts er¬
reicht der Verfasser, was sich durch historische Untersuchung- überhaupt für das
Verständniß des Entwicklungsganges eiues Künstlers erreichen läßt. Was
sich erreichen läßt; -- denn wie genau anch die historische Forschung in das
kleinste Detail der äußern Bedingungen und Umgebungen eines solchen Lebens-


unse um vieles erhöhen; wie denn überhaupt erst mit der Vollendung deö
Ganzen auch ein in sich vollendeter Totaleindruck erreicht werden kann.

Was in dieser Hinsicht — wenn auch ohne Schuld des Verfassers —
dem Leser zu wünschen übrigbleibt, wird ihm reichlich vergütet durch die Art
und Weise, wie die Entwicklung Mozarts innerhalb des ganzen ihn umgeben¬
den Compleres persönlicher, örtlicher und sachlicher Verhältnisse zur An¬
schauung gebracht wied. Der Verfasser hat es sich angelegen sein lassen, alles,
was sich nicht nur auf die Glieder der mozartschen Familie, an ihrer Spitze
den gescheidten, tüchtigen, gewissenhaften und umsichtigen Vater, und deren
nächste Freunde, sondern auch auf Personen bezieht, mit denen Mozart ent¬
weder in Salzburg oder auf seinen Reisen in nähere oder entferntere Berüh¬
rung gekommen ist, 'mit dem sorgsamsten Fleiße zu erforschen, und seine Dar¬
stellung hat dadurch ein individuelles Leben und eine wohlthuende Anschaulich¬
keit gewonnen. Werkes weiß, welche Mühe Vergleiche» Untersuchungen über
untergeordnete Personen und Verhältnisse, meist ans dem Gebiete des Theater-
und Hoflebens in der Mitte ,des vorigen Jahrhunderts, machen, — Nach¬
forschungen, deren Ergebniß oft eine Anmerkung von ein paar Zeilen enthält,
obwol sie den Suchenden Tagelang ausgehalten haben mögen, — wird dem
Verfasser die sorgfältige Berücksichtigung dieser Nebenpunklc zu danken wissen,
um so mehr, als es mit der in den Anmerkungen enthaltene» Gelehrsamkeit
ohnedies jeder Leser halten mag, wie er will. Noch werthvoller und belehren¬
der ist aber die Darlegung der Bedingungen, welche für die Kunstübung des
jungen Mozart in den zu jener Zeit ausgeprägten musikalischen Formen ge¬
geben waren'. Die Nachweisung, wie und aus welche Veranlassu-ngen die O^ra
sol'la die Gestalt bekommen hatte, in der sie Mozart in Italien vorfand, wie
die Opera bulla sich von ihr abzweigte und warum die letztere Elemente in sich
aufzunehmen im Stande war, die ihr rasch die Vorliebe des Publicums er¬
warben , die Erörterungen über die Entstehung deö Oratoriums, über die
verschiedenen Formen der Kirchenmusik und die Gründe ihres Zurückgehens
von ihrem alten strengen, ursprünglich auf dem Chorgesang beruhenden Cha¬
rakter, über die damals üblichen Formen der Instrumentalmusik, über da>?
Verhältniß der letzteren zum Gesang — alle diese Schilderungen und Erörte¬
rungen geben nicht nur ein lebendiges Bild des damaligen musikalischen Lebens
und Treibens, sondern sie sind auch für Mozart und die Richtungen, in wel¬
chen wir ihn in dieser Periode als Künstler sich bewegen sehen, gradezu ent¬
scheidend. Durch diese kunstgeschichtlichen Episoden allgemeineren Inhalts er¬
reicht der Verfasser, was sich durch historische Untersuchung- überhaupt für das
Verständniß des Entwicklungsganges eiues Künstlers erreichen läßt. Was
sich erreichen läßt; — denn wie genau anch die historische Forschung in das
kleinste Detail der äußern Bedingungen und Umgebungen eines solchen Lebens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/52>, abgerufen am 23.07.2024.