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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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in einen Markt endigenden Gasse besteht, hat es gleich den Dörfern deS Lan¬
des fast nur Strohvächer. Meine Aussicht aus dem Gasthof ging auf einen
gepflasterten, grasbewachsenen stillen Marktplatz. Gegenüber standen rothe
Ziegelhäuser mit Erkergiebeln, hübschen weißen Fensterrahmen und dicken, grauen,
moosgeschmückten Strohdächern, welche die Giebel wie grönländische Pelzmützen
einhüllen. Fast auf allen Firsten klapperten Störche ihren Kindern das Abend¬
wiegenlied vor. Fast vor allen Thüren standen Linden, vom Abendroth an¬
gehaucht. Fast hinter jeder Linde lag auf einer bunt angestrichnen Bank ein
Mann in einer Tabakswolke, mit der er sich den Kuhstallduft gewürzt, der
auch hier den Hauptbestandtheil der Atmosphäre bildet. Auf einem Holz¬
haufen spielten Kinder mit jungen Katzen. Unter einem Baume schlachtete ein
Metzger in Kniehosen, weißer Schürze und spitzer Zipfelmütze ein Kalb aus,
das an dem einen Aste aufgehangen war. In der That, es war ganz wie in
dem Abcbuche, aus dem ich vor dreißig Jahren die Kunst des Lesens mir an¬
eignete.

Zu diesem primitiven Bilde stimmte die Gaststube nur zum Theil. Es
war ein elegantes Zimmer mit hübschen Spiegeln und Mahagonimöbeln. An
dem Spiegel steckten Adressen in englischer Sprache, auf den Tischen lagen die
neuesten Hamburger Zeitungen. Selbst Mixpickles erschienen, das Abendbrot
zu würzen. Aber die Adressen gehörten londoner Ochsenhändlern, und das Ge¬
spräch der Gäste, durchgehends langer Männer mit langen ernsten Gesichtern
und langen Tabakspfeifen, die gleich Dampfessen qualmten, drehte sich nur
zwischen den Viehpreisen und der demnächst abzuhaltenden Thierschau.

H usum, die letzte Stadt nach Süden hin, wo man bisweilen noch Frie¬
sisch reden hört, ist nicht nur größer, sondern auch beträchtlich vornehmer, als
Bredstedt. Man bemerkt sofort den Einfluß des Hafens und der Eisenbahn.
Auch muß die Stadt schon früher wohlhabend gewesen sein; denn häusig trifft
man stattliche alterthümliche Gebäude mit verzierten Giebeln und steinernen
Freitreppen, denen die Linden vor der Thür und die Gärten hinter ihnen ein
recht anmuthig behagliches Aussehn verleihen. In keinem Orte der Herzog-
thümer sah ich einen so seltsamen Geschmack im Anstrich der Häuser, wie hier
in den Nebengassen. Da sind einige schwarz wie ein Ofen getüncht, andere
zeisiggrün, andere rosenroth. Das schwarze Häuschen hat blendend weiße,
das rosenfarbene grün und weiße, das zeisiggrüne prachtvoll dottergelbe
Fensterrahmen und eine rothe Thür. Zwischen sie, die mit ihren Giebeldächern
wie eine Reihe von Großvätern aus der Zeit der purpurrothen Fracks, der
Brocatwesten und Dreimaster aussehen, schiebt sich dann bisweilen ein düstres,
uraltes, verräuchertes, windschief nach vorn überhängendes Gebäude ein, an
dessen hohem Schornsteine ein Stvrchenpaar nistet, während weiterhin die Mode-
architektur ihren Geschmack geltend gemacht Hai.


in einen Markt endigenden Gasse besteht, hat es gleich den Dörfern deS Lan¬
des fast nur Strohvächer. Meine Aussicht aus dem Gasthof ging auf einen
gepflasterten, grasbewachsenen stillen Marktplatz. Gegenüber standen rothe
Ziegelhäuser mit Erkergiebeln, hübschen weißen Fensterrahmen und dicken, grauen,
moosgeschmückten Strohdächern, welche die Giebel wie grönländische Pelzmützen
einhüllen. Fast auf allen Firsten klapperten Störche ihren Kindern das Abend¬
wiegenlied vor. Fast vor allen Thüren standen Linden, vom Abendroth an¬
gehaucht. Fast hinter jeder Linde lag auf einer bunt angestrichnen Bank ein
Mann in einer Tabakswolke, mit der er sich den Kuhstallduft gewürzt, der
auch hier den Hauptbestandtheil der Atmosphäre bildet. Auf einem Holz¬
haufen spielten Kinder mit jungen Katzen. Unter einem Baume schlachtete ein
Metzger in Kniehosen, weißer Schürze und spitzer Zipfelmütze ein Kalb aus,
das an dem einen Aste aufgehangen war. In der That, es war ganz wie in
dem Abcbuche, aus dem ich vor dreißig Jahren die Kunst des Lesens mir an¬
eignete.

Zu diesem primitiven Bilde stimmte die Gaststube nur zum Theil. Es
war ein elegantes Zimmer mit hübschen Spiegeln und Mahagonimöbeln. An
dem Spiegel steckten Adressen in englischer Sprache, auf den Tischen lagen die
neuesten Hamburger Zeitungen. Selbst Mixpickles erschienen, das Abendbrot
zu würzen. Aber die Adressen gehörten londoner Ochsenhändlern, und das Ge¬
spräch der Gäste, durchgehends langer Männer mit langen ernsten Gesichtern
und langen Tabakspfeifen, die gleich Dampfessen qualmten, drehte sich nur
zwischen den Viehpreisen und der demnächst abzuhaltenden Thierschau.

H usum, die letzte Stadt nach Süden hin, wo man bisweilen noch Frie¬
sisch reden hört, ist nicht nur größer, sondern auch beträchtlich vornehmer, als
Bredstedt. Man bemerkt sofort den Einfluß des Hafens und der Eisenbahn.
Auch muß die Stadt schon früher wohlhabend gewesen sein; denn häusig trifft
man stattliche alterthümliche Gebäude mit verzierten Giebeln und steinernen
Freitreppen, denen die Linden vor der Thür und die Gärten hinter ihnen ein
recht anmuthig behagliches Aussehn verleihen. In keinem Orte der Herzog-
thümer sah ich einen so seltsamen Geschmack im Anstrich der Häuser, wie hier
in den Nebengassen. Da sind einige schwarz wie ein Ofen getüncht, andere
zeisiggrün, andere rosenroth. Das schwarze Häuschen hat blendend weiße,
das rosenfarbene grün und weiße, das zeisiggrüne prachtvoll dottergelbe
Fensterrahmen und eine rothe Thür. Zwischen sie, die mit ihren Giebeldächern
wie eine Reihe von Großvätern aus der Zeit der purpurrothen Fracks, der
Brocatwesten und Dreimaster aussehen, schiebt sich dann bisweilen ein düstres,
uraltes, verräuchertes, windschief nach vorn überhängendes Gebäude ein, an
dessen hohem Schornsteine ein Stvrchenpaar nistet, während weiterhin die Mode-
architektur ihren Geschmack geltend gemacht Hai.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/500>, abgerufen am 23.07.2024.