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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Briefe ans Schleswig-Holstein.
Die Städte der Friesen.

Der nächste Weg von Tondern nach Bredstedt führt größtentheils durch
die Marsch, die man hier einem Komplex ungeheurer Rinderställe unter freiem
Himmel vergleichen kann. Jeder Koog ist ein solcher meilenlanger Stall, seine
Mauern sind die Deiche, seine Tränkrinnen die Gräben und Kanäle, sein Dach
das blaue Firmament. Auch der Kuhduft entspricht dieser Unermeßlichkeit. Er
trieb mich zuletzt auf die Geest hinaus, wo ich in Niebüll bei einem Friesen
angenehme Tage verlebte, die Virtuosität friesischer Frauen im Trinken von
Kaffeepunsch bewundern lernte und in Leck, einem großen Dorfe mit einem
fanatisch dänischen Pfarrer und eifrig deutschen Bauern, die folgende hübsche
Anekdote meinem Tagebuche einverleibte.

Bei einem Schmause war nebst mehrern Oekonomen auch der Arzt Dr. Mag-
nus zugegen. Man hatte verschiedene Toaste auf das Gedeihen der Land¬
wirthschaft ausgebracht. Endlich erhob sich der Doctor und sagte: "Ich habe
kein Gut und kein Feld, sondern nur einen kleinen Garten. Der Garten ist
mir darum lieber, als alles Gut und Feld, weil in ihm zwei Bäume wachsen,
ein Schlehdorn und ein Hollunder. Stoßen Sie mit mir an auf diese mir
so theuern Bäume, mögen sie vor dem Nordwinde verschont bleiben und von
Jahr zu Jahr inniger ineinander verwachsen. Der Schlehdorn und der Hol¬
lunder in meinem Garten hoch!" Die Gesellschaft stieß, die Anspielung ver¬
stehend, an. Ein Gendarm dagegen, den ein Uebelwollender aufmerksam ge¬
macht, daß der Toast ein Schleswig-holsteinischer sei, wollte den patriotischen
Doctor auf der Stelle arretiren. Der Doctor, dem der Wein zu Kopfe ge¬
stiegen, wehrte sich und da er ein bärenstarker Mann war, warf er den Diener
der Gerechtigkeit zu Boden. Man holte ihn hierauf mit größrer Macht vom
Hause ab, ließ ihn drei Wochen auf Untersuchung sitzen und verurtheilte ihn
dann zu zwanzig Tagen Gefängniß. Die Geschichte verbreitete sich in der
Gegend und bewirkte, daß der Betreffende, der bis dahjn sehr geringe Praris
gehabt, einer der gesuchtesten Aerzte wurde. Das verdroß die Dänen und um
ihm die Praxis zu beschränken und zu verleiden, gab ihm der Vorstand der
Medicinalangelegenheiten des Herzogthums -- ein eifriger Beförderer des
Danisirens -- das Unerhörte auf, über jeden Fall, den er behandelte, an das
Physikal in Tondern einen ausführlichen Krankenbericht einzuschicken.

Bredstedt ist einer der ursprünglichsten Orte in Schleswig. Es ist nicht
eigentlich von alterthümlichen Aussehen und doch könnte es vor dreihundert
Jahren genau dieselbe Physiognomie gehabt 'haben. Ein geschlossenes Städt¬
chen, das in der Hauptsache aus einer langen, bergauf und thalab laufenden,


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Briefe ans Schleswig-Holstein.
Die Städte der Friesen.

Der nächste Weg von Tondern nach Bredstedt führt größtentheils durch
die Marsch, die man hier einem Komplex ungeheurer Rinderställe unter freiem
Himmel vergleichen kann. Jeder Koog ist ein solcher meilenlanger Stall, seine
Mauern sind die Deiche, seine Tränkrinnen die Gräben und Kanäle, sein Dach
das blaue Firmament. Auch der Kuhduft entspricht dieser Unermeßlichkeit. Er
trieb mich zuletzt auf die Geest hinaus, wo ich in Niebüll bei einem Friesen
angenehme Tage verlebte, die Virtuosität friesischer Frauen im Trinken von
Kaffeepunsch bewundern lernte und in Leck, einem großen Dorfe mit einem
fanatisch dänischen Pfarrer und eifrig deutschen Bauern, die folgende hübsche
Anekdote meinem Tagebuche einverleibte.

Bei einem Schmause war nebst mehrern Oekonomen auch der Arzt Dr. Mag-
nus zugegen. Man hatte verschiedene Toaste auf das Gedeihen der Land¬
wirthschaft ausgebracht. Endlich erhob sich der Doctor und sagte: „Ich habe
kein Gut und kein Feld, sondern nur einen kleinen Garten. Der Garten ist
mir darum lieber, als alles Gut und Feld, weil in ihm zwei Bäume wachsen,
ein Schlehdorn und ein Hollunder. Stoßen Sie mit mir an auf diese mir
so theuern Bäume, mögen sie vor dem Nordwinde verschont bleiben und von
Jahr zu Jahr inniger ineinander verwachsen. Der Schlehdorn und der Hol¬
lunder in meinem Garten hoch!" Die Gesellschaft stieß, die Anspielung ver¬
stehend, an. Ein Gendarm dagegen, den ein Uebelwollender aufmerksam ge¬
macht, daß der Toast ein Schleswig-holsteinischer sei, wollte den patriotischen
Doctor auf der Stelle arretiren. Der Doctor, dem der Wein zu Kopfe ge¬
stiegen, wehrte sich und da er ein bärenstarker Mann war, warf er den Diener
der Gerechtigkeit zu Boden. Man holte ihn hierauf mit größrer Macht vom
Hause ab, ließ ihn drei Wochen auf Untersuchung sitzen und verurtheilte ihn
dann zu zwanzig Tagen Gefängniß. Die Geschichte verbreitete sich in der
Gegend und bewirkte, daß der Betreffende, der bis dahjn sehr geringe Praris
gehabt, einer der gesuchtesten Aerzte wurde. Das verdroß die Dänen und um
ihm die Praxis zu beschränken und zu verleiden, gab ihm der Vorstand der
Medicinalangelegenheiten des Herzogthums — ein eifriger Beförderer des
Danisirens — das Unerhörte auf, über jeden Fall, den er behandelte, an das
Physikal in Tondern einen ausführlichen Krankenbericht einzuschicken.

Bredstedt ist einer der ursprünglichsten Orte in Schleswig. Es ist nicht
eigentlich von alterthümlichen Aussehen und doch könnte es vor dreihundert
Jahren genau dieselbe Physiognomie gehabt 'haben. Ein geschlossenes Städt¬
chen, das in der Hauptsache aus einer langen, bergauf und thalab laufenden,


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[0499] Briefe ans Schleswig-Holstein. Die Städte der Friesen. Der nächste Weg von Tondern nach Bredstedt führt größtentheils durch die Marsch, die man hier einem Komplex ungeheurer Rinderställe unter freiem Himmel vergleichen kann. Jeder Koog ist ein solcher meilenlanger Stall, seine Mauern sind die Deiche, seine Tränkrinnen die Gräben und Kanäle, sein Dach das blaue Firmament. Auch der Kuhduft entspricht dieser Unermeßlichkeit. Er trieb mich zuletzt auf die Geest hinaus, wo ich in Niebüll bei einem Friesen angenehme Tage verlebte, die Virtuosität friesischer Frauen im Trinken von Kaffeepunsch bewundern lernte und in Leck, einem großen Dorfe mit einem fanatisch dänischen Pfarrer und eifrig deutschen Bauern, die folgende hübsche Anekdote meinem Tagebuche einverleibte. Bei einem Schmause war nebst mehrern Oekonomen auch der Arzt Dr. Mag- nus zugegen. Man hatte verschiedene Toaste auf das Gedeihen der Land¬ wirthschaft ausgebracht. Endlich erhob sich der Doctor und sagte: „Ich habe kein Gut und kein Feld, sondern nur einen kleinen Garten. Der Garten ist mir darum lieber, als alles Gut und Feld, weil in ihm zwei Bäume wachsen, ein Schlehdorn und ein Hollunder. Stoßen Sie mit mir an auf diese mir so theuern Bäume, mögen sie vor dem Nordwinde verschont bleiben und von Jahr zu Jahr inniger ineinander verwachsen. Der Schlehdorn und der Hol¬ lunder in meinem Garten hoch!" Die Gesellschaft stieß, die Anspielung ver¬ stehend, an. Ein Gendarm dagegen, den ein Uebelwollender aufmerksam ge¬ macht, daß der Toast ein Schleswig-holsteinischer sei, wollte den patriotischen Doctor auf der Stelle arretiren. Der Doctor, dem der Wein zu Kopfe ge¬ stiegen, wehrte sich und da er ein bärenstarker Mann war, warf er den Diener der Gerechtigkeit zu Boden. Man holte ihn hierauf mit größrer Macht vom Hause ab, ließ ihn drei Wochen auf Untersuchung sitzen und verurtheilte ihn dann zu zwanzig Tagen Gefängniß. Die Geschichte verbreitete sich in der Gegend und bewirkte, daß der Betreffende, der bis dahjn sehr geringe Praris gehabt, einer der gesuchtesten Aerzte wurde. Das verdroß die Dänen und um ihm die Praxis zu beschränken und zu verleiden, gab ihm der Vorstand der Medicinalangelegenheiten des Herzogthums — ein eifriger Beförderer des Danisirens — das Unerhörte auf, über jeden Fall, den er behandelte, an das Physikal in Tondern einen ausführlichen Krankenbericht einzuschicken. Bredstedt ist einer der ursprünglichsten Orte in Schleswig. Es ist nicht eigentlich von alterthümlichen Aussehen und doch könnte es vor dreihundert Jahren genau dieselbe Physiognomie gehabt 'haben. Ein geschlossenes Städt¬ chen, das in der Hauptsache aus einer langen, bergauf und thalab laufenden, 62'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/499>, abgerufen am 23.07.2024.