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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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direct in dieser Beziehung nichts thun zu können, sie konnte Preußen nur fort¬
während auffordern, selbst zuzugreifen, denn auch die Kaiserwahl war im
Grunde nichts Anderes, als eine solche Aufforderung, und wenn derselben nicht
genügt wird, so findet sich das unbetheiligte Publicum leicht veranlaßt zu
lachen. Aber trotz des scheinbar beschämenden Ausgangs konnte sich die
gothaische Partei wenigstens sagen, daß sie ihrerseits alles gethan, einen bessern
Ausgang herbeizuführen. Im Gegentheil hat die demokratische Partei alles
darangesetzt, Preußens Ruf herabzusetzen und Preußens Stärke und Macht,
so weit es gehen wollte, zu unterdrücken. Sie ging darin so weit, sich zuletzt
sogar mit den Oestreichern zu verbinden, als diese Veranlassung hatten, feind¬
lich gegen Preußen aufzutreten. Ein Theil der Partei handelte dabei in gutem
Glauben, er ging von der Ueberzeugung aus, der preußische Staat sei das
gefährlichste Hinderniß für das Zustandekommen eines einigen freien Deutsch¬
land, und müsse, daher zerschlagen werden, ehe man an seine positive Aufgabe
gehen könne. Ueber diese Ansicht läßt sich streiten, es liegt jedenfalls eine Art
Conseque'nz^ darin. Aber Ludwig Simon theilt diese Ansicht keineswegs. Er
spricht auch in diesem Buch, wenn auch nur gelegentlich, die Ueberzeugung
aus, daß die Hoffnungen Deutschlands sich wesentlich an Preußen knüpfen
müssen. Wenn er also trotzdem mit seiner Partei ging, als sie Preußen wie
ein erobertes Land behandeln wollte, so war daS ein sinnwidriges Verfahren,
welches auch keineswegs dadurch gerechtfertigt werden kann, daß man daS
ideelle Preußen vom wirklichen Preußen scheidet, denn wenn man sür Preußen
die Hegemonie wünscht, so kann man daS doch nicht etwa aus dem Grunde
thun, das preußische Volk wäre in Bausch und Bogen klüger oder besser, als
die übrigen deutschen Stämme; es ist vielmehr die historisch entwickelte Staats¬
kraft, das Heer und die Beamten mit einbegriffen, der man die Fähigkeit zu¬
traut, auf eine organische Weise das übrige Deutschland in sich aufzunehmen;
und wenn man also das wirkliche Preußen eutkräftigt oder gar zerstört, so
hebt man damit auch das ideelle Preußen aus. Von diesem Standpunkt aus
muß man auch das Verhalten der gothaischen Partei betrachten, die auftrat,
um nicht in einen offnen Krieg gegen Preußen verwickelt zu werden. Wenn sie
ihre eigne Reichsverfassung aufgab, weil mit der Ablehnung derselben von Seiten
des Königs von Preußen sich ihr Sinn und ihre Bedeutung in das Gegen¬
theil verkehrte, so handelte sie trotz der scheinbaren Inconsequenz dem Wesen
nach vollkommen folgerichtig: sie gab das Mittel auf, um nicht den Zweck aus¬
geben zu müssen.




direct in dieser Beziehung nichts thun zu können, sie konnte Preußen nur fort¬
während auffordern, selbst zuzugreifen, denn auch die Kaiserwahl war im
Grunde nichts Anderes, als eine solche Aufforderung, und wenn derselben nicht
genügt wird, so findet sich das unbetheiligte Publicum leicht veranlaßt zu
lachen. Aber trotz des scheinbar beschämenden Ausgangs konnte sich die
gothaische Partei wenigstens sagen, daß sie ihrerseits alles gethan, einen bessern
Ausgang herbeizuführen. Im Gegentheil hat die demokratische Partei alles
darangesetzt, Preußens Ruf herabzusetzen und Preußens Stärke und Macht,
so weit es gehen wollte, zu unterdrücken. Sie ging darin so weit, sich zuletzt
sogar mit den Oestreichern zu verbinden, als diese Veranlassung hatten, feind¬
lich gegen Preußen aufzutreten. Ein Theil der Partei handelte dabei in gutem
Glauben, er ging von der Ueberzeugung aus, der preußische Staat sei das
gefährlichste Hinderniß für das Zustandekommen eines einigen freien Deutsch¬
land, und müsse, daher zerschlagen werden, ehe man an seine positive Aufgabe
gehen könne. Ueber diese Ansicht läßt sich streiten, es liegt jedenfalls eine Art
Conseque'nz^ darin. Aber Ludwig Simon theilt diese Ansicht keineswegs. Er
spricht auch in diesem Buch, wenn auch nur gelegentlich, die Ueberzeugung
aus, daß die Hoffnungen Deutschlands sich wesentlich an Preußen knüpfen
müssen. Wenn er also trotzdem mit seiner Partei ging, als sie Preußen wie
ein erobertes Land behandeln wollte, so war daS ein sinnwidriges Verfahren,
welches auch keineswegs dadurch gerechtfertigt werden kann, daß man daS
ideelle Preußen vom wirklichen Preußen scheidet, denn wenn man sür Preußen
die Hegemonie wünscht, so kann man daS doch nicht etwa aus dem Grunde
thun, das preußische Volk wäre in Bausch und Bogen klüger oder besser, als
die übrigen deutschen Stämme; es ist vielmehr die historisch entwickelte Staats¬
kraft, das Heer und die Beamten mit einbegriffen, der man die Fähigkeit zu¬
traut, auf eine organische Weise das übrige Deutschland in sich aufzunehmen;
und wenn man also das wirkliche Preußen eutkräftigt oder gar zerstört, so
hebt man damit auch das ideelle Preußen aus. Von diesem Standpunkt aus
muß man auch das Verhalten der gothaischen Partei betrachten, die auftrat,
um nicht in einen offnen Krieg gegen Preußen verwickelt zu werden. Wenn sie
ihre eigne Reichsverfassung aufgab, weil mit der Ablehnung derselben von Seiten
des Königs von Preußen sich ihr Sinn und ihre Bedeutung in das Gegen¬
theil verkehrte, so handelte sie trotz der scheinbaren Inconsequenz dem Wesen
nach vollkommen folgerichtig: sie gab das Mittel auf, um nicht den Zweck aus¬
geben zu müssen.




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[0498] direct in dieser Beziehung nichts thun zu können, sie konnte Preußen nur fort¬ während auffordern, selbst zuzugreifen, denn auch die Kaiserwahl war im Grunde nichts Anderes, als eine solche Aufforderung, und wenn derselben nicht genügt wird, so findet sich das unbetheiligte Publicum leicht veranlaßt zu lachen. Aber trotz des scheinbar beschämenden Ausgangs konnte sich die gothaische Partei wenigstens sagen, daß sie ihrerseits alles gethan, einen bessern Ausgang herbeizuführen. Im Gegentheil hat die demokratische Partei alles darangesetzt, Preußens Ruf herabzusetzen und Preußens Stärke und Macht, so weit es gehen wollte, zu unterdrücken. Sie ging darin so weit, sich zuletzt sogar mit den Oestreichern zu verbinden, als diese Veranlassung hatten, feind¬ lich gegen Preußen aufzutreten. Ein Theil der Partei handelte dabei in gutem Glauben, er ging von der Ueberzeugung aus, der preußische Staat sei das gefährlichste Hinderniß für das Zustandekommen eines einigen freien Deutsch¬ land, und müsse, daher zerschlagen werden, ehe man an seine positive Aufgabe gehen könne. Ueber diese Ansicht läßt sich streiten, es liegt jedenfalls eine Art Conseque'nz^ darin. Aber Ludwig Simon theilt diese Ansicht keineswegs. Er spricht auch in diesem Buch, wenn auch nur gelegentlich, die Ueberzeugung aus, daß die Hoffnungen Deutschlands sich wesentlich an Preußen knüpfen müssen. Wenn er also trotzdem mit seiner Partei ging, als sie Preußen wie ein erobertes Land behandeln wollte, so war daS ein sinnwidriges Verfahren, welches auch keineswegs dadurch gerechtfertigt werden kann, daß man daS ideelle Preußen vom wirklichen Preußen scheidet, denn wenn man sür Preußen die Hegemonie wünscht, so kann man daS doch nicht etwa aus dem Grunde thun, das preußische Volk wäre in Bausch und Bogen klüger oder besser, als die übrigen deutschen Stämme; es ist vielmehr die historisch entwickelte Staats¬ kraft, das Heer und die Beamten mit einbegriffen, der man die Fähigkeit zu¬ traut, auf eine organische Weise das übrige Deutschland in sich aufzunehmen; und wenn man also das wirkliche Preußen eutkräftigt oder gar zerstört, so hebt man damit auch das ideelle Preußen aus. Von diesem Standpunkt aus muß man auch das Verhalten der gothaischen Partei betrachten, die auftrat, um nicht in einen offnen Krieg gegen Preußen verwickelt zu werden. Wenn sie ihre eigne Reichsverfassung aufgab, weil mit der Ablehnung derselben von Seiten des Königs von Preußen sich ihr Sinn und ihre Bedeutung in das Gegen¬ theil verkehrte, so handelte sie trotz der scheinbaren Inconsequenz dem Wesen nach vollkommen folgerichtig: sie gab das Mittel auf, um nicht den Zweck aus¬ geben zu müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/498>, abgerufen am 23.07.2024.