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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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sam und ohne agitatorisches Streben fügen will. In beiden Fällen wird er
vor jeder Anfechtung vollkommen sicher sein.""

Als Beleg seiner Stellung zur kirchlichen Lehre fuhrt Uhlich seine Oster-
predigt desselben Jahres an. "Ostern ist das Gedächtnißfest der Auferstehung
Jesu. Ist es nicht schmählich, dachte ich, grade um die Thatsache behutsam
herumzugehen, während sie grade den geschichtlichen Kern des Festes bildet?
Es ist deine Pflicht, sagte ich mir, grade deine Pflicht, in dieser Kirche vor diesen
Zuhörern offen auszusprechen, was du darüber zu sagen weißt und das ist von
der Art, daß es der Verehrung Jesu bei denkenden Zuhörern keinen Eintrag thun
kann. So bewies ich denn nach meiner Ueberzeugung, daß die Wiederbelebung
Jesu eine geschichtliche Thatsache sei, beantwortete dann die Frage, wie wir
uns diese wol zu denken hätten, mit der Wahrscheinlichkeit des Scheintodes
und knüpfte endlich daran, als an ein Sinnbild, die Hoffnung eines neuen
Lebens für alle Menschen." -- Eine so handgreifliche Faselei kann man sich
kaum vorstellen. Also daraus, daß jemand einmal vom Scheintode wiederbe¬
lebt ist, was doch oft genug vorkommt, soll man die Hoffnung einer wunder¬
baren Wiederbelebung nach dem wirklichen Tode schöpfen! Von Seiten der
Rechtgläubigen wirft man den Rationalisten häufig Heuchelei vor; ein Vor¬
wurf, der dann mit Zinsen wiedergegeben wird; im Grunde sehen wir aber in
solchen Auseinandersetzungen nur eine völlige Confuston des Verstandes. So
wie hier Uhlich denkt, denkt die Menge überhaupt d. h. sie flieht den Ge¬
danken. -- Inzwischen fuhr man fort, theils ernst, theils gütlich dem licht¬
freundlichen Prediger zuzusetzen. "Ich darf mir das Zeugniß geben, daß ich
nicht rasch zugefahren bin, sondern mir fleißig Raths erholt habe. Ich be¬
rieth, außer mit dem Kirchenvorstände, mit den Amtsbrüdern in Magdeburg;
ich holte mir die brieflichen Gutachten auswärtiger Freunde ein, ich saß ein¬
mal in Jena, einmal in Berlin in Kreisen namhafter Theologen, die mir den
Gefallen thaten, als meine Rathgeber zusammenzukommen; es war eine be¬
wegte Zeit voller Spannung, die ich durchlebte; es war ein tüchtiges Stück
Lebensschule." Endlich waren die Verhandlungen erschöpft, Uhlich wurde von
seiner Stelle suspendirt und infolge dessen wurde am 29. November 1847
die sreie Gemeinde gegründet. Die lebhafte Thätigkeit derselben wurde durch
die Unruhen des JahreS 1848 unterbrochen, die Uhlich als Abgeordneten ne
die sogenannte Nationalversammlung führten. Im folgenden Jahr, als die
Politik aufhörte, nahm man die religiöse Thätigkeit wieder auf. Es constituir-
ten sich in den benachbarten Orten Filialgemeinden, in denen Uhlich überall
Gelegenheit fand, den endlosen Strom seiner Beredsamkeit zu ergießen.
"Meine Natur weist mich auf Vermittlung von Gegensätzen an; was ich
zur reformatorischen Arbeit dieser Zeit beitragen kann, das ist die An¬
knüpfung deS Neuen an das Alte, die allmälige Ueberleitung des Alten


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sam und ohne agitatorisches Streben fügen will. In beiden Fällen wird er
vor jeder Anfechtung vollkommen sicher sein.""

Als Beleg seiner Stellung zur kirchlichen Lehre fuhrt Uhlich seine Oster-
predigt desselben Jahres an. „Ostern ist das Gedächtnißfest der Auferstehung
Jesu. Ist es nicht schmählich, dachte ich, grade um die Thatsache behutsam
herumzugehen, während sie grade den geschichtlichen Kern des Festes bildet?
Es ist deine Pflicht, sagte ich mir, grade deine Pflicht, in dieser Kirche vor diesen
Zuhörern offen auszusprechen, was du darüber zu sagen weißt und das ist von
der Art, daß es der Verehrung Jesu bei denkenden Zuhörern keinen Eintrag thun
kann. So bewies ich denn nach meiner Ueberzeugung, daß die Wiederbelebung
Jesu eine geschichtliche Thatsache sei, beantwortete dann die Frage, wie wir
uns diese wol zu denken hätten, mit der Wahrscheinlichkeit des Scheintodes
und knüpfte endlich daran, als an ein Sinnbild, die Hoffnung eines neuen
Lebens für alle Menschen." — Eine so handgreifliche Faselei kann man sich
kaum vorstellen. Also daraus, daß jemand einmal vom Scheintode wiederbe¬
lebt ist, was doch oft genug vorkommt, soll man die Hoffnung einer wunder¬
baren Wiederbelebung nach dem wirklichen Tode schöpfen! Von Seiten der
Rechtgläubigen wirft man den Rationalisten häufig Heuchelei vor; ein Vor¬
wurf, der dann mit Zinsen wiedergegeben wird; im Grunde sehen wir aber in
solchen Auseinandersetzungen nur eine völlige Confuston des Verstandes. So
wie hier Uhlich denkt, denkt die Menge überhaupt d. h. sie flieht den Ge¬
danken. — Inzwischen fuhr man fort, theils ernst, theils gütlich dem licht¬
freundlichen Prediger zuzusetzen. „Ich darf mir das Zeugniß geben, daß ich
nicht rasch zugefahren bin, sondern mir fleißig Raths erholt habe. Ich be¬
rieth, außer mit dem Kirchenvorstände, mit den Amtsbrüdern in Magdeburg;
ich holte mir die brieflichen Gutachten auswärtiger Freunde ein, ich saß ein¬
mal in Jena, einmal in Berlin in Kreisen namhafter Theologen, die mir den
Gefallen thaten, als meine Rathgeber zusammenzukommen; es war eine be¬
wegte Zeit voller Spannung, die ich durchlebte; es war ein tüchtiges Stück
Lebensschule." Endlich waren die Verhandlungen erschöpft, Uhlich wurde von
seiner Stelle suspendirt und infolge dessen wurde am 29. November 1847
die sreie Gemeinde gegründet. Die lebhafte Thätigkeit derselben wurde durch
die Unruhen des JahreS 1848 unterbrochen, die Uhlich als Abgeordneten ne
die sogenannte Nationalversammlung führten. Im folgenden Jahr, als die
Politik aufhörte, nahm man die religiöse Thätigkeit wieder auf. Es constituir-
ten sich in den benachbarten Orten Filialgemeinden, in denen Uhlich überall
Gelegenheit fand, den endlosen Strom seiner Beredsamkeit zu ergießen.
„Meine Natur weist mich auf Vermittlung von Gegensätzen an; was ich
zur reformatorischen Arbeit dieser Zeit beitragen kann, das ist die An¬
knüpfung deS Neuen an das Alte, die allmälige Ueberleitung des Alten


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[0491] sam und ohne agitatorisches Streben fügen will. In beiden Fällen wird er vor jeder Anfechtung vollkommen sicher sein."" Als Beleg seiner Stellung zur kirchlichen Lehre fuhrt Uhlich seine Oster- predigt desselben Jahres an. „Ostern ist das Gedächtnißfest der Auferstehung Jesu. Ist es nicht schmählich, dachte ich, grade um die Thatsache behutsam herumzugehen, während sie grade den geschichtlichen Kern des Festes bildet? Es ist deine Pflicht, sagte ich mir, grade deine Pflicht, in dieser Kirche vor diesen Zuhörern offen auszusprechen, was du darüber zu sagen weißt und das ist von der Art, daß es der Verehrung Jesu bei denkenden Zuhörern keinen Eintrag thun kann. So bewies ich denn nach meiner Ueberzeugung, daß die Wiederbelebung Jesu eine geschichtliche Thatsache sei, beantwortete dann die Frage, wie wir uns diese wol zu denken hätten, mit der Wahrscheinlichkeit des Scheintodes und knüpfte endlich daran, als an ein Sinnbild, die Hoffnung eines neuen Lebens für alle Menschen." — Eine so handgreifliche Faselei kann man sich kaum vorstellen. Also daraus, daß jemand einmal vom Scheintode wiederbe¬ lebt ist, was doch oft genug vorkommt, soll man die Hoffnung einer wunder¬ baren Wiederbelebung nach dem wirklichen Tode schöpfen! Von Seiten der Rechtgläubigen wirft man den Rationalisten häufig Heuchelei vor; ein Vor¬ wurf, der dann mit Zinsen wiedergegeben wird; im Grunde sehen wir aber in solchen Auseinandersetzungen nur eine völlige Confuston des Verstandes. So wie hier Uhlich denkt, denkt die Menge überhaupt d. h. sie flieht den Ge¬ danken. — Inzwischen fuhr man fort, theils ernst, theils gütlich dem licht¬ freundlichen Prediger zuzusetzen. „Ich darf mir das Zeugniß geben, daß ich nicht rasch zugefahren bin, sondern mir fleißig Raths erholt habe. Ich be¬ rieth, außer mit dem Kirchenvorstände, mit den Amtsbrüdern in Magdeburg; ich holte mir die brieflichen Gutachten auswärtiger Freunde ein, ich saß ein¬ mal in Jena, einmal in Berlin in Kreisen namhafter Theologen, die mir den Gefallen thaten, als meine Rathgeber zusammenzukommen; es war eine be¬ wegte Zeit voller Spannung, die ich durchlebte; es war ein tüchtiges Stück Lebensschule." Endlich waren die Verhandlungen erschöpft, Uhlich wurde von seiner Stelle suspendirt und infolge dessen wurde am 29. November 1847 die sreie Gemeinde gegründet. Die lebhafte Thätigkeit derselben wurde durch die Unruhen des JahreS 1848 unterbrochen, die Uhlich als Abgeordneten ne die sogenannte Nationalversammlung führten. Im folgenden Jahr, als die Politik aufhörte, nahm man die religiöse Thätigkeit wieder auf. Es constituir- ten sich in den benachbarten Orten Filialgemeinden, in denen Uhlich überall Gelegenheit fand, den endlosen Strom seiner Beredsamkeit zu ergießen. „Meine Natur weist mich auf Vermittlung von Gegensätzen an; was ich zur reformatorischen Arbeit dieser Zeit beitragen kann, das ist die An¬ knüpfung deS Neuen an das Alte, die allmälige Ueberleitung des Alten 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/491>, abgerufen am 23.07.2024.